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Trio Bobby Rausch beim Jazzsommer in Augsburg

Augsburger Jazzsommer

Trio Bobby Rausch: Hier ziehen Tieftongebiete herauf

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    Druckwellenerzeuger: Bassklarinettist Lutz Streun vom Trio Bobby Rausch beim Augsburger Jazzsommer.
    Druckwellenerzeuger: Bassklarinettist Lutz Streun vom Trio Bobby Rausch beim Augsburger Jazzsommer. Foto: Herbert Heim

    Es scheint, als hätte Elias Holl schon geahnt, dass der Brunnenhof hinter dem Zeughaus in gut vier Jahrhunderten einmal zur Bühne werden sollte für eine Art Musik, die die Vorstellungskraft eines Renaissancearchitekten in ähnlicher Weise gesprengt hätte wie der Gedanke an Laubbläser oder Mondraketen. Und es scheint in gleichem Maße wahrscheinlich, dass es der einen oder dem anderen im Publikum an einem Samstagabend im Jahr 2024 ähnlich erging, als sie von den vom Berliner Trio Bobby Rausch erzeugten Druckwellen so hart in die Klappstühle gepresst wurden, dass sich der Abdruck der Rückenlehne auf Wochen in deren Funktionsjacken gefräst haben dürfte. Der anheimelnde, fast ein wenig verwunschen wirkende Hof liegt mitten in der Innenstadt und doch so versteckt wie die faszinierenden Tiefen der Unterwasserwelt, in der sich wie auch während des Jazzsommers auf der kleineren Parallelbühne die wundersamsten Dinge abspielen. So bunt und mysteriös wie in den pelagischen Zonen Kilometer unter der Wasseroberfläche.

    Der Sog, den die aus Oleg Hollmanns Baritonsaxofon und Lutz Streuns Bassklarinette erzeugten, Innereien erschütternden tiefen Töne erschaffen, zieht die Anwesenden an glänzenden Laternenfischen und massiven Riesenkalamaren vorbei in den Schlund eines dreiköpfigen, freundlich lächelnden Groovemonsters, das sich ausschließlich von Beats und Bassfrequenzen ernährt. Als die Band die Instrumente ansetzt, hört man von der Bar noch ein freundliches „Hallo, ja bitte?“, dann legen die beiden Holzbläser zusammen mit den intensiven Drums von Nico Stallmann los, dass man geradewegs froh ist, dass Bobby Rausch nicht im Rosenpavillon im Botanischen Garten spielen. Sonst wäre von den Rosenstöcken wohl nur mehr kahle Dornenstiele übrig geblieben.

    Elektronik verfremdet die Töne

    Das Trio klingt mal wie eine progressive Rockband aus den Siebzigern, deren Rhythmussektion ihrem Sänger und Gitarristen mit Absicht nicht sagten, wann und wo das nächste Konzert stattfindet, um ungestört ihre gerade an der Hochschule für musikalische Intensivierung erlernten Fähigkeiten auf die Bühne zu bringen. Ein andermal klingen sie wie eine Hip-Hop-Band mit Scratches, die aus dem Mund des Kontrabassklarinettisten am Blättchen vorbei durch eineinhalb Meter Korpus in ein Effektboard fließen und ein Instrumental formen, nach dem sich Rapper von Hamburg bis Philadelphia die Finger lecken würden. Dann wieder klingen sie mit organischem Techno wie die Kammerversion der Jazzrausch Big Band. Oder das Trio malt geheimnisvolle Klanglandschaften aus repetitiven, hypnotischen Basslines, rauschenden Becken, steinharter Bassdrum und elektronisch verfremdeten, sich beständig überlagernden Saxofontöne, die sich auftürmen wie eine von zuckenden Blitzen durchzogene Gewitterfront. Tiefdruckgebiete bringen Regen, Tieftongebiete bringen Freude und lassen potenziellen Niederschlag schon hunderte Meter über den nickenden Köpfen des gut besetzten Brunnenhofs vor Ehrfurcht in die Vorstädte fliehen.

    Ist das eigentlich noch Jazz? Unbedingt, denn Bobby Rausch hat die Quintessenz dieser Musik verinnerlicht. Die Offenheit gegenüber sämtlichen musikalischen Strömungen, eine durch Experimentierfreude entstehende neue Sprache aus Versatzstücken traditionellen Jazzvokabulars; dazu das Wissen um die Bedeutung des Moments, in dem das aufeinander hören und zusammen spielen eine Magie zaubert, die sich von keinem noch so teuren Mobiltelefon adäquat festhalten lässt. Das Trio dehnt diesen Moment auf über 90 Minuten, es ist genau dieser anfangs erwähnte Sog, dem sich niemand im Publikum weder entziehen kann noch will. Die Band spürt und Lutz Streun sagt es selbst: Die Menschen vor der Bühne waren komplett von der Musik eingenommen, und die Symbiose von Band und Publikum war vollbracht. Ein nicht selbstverständlicher Idealzustand eines Konzerts.

    Die Idee der Konzerte im Brunnenhof geht hier voll auf

    Zur Belohnung gibt es noch eine noch nie zuvor live gespielte Nummer namens „Zuppa inglese“, benannt nach einem Dessert aus Vanillecreme und Amarenakirschen, so reichhaltig und süß, wie es das Leben sein kann, wenn eine Band wie Bobby Rausch den Soundtrack dazu liefert. Dieses Konzert ist ein weiterer Beleg unter vielen, dass die Idee der zweiten Bühne des Augsburger Jazzsommers, eine junge, frische und unvoreingenommene Herangehensweise an die Musik zu zeigen, in gleicher Weise künstlerisch aufgeht, wie sie vom Publikum angenommen wird. Das Augsburger Publikum gilt ja gemeinhin als schwer zu knacken. Vielleicht aber sollte man angesichts dieses Konzerts, das Jugendliche wie Rentner gleichermaßen mitreißt, dieses alte Klischee einmal überdenken.

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