Koffer packen und ab in den Urlaub. Aber welches Buch mitnehmen? Für Lesebegeisterte ist diese Frage fast so wichtig wie das Ziel selbst, denn auch eine gute Lektüre führt an unbekannte Orte zu interessanten Charakteren. Wie aber das passende Buch finden? Und was tun, wenn die Geschichte nicht gefällt? Darüber hat Buchblogger Marius Müller bei „60 Minuten mit ...“, dem Live-Talk der Augsburger Allgemeinen am Dienstag gesprochen – und gleich noch ein paar Lesetipps für den Sommer gegeben.
Was ein gutes Buch ausmacht? Authentische Figuren mit Widersprüchen
Was ein gutes Buch ausmacht, will Birgit Müller-Bardorff von der Kultur- und Journalredaktion der Augsburger Allgemeinen im Gespräch wissen. „Wenn mir ein Buch während des Lesens eine gute Zeit beschert, ist das für mich ein gutes Buch“, sagt Müller. Wichtig seien nicht nur die Handlung, sondern auch Stil und Figuren. „Die Sprache muss nicht gedrechselt sein, aber zu den Charakteren passen.“ Die Figuren selbst sollten authentisch sein und Widersprüche in sich tragen. „Wie wir selbst“, sagt Müller.
Identifikationsfiguren müssen es nicht unbedingt sein, im Gegenteil: „Ich finde es spannend, wenn mir ein Protagonist neue Perspektiven eröffnen“, sagt Müller. Erst neulich habe er den Roman „Kleine Dinge wie diese“ von Claire Keegan gelesen. Die irische Autorin schreibt darin aus Sicht eines Mannes. Das habe ihm einen kritischen Blick auf seine Rolle als Mann eröffnet, sagt Müller und gibt damit ganz nebenbei einen extra Lesetipp. Denn offiziell hat er für den Abend in der AZ-Heimatwelt nur sieben Titel ausgewählt, doch zur Freude der rund 30 Gäste streut er weitere Buchempfehlungen ein.
Als Leiter der Studienbibliothek in Dillingen ist Müller berufsbedingt von Büchern umgeben, aber auch seine Freizeit verbringt der 32-Jährige lesend oder schreibend. „Ich habe eigentlich immer ein Buch in der Tasche“, sagt er. Auf seinem Online-Blog „Buch-Haltung“ gibt er Lesetipps, rezensiert Gegenwartsliteratur vom Krimi bis zum Bestseller, aber auch unbekanntere oder ältere Werke. Das Beste daran, wie er im Gespräch mit Müller-Bardorff sagt: Er kann lesen, was ihn interessiert, muss sich nicht auf Genres beschränken und kann ehrlich sein in der Kritik.
Kleiner Schwank: Als offizieller Pate sollte Müller mal ein Buch besprechen, das für den deutschen Buchpreis nominiert war. „Ich fand das Werk furchtbar und habe das auch geschrieben. Seitdem wurde ich nicht mehr gefragt“, sagt er. Apropos deutscher Buchpreis, auf seinem Blog veröffentlich Müller jedes Jahr seine persönliche Longlist. Ob er schon einen Favoriten hat, will eine Zuhörerin wissen. Er habe noch nicht so viele starke Bücher in diesem Jahr gelesen, aber das Familiendrama „Nochmal von vorne“ von Dana von Suffrin habe gute Chancen.
Die Liebe fürs Lesen hat Buch-Blogger Marius Müller schon als Kind entwickelt
Wie viele Bücher er im Monat liest? 10 bis 15 sind es schon, sagt Müller. Raunen und Staunen im Publikum. „Das ist jetzt nicht immer Hochliteratur, manches lässt sich schnell weglesen, ich steige auch nicht in jedes Buch so tief ein.“ Trotzdem, beeindruckendes Pensum, als lesender Mann gehöre er ja zu einer seltenen Spezies, sagt Müller-Bardorff. Wie er denn zum Vielleser geworden sei? „Daran sind wohl meine Eltern schuld“, sagt Müller. Als Kind hätten sie ihm viel vorgelesen, die Regale waren voller Bücher. Auch an das erste Buch, das ihn nachts wach hielt, erinnert er sich noch. Ein historisches Jugendbuch, dicke Schwarte, der Protagonist trug Müllers Vornamen. „Das hat mir wohl gefallen, seitdem bin ich vom Lesevirus befallen“, sagt er.
Dass er Bücher liebt, wird im Gespräch mit Müller-Bardorff deutlich. Aber was, wenn ihm ein Werk mal nicht gefällt? Weglesen oder weiterlesen? „Als Schwabe ist man dazu geneigt durchzuhalten, wenn man das Buch schon mal gekauft hat“, sagt Müller. Manchmal lohne es sich auch dranzubleiben, bei „Wassermusik“ von T. C. Boyle sei es ihm so ergangen. „Ich wollte es fast weglegen, aber dann hat es mich doch gepackt“, sagt Müller. Grundsätzlich halte er aber nichts davon, sich beim Lesen zu quälen.
Marius Müller unterscheidet ungern zwischen anspruchsvoller oder unterhaltsamer Literatur
Literarisch reist Müller übrigens am liebsten nach Irland. Die Lesekultur werde dort stark gefördert, das zeige sich an herausragenden Romanen und starker Lyrik. Kein Wunder also, dass einer seiner liebsten Krimis aus Irland stammt: „Der katholische Bulle“ von Adrian McKinty. Und auch das Buch, das ihn am meisten berührt hat, schrieb ein Ire. Mit „Cyril Avery“ über einen schwulen Jungen im Irland der 1970er Jahre liefere John Boyne ein eindrückliches Gesellschaftsbild der damaligen Zeit. „Überhaupt sind Bücher wie große Zeitmaschinen, sie führen nicht nur an andere Orte, sondern auch in andere Epochen.“ Qualitativ unterscheidet Müller ungern zwischen anspruchsvoller oder unterhaltsamer Literatur, er wähle Bücher lieber nach inhaltlichem Interesse aus.
Und, wie verbringt ein Literaturkritiker seinen Urlaub? Mit oder ohne Buch? „Ach, so eine 900-Seite-Schwarte ist herrlich“, schwärmt Müller. „Wenn ich mich mal ohne Druck in einen Roman hineinfallen zu lassen, beginnt für mich der Urlaub.“ Aber Achtung: Immer ein gedrucktes Buch in den Koffer packen und sich nicht nur auf den E-Book-Reader verlassen, mahnt Müller. Nach dem Baden habe er sich mal aufs Handtuch gesetzt ohne zu merken, was darunter lag. Ein lautes Knacken und der E-Book-Reader war dahin – mit samt der Urlaubslektüre. „Das wird mir nicht noch mal passieren“, sagt Müller. Diesen Sommer geht es nach Italien, die Lektüre steht schon fest: „Hinter verschlossenen Türen“ von Sacha Naspini über ein italienisches Dorf, in dem die Fassaden langsam zu bröckeln beginnen.
Sieben Buchtipps für den Sommer von Marius Müller:
- „James“ von Percival Everett: Packender, sprachlich innovativer Roman, der Mark Twains „Huckleberry Finn“ aus der Perspektive des Sklaven Jim neu erzählt und damit unterdrückten Schwarzen eine Stimme verleiht. Ort: USA
- „Mitternachtsschwimmerin“ von Roisin Maguire: Berührende Geschichte über eine alleinstehende Frau, die ihre Tage mit Schwimmen und Quilten verbringt, bis ein netter Tourist ihr Cottage mietet. Zwei Menschen, die sich öffnen und sich gegenseitig durchs Leben helfen. Ort: Irland
- „Der kleine Grenzverkehr“ von Erich Kästner: Heitere Geschichte über einen deutschen Schriftsteller, der in den 1930er Jahren die Salzburger Festspiele besuchen will, aber zu wenig Geld hat und sich auf dem Weg auch noch Hals über Kopf verliebt. Ort: Deutschland/Österreich
- „Der Gewinner“ von Teddy Wayne: Ein junger Anwalt ergattert einen Sommerjob im Tennisclub und beginnt eine verhängnisvolle Affäre. Erotisch, spannend, liest sich wie eine Neuauflage des Kriminalromans „Der talentierte Mr. Ripley“ von Patricia Highsmith. Ort: USA
- „Paris Requiem“ von Chris Lloyd: Unterhaltsamer Krimi über einen widerborstigen Ermittler, der während der Nazi-Besatzung Mordfälle aufklärt und Toten begegnet, die doch eigentlich im Gefängnis sein sollten. Ort: Frankreich
- „In den Farben des Dunkels“ von Chris Whitaker: 600 spannende Seiten über einen Jungen, der ein Verbrechen verhindern will und dabei selbst in Gefangenschaft gerät. Krimi, Liebesgeschichte und Gesellschaftsroman in einem. Ort: USA
- „Zwei Wochen am Meer“ von R. C. Sherriff: Perfekter Sommerroman, bereits 1931 erschienen und jetzt neu übersetzt, über eine Familie, die zum letzten Mal gemeinsam in den Urlaub reist. Ort: Großbritannien
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