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Talk im Textilmuseum: Arno Schmidts Werk beeindruckt bis heute

Literaturgeschichte

Unnahbarer Asket – nahbar in seiner Sprache: Ein Arno-Schmidt-Abend im Textilmuseum

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    Von links nach rechts: Kurt Idrizovic, Michael Schreiner, Ursula Muscheler und Matthias Hartwich blieben auch in der kritischen Auseinandersetzung mit Arno Schmidt immer unterhaltsam.
    Von links nach rechts: Kurt Idrizovic, Michael Schreiner, Ursula Muscheler und Matthias Hartwich blieben auch in der kritischen Auseinandersetzung mit Arno Schmidt immer unterhaltsam. Foto: Daniela Tiggemann

    Am Ende herrschte Einigkeit: „Es gibt keine Seligkeit ohne Bücher…“. Dieses Zitat Arno Schmidts fand auch beim Publikum des voll besetzten Saals des Textilmuseums vollen Beifall. Dabei ließ dieser „Abend mit Goldrand“, wie ihn Augsburgs Literaturmissionar Kurt Idrizovic nach einem Roman Arno Schmidts benannt hatte (eigentlich ein Zitat von Jean Paul), durchaus ein ambivalentes Verhältnis vieler Leser zum „großen deutschen Dichter“ Schmidt erkennen. Er gilt als sperrig, in der Typo- und Orthografie zumindest verwirrend und auch manche Figuren fanden in der Diskussion nicht viel Gnade.

    Die Debatte öffnet neue Zugänge zu Arno Schmidt

    Was als launiges Geplauder scheinbar ziellos, aber sehr unterhaltsam begann, brachte doch auch Arno-Schmidt-Lesern neue Zugänge. Der ehemalige Kultur-Chef der Augsburger Allgemeinen Michael Schreiner und Buchhändler Idrizovic moderierten das Gespräch mit einer bunten Schar an Gästen: Ursula Muscheler (eher Brecht- als Schmidt-Expertin, die die Selbstinszenierung von Schriftstellern beschrieb), Matthias Hartwich (Gewerkschaftspräsident in der Schweiz, der als kritischer Schmidt-Fan kompetent, aber auch sehr persönlich für die Schmidt-Lektüre warb) und Überraschungsgäste, darunter auch Musik vom wunderbaren Gesangsensemble DreiXang, die in die norddeutsch karge Welt des Dichters als „dialektischer Coup“ dazugeladen waren.

    Im Mittelpunkt standen die jeweiligen Leseerlebnisse mit einem Autor, der es nie in den deutschen Literaturkanon geschafft hat – allen Ehrungen und Verehrungen zum Trotz. „‘Leser‘? - achduliebergott“, mokierte sich der sehr abgeschieden in der Heide bei Celle lebende Dichter. Seine öffentlich proklamierte Weltabkehr, seine Misanthropie entlarvte Ursula Muscheler als Selbst-Inszenierung, mit der sich der Dichter als „Eremit“ mit „klaustrophobischem Lebensstil“ und „Asket“ zeigte, der nur in dieser Lebensform produktiv sein könne. Ganz im Gegensatz zu Brecht, der ein großes Haus, viele Menschen um sich und einen großen Schreibtisch zum Schreiben brauchte. Nicht zu vergessen die Frauen, die ihm die Bequemlichkeit garantierten.

    Matthias Hartwich ist ein „missionarischer Schmidtianer“

    Ob die ungeheure Menge an alten Klamotten, die in der aktuellen Ausstellung im tim beispielhaft präsentiert wird, und die Sammelwut der Schmidts in ihrer winzigen Kate eher ein Zeichen von Armut oder von Nachhaltigkeit der Kriegsgeneration sei, blieb offen.

    Matthias Hartwich beschrieb sich selbst als „leidenschaftlicher, auch missionarischer Schmidtianer“. Und konnte Fragen nach Schmidts Werk kenntnisreich beantworten. Auch wusste er, wo sich die oben ausgestellten Kleidungsstücke literarisch niederschlugen zur Charakterisierung seiner Figuren. Die auf Plakatgröße kunstvoll grafisch dargestellte Lesereise des Lesers Hartwich mit sachkundigen, oft kreisförmigen Querverweisen zu anderen Autoren wie Alfred Andersch, Klaus Theweleit, Friedrich de la Motte Fouqué bis hin zu J.F. Cooper und Michel de Montaigne hätte auch den selbst sehr belesenen Arno Schmidt beeindruckt. Leider hielt sich Hartwich zu lange auf bei der „unappetitlichen Seite von Arno Schmidt, dass in seinen Büchern ältere Männer sich zu deutlich zu jungen Frauen hingezogen fühlen“ und sie „anglotzen“.

    Arno Schmidts Sprache ist immer auch lebensecht

    Begeisterung für die außergewöhnlich lebensechte Sprache, für die kunstvollen Metaphern und Wortschöpfungen brachten dann glücklicherweise noch die Überraschungsgäste, der Lektor und Übersetzer Lutz Kliche („Irgendwie oszillierte Schmidt zwischen Genie und Wahnsinn“), der die sprachliche Akrobatik Schmidts als eine Art „verbaler Inkontinenz“ beschrieb. Erst Ulrike Schrimpf, die sich zu „sehr ambivalenten Leseerlebnissen“ bekannte, brach eine Lanze für die „originelle“ Sprache mit den Dialogen „des Kleinen unterdrückten Mannes“, die sie in der Tradition Georg Büchners sah. Auch wenn Hartwich erklärte: „Schmidt schreibt ja nicht so, dass er unbedingt gelesen werden will“, plädierte Michael Schreiner am Ende dafür, sich nicht abschrecken zu lassen vom raunend empfohlenen „Großen Werk“ wie „Zettels Traum“. „Als Sprachkünstler ist er enorm – da ist noch so viel zu entdecken!“

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