Im Hochsommer ist die Annastraße ein heißes Pflaster. Sonst belebt von Touristengruppen, Ausflüglern und Musikern, ist sie jetzt ruhig, viel Luft hängt zwischen den Passanten. Dejan Markovski hat gerade seine Gitarre geschultert. Es ist genau 12 Uhr, er weiß, das Ordnungsamt macht keine Siesta. „Von 10 bis 12 darf ich spielen und von 15 bis 18 Uhr. Habe ich natürlich vorher im Internet recherchiert." Nürnberg sei strenger, erklärt er. Dort würden zehn Euro pro Tag fällig, bei sieben Tagen gibt’s Rabatt. Und: Pro Tag erteilt Nürnberg nur fünf Genehmigungen. Diese müssen zudem persönlich, mit Identitätsnachweis im Liegenschaftsamt abgeholt werden. Strikte Auflagen.
Dann lieber Augsburg. Das ist Dejan Markovski im letzten Jahr von einem argentinischen Kollegen empfohlen worden. Markovski ist Profi auf der Akustikgitarre. Klar könnte er auch Gassenhauer und Beatles spielen. Doch in Mazedonien, wo er herkommt, ist er als Singer-Songwriter bekannt, schreibt, spielt und singt eigene Stücke. Auf Youtube findet man ihn und melodiös-rockige, auch jazzig-funkige Lieder. Er spielt und singt solo, mit Bands oder auch zweistimmig mit einer Frau. In den Ländern des Balkans wird Markovski mit seiner tragenden, wandlungsfähigen Stimme herumgereicht, tritt auf Festivals auf und kann während der Sommersaison von der Musik leben.
Nach einer halben Stunde heißt es weiterziehen
Die Zeiten und „Zulässigkeitsvoraussetzungen“ fürs freie Musizieren im Stadtgebiet Augsburg sind in der Straßensondernutzungssatzung geregelt. Untersagt sind „Vorführungen auf dem Martin-Luther-Platz, auf dem Moritzplatz, vor oder 150 Meter südlich und nördlich der Kirche St. Anna sowie im akustischen Einwirkungsbereich von Veranstaltungen.“ Außerdem dürfe die „Darbietung nicht länger als 30 Minuten vom selben Standplatz aus erfolgen.“ Dann müsse die Position um mindestens 150 Meter verlagert werden. „Auf alle Fälle aber so weit, dass die Darbietung am ursprünglichen Standort nicht mehr gehört werden kann.“
Was treibt Markovski nach Augsburg? Der Mazedonier spricht Englisch, hat sich für die Zeit hier zunächst im Hostel einquartiert, dann ein Zimmer in einer Wohnung gemietet. Gestern noch war er in Stuttgart. Gerne hätte er einen Verstärker, denn die Akustikgitarre trägt outdoor nicht. „Wenn ich auf Bühnen spiele, habe ich natürlich alles, Techniker, Ton, Licht. Aber wenn ich jetzt einen Verstärker hätte, würde ich mich anpassen.“ Dann würde er die eher ruhigeren Songs aus seinem Repertoire spielen. Qualität ist ihm wichtig. In sechs Tagen muss er im serbischen Novi Sad sein, ein Festivalauftritt. Danach will er auf jeden Fall noch mal nach Deutschland. Sein Glück: Aus der Republik Nordmazedonien, die früher Teil Jugoslawiens war, kann er Deutschland visafrei für drei Monate besuchen.
Der Mathelehrer und der Projektentwickler
„No woman no cry“ tönt es am Rand des Kö‘s aus den Kehlen von Christof und Stefan. Sie nennen sich Stöff und Steff, betreiben für die Dauer ihres Projekts einen eigenen Instagram-Kanal. Denn die künstlerische Beziehung der beiden ist nicht auf Dauer angelegt. Beide stammen aus der Schweiz, haben dort bürgerliche Berufe und Familie. Stefan ist Mathe-Gymnasiallehrer, Christof Chef der Projektentwicklung einer großen Schweizer Uhrenfirma. Und beide sind Musiker, spielen in verschiedenen Bands. Stefan hat gerade eine Art Sabbatical eingelegt und beschlossen, sechs Wochen lang mit seiner Gitarre durch europäische Städte zu ziehen. Ganz Stratege, recherchierte er die Bedingungen an den verschiedenen Orten und legte dann fest: zwölf Städte bis nach Dänemark. Auf eine Anzeige meldeten sich vier Männer, einer von ihnen war Stefan. Er hat sich drei Wochen Sonderurlaub genommen. Augsburg ist ihre erste Station.
Den Vorschriften entsprechend haben sie heute zwei Mal den Standort gewechselt, halten sich von allen Kirchen fern und singen die Ohrwurm-Coversongs, bei denen selbst in der Hitze des Königsplatzes die eine oder andere junge Frau grinst und mitsingt. „Es macht Spaß. Auch, wenn die Leute nur im Vorbeigehen plötzlich ein Lächeln im Gesicht haben“, sagt Christof. Am ersten Standort weiter unten in der Annastraße hatten sie Einnahmen von 15 Euro. „Wir wollen weder Stars sein noch reich werden“, lachen sie. Es ist eher so eine Art Abenteuer. Die beiden sind 52 und 58 Jahre alt – genau richtig für die ultimativ freieste Art des Reisens. Ihre nächste Station: wahrscheinlich Regensburg.