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Summerstage am Gaswerk: Summerstage-Festival: Dr. Alban und Blümchen versuchen die Wiederbelebung der 90er-Jahre

Summerstage am Gaswerk

Summerstage-Festival: Dr. Alban und Blümchen versuchen die Wiederbelebung der 90er-Jahre

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    Am alten Gaswerk in Oberhausen trat auch er auf, der Doktor, DJ und Rapper aus Schweden: Dr. Alban.
    Am alten Gaswerk in Oberhausen trat auch er auf, der Doktor, DJ und Rapper aus Schweden: Dr. Alban. Foto: Michael Hochgemuth

    Geht’s hier zur Love-Parade? Ist das eine dieser Retro-Partys, bei denen sich Nostalgiker in ihre Disco-Jahre zurücktanzen? Die Temperatur jedenfalls, die im Festival-Gemenge vor dem Gaskessel köchelt, reicht schon an die Hitze in den Klubs heran, die sonst solche Partys bieten: Techno-Beats, 3500 Tanzwütige im Drehwurm-Modus unter freiem, blauem Himmel, in Neon-Klamotten und Pink. Diagnose: 90er-Party. Nur dass hier beim „Summerstage“-Festival eben die Originale auf der Bühne stehen. „Sing Hallelujah!“, so wird Dr. Alban sein Gebet in die Menge rufen. Und Blümchen, Jasmin Wagner, wird am Rad drehen: „Ich bin total verwirrt, ich werd’ verrückt, wenn’s heut’ passiert!“

    Seifenblasen-Pop mit Ohrwurm-Wumms

    Seifenblasen-Pop mit Ummmz-ummmz-ummmmz und Ohrwurm-Wumms: „Die 90er Live“ verspricht das Festival, gespickt mit Stars. Aber vorab eine nüchterne Bestandsaufnahme: Kein Promi, der in diesem Zirkus tourt, hat die Jahrtausendwende so ganz ohne kleine Kratzer auf der eigenen Karriere-Platte überstanden. Die Laufbahn stockte, größere Hits blieben aus, Bands trennten sich und die Musik fror ein in ihrem Stil, in der Zeitkapsel der 90er-Jahre. Aber jetzt, gut 30 Jahre nach dem Boom, machen sie gemeinsame Sache. Die Kräfte bündeln und sich auf Wanderschaft begeben, weil man solo vielleicht nicht mehr die allergrößten Hallen füllt? Clevere Taktik. Außerdem gilt der Sound der 90er wieder als kultig, in Mode. Und nun so ein Format – ist das ein Recycling einer vergangenen Zeit, ein auf- und abgebrühtes Best-of? Oder die Wiederbelebung einer Epoche von vermeintlicher Sorglosigkeit und Halligalli – mit ärztlichem Beistand?

    Denn die Bühne betritt unter Jubel ein Schwede mit nigerianischen Wurzeln, der im Erstberuf einmal Zahnarzt war. Als stärkster, stimmkräftigster Sänger unter der Sonne galt Dr. Alban wohl nie. Und als Sonnenschein präsentiert er sich an diesem Tag auch nicht sofort. Erst einmal wirft er einen sehr, sehr kritischer Blick in die Kulissen, Richtung Mischpult, bitte anders mixen, Stimme hoch, Musik hoch, nein, anders. Aber dann, alles startklar: Der Doktor verschreibt jetzt doch noch gute Laune! Er: ein 90er-Original. Die Sängerin an seiner Seite: besuchte wohl noch nicht den Kindergarten, als er den ersten Hits landete. Gemeinsam lassen sie Songs wie „It’s my life“ (1992) brummen, auch „Sing Hallelujah!“ (1993). Das fühlt sich ein wenig wie Nostalgie auf Knopfdruck an, wirkt aber. Und wie man noch entspannter seine eigenen Hits wiederbeleben kann, zeigen andere Bands.

    Bei Culture-Beat haben schon zehn Künstlerinnen und Künstler mitgesungen

    Culture Beat zum Beispiel. Gut zehn Musikerinnen und Musiker haben im Lauf der Jahre an diesem deutschen Eurodance-Projekt mitgesungen, mitgemixt. Und in jüngster Besetzung klingt das weiter frisch: Was will das Publikum? Jetzt und sofort? Klar, „Mr. Vain“. Und darauf folgt das Überraschungsknallbonbon dieses 90er-Karnevals: „Masterboy“. Wie? Noch nie gehört? Die Band surfte einst mit Hit-Alben wie „Different Dreams“ und „Generation of Love“ auf der Eurodance-Tanz-Laola. Die Schweizerin Beatrix Delgado singt heute noch mit einer leistungsstarken Soul-und-Hochdruck-Stimme. DJ Thommy Schleh versprüht dazu eine Laune, die man ihm abkauft: „Wir sind eine Original-Band aus den 90ern“, sagt er, ein ursympathischer Typ Meister Propper, mit grauem Kinnbart. Und per „Hand hoch!“ macht er den Alters-Check im Publikum: hier ein paar Teenies. Viele Twens. Und Horden zwischen 30 und 50. „Könnt Ihr Euch noch erinnern, dass wir fünf Tage in der Woche in die Disco gegangen sind?“

    Das Publikum liefert die Antwort schon mit dem Dresscode. Ein Schwenk durch die Menge: knappe Tops, freie Bäuche. Leggings in Leo-Muster. Pinke Stirnbänder, kleine Minnie-Maus-Zöpfchen im Haar. Wie sie wohl alle die 90er erlebt haben? Irgendwo zwischen erstem Disco-Besuch, der ersten heimlich gekauften Bravo in der Hand und der ersten After-Work-Disco-Party mit platt getanzten Füßen.

    Die Rednex steuern in Augsburg auf Karambolage-Kurs

    Damit rein in die Cowboy-Stiefel: Die „Rednex“, Hobby-Cowboys und -Cowgirls aus Stockholm, steuern in einem Mix aus Pogo und Square-Dance von Beginn auf Karambolage-Kurs. Hier kommt der „Cotton Eye Joe“: Ein Band-Mitglied schrubbt wie im Wahn auf einer Geige, es verwundert, dass er sie zum Finale nicht in den Sprühfunken auf der Bühne anzündet, wie ein Pseudo-Jimi-Hendrix an der Violine. Leiser und andächtig im Publikum wird es da schon bei „Wish you were here“. Eine Ballade von 1995, mit der Rednex immerhin Bryan Adams und Take That in den deutschen Jahrescharts abhängten.

    Zu den Tränen mancher kommen jetzt die Tropfen. Es regnet, an den Ständen werden die Regenponchos zum Verkaufsschlager. Aber dann lässt sich der Star des Abends begießen mit Applaus: Blümchen. „Heut’ ist mein Tag!“, singt das 90er-Wunder schon seit 25 Jahren. Ihr Hit-Konzept: Aberwitziges Übertempo, knallende Beats und Zuckerwatte-Herzschmerztexte. „Wenn keiner dich liebt, dann liebe dich selbst“, ruft sie in die Menge und tanzt. Fast erschrickt man, wie gruselig gut konserviert ihre Performance wirkt. Das immerwährende Blümchen, die deutsche Alternativ-Britney im Cheerleader-Kostüm, mit Melodien in Fieps-Lage. Auch ganz bürgerlich, als Jasmin Wagner, versucht sie Erfolg zu finden. Aber ihren vierfachen Bravo-Otto hat sie nun einmal als Blümchen kassiert, mit „Bum!“, „Buum!“ und „Buuuum!“. Jetzt singt sie wieder: „Wie ein Bum, Bum, Bum, Bum, Bumerang, komm ich immer wieder bei dir an ...“ Start- und Endpunkt der Flugkurve? Die 90er. Für immer.

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