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Soziale Medien im 17. Jahrhundert? Einblicke des Historischen Vereins Schwaben

Geschichte

Selbstdarstellung in vordigitaler Zeit: Neuer Band des Historischen Vereins für Schwaben

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    Waren Votivtafeln soziale Medien? Damit befasst sich ein Beitrag von Irina Wöhrl in der Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben.
    Waren Votivtafeln soziale Medien? Damit befasst sich ein Beitrag von Irina Wöhrl in der Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben. Foto: Wißner-Verlag

    Eine Fundgrube für spannende historische Entdeckungen in unserem Raum ist der neu herausgekommene Band 116 der Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben. Er enthält eine Fülle an Themen, von denen jedes einzelne des Betrachtens wert wäre; an dieser Stelle jedoch seien nur beispielhaft einige Aufsätze aus diesem Band angesprochen, die über die Fachwelt hinaus auf ein breiteres Interesse stoßen dürften.

    Irina Wöhrl erforscht die Funktion von Votivtafeln

    Da ist etwa der Beitrag von Irina Wöhrl über „Votivtafeln als soziale Medien vordigitaler Zeiten“ – eine kühne Behauptung, an der durchaus etwas dran sein könnte. Die Autorin ordnet die Votivtafeln, eine Tradition der kirchlichen Volkskunst aus dem 17. Jahrhundert, als eine Möglichkeit ein, individuelle Erfahrungen mit anderen Menschen in Bild und Text zu teilen und zu kommentieren – wie es heute soziale Medien tun. Beschrieben wird, wie die Wände der Wallfahrtskirchen mit diesen Tafeln in der Nähe eines heiligen Leichnams oder einer Reliquie geschmückt wurden und unterschiedliche Ereignisse des gewohnten Alltags einfacher Katholiken widerspiegelten.

    Die Anlässe zur Herstellung der Exvoto betrafen rein menschliche Probleme wie Gesundheit, Lebensgefahr und Not. Individuelles Leiden sowie individuelle Freude wurden zu Themen eines kollektiven Mitgefühls. Votivtafeln, so die Autorin, können somit als „gemalte Dankesbezeugungen an die überirdische Macht für gewährte Hilfe in der Notlage“ bezeichnet werden. Zu erfahren ist, dass viele „Kistler“ in der Umgebung auch als Votivmaler beschäftigt waren. Thematisiert werden auf den Tafeln häufig Mutter und Kind, Gesundheit und Krankheit, Unfall oder Unglück oder die Bestätigung eines Wunders. Je nach lokalem Brauchtum wählte man auf den Votivtafeln Patronatsfiguren – am beliebtesten die Gottesmutter Maria. Konkret geht die Autorin auf die Votivtafeln im Heimatmuseum Donauwörth ein.

    Einblick in das Freundschaftsalbum des Hans Jakob Widhol(t)z

    Freundschaftsalben – noch heute sind diese aktuell. Auf eine ganz frühe Form eines Freundschaftsalbums, nämlich das des Augsburger Kaufmanns Hans Jakob Widhol(t)z, aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, geht der Beitrag von Gerhard Seibold ein. Zu erfahren ist, dass die deutschen Kaufleute oft über längere Zeit hinweg in Venedig ansässig waren. Ein Aufenthalt in der Fremde war eine gute Voraussetzung dafür, dass man ein sogenanntes Stammbuch mit sich führte, in das sich Bekannte auf Zeit eintrugen – eine Übung, die man noch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts pflegte.

    Hans Jakob Widholz war Mitte 20, als er sich in Venedig bewähren musste. Der Aufsatz wirft einen näheren Blick auf die Seiten aus diesem Stammbuch, die erhalten sind – es sind ausschließlich diejenigen mit Buchmalereien, die vor allem die Wappen der sich Eintragenden zeigen. Einige davon finden sich im Band abgebildet. Auffallend ist, dass es ausschließlich Widmungen von Männern sind, die mit Widholz gleichaltrig waren und die wie er kaufmännisch tätig waren. Das war mehr oder weniger das Publikum, das am Fondaco dei Tedeschi, in der Niederlassung der deutschen Händler in Venedig verkehrte.

    Gerhard Hölzle blickt auf „Lesegesellschaften in Schwaben“

    Ein dritter Blick sei auf den Beitrag von Gerhard Hölzle über „Lesegesellschaften in Schwaben“ geworfen. Er beschreibt, wie sich ab Beginn des 19. Jahrhunderts in schwäbisch-bayerischen Ortschaften Lesegesellschaften gebildet haben. Darin konnten sich gebildete Stadtbürger anhand von aktuellen Zeitschriften und Büchern über die neuesten Weltbegebenheiten informieren und auch mit ihresgleichen diskutieren. Manche Lesegesellschaften finanzierten und organisierten auch Möglichkeiten der Geselligkeit und Unterhaltung, etwa Feiern, Konzertabende, Ausflüge. Der Autor zeigt auf, wo überall in unserer Region Lesegesellschaften entstanden, etwa in Kempten, Memmingen, Oettingen, Augsburg, Nördlingen, Kaufbeuren oder Dillingen.

    Noch vieles mehr wäre über diesen Band zu sagen, etwa über den Beitrag über das Allgäuer Dialektwort „Feel“/„Fechel“ für Mädchen, über bisher unbeachtete Schätze der Staats- und Stadtbibliothek, über den „Schwäbischen Hexenstreit“. Auch finden sich mehrere Aufsätze zum Tagungsthema „Nachhaltiges Wirtschaften in Schwaben“. Am besten, einfach selbst hinein blättern.

    Info: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben, Band 116. Wißner-Verlag, 457 Seiten, 29 Euro.

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