Frau Weidemann, die Goldbergvariationen sind eines der anspruchsvollsten Stücke Bachs. Was fasziniert Pianistinnen und Pianisten so daran?
SOPHIA WEIDEMANN: Ich kann da nur für mich sprechen. Mich fasziniert der Aufbau. Es beginnt und endet mit einer Aria, einem wunderschönen Gesangsstück. Davon wird die Bassfolge variiert, sodass im Endeffekt eigentlich dreißig eigenständige Stücke entstehen. Sie haben alle ein anderes Tempo, eine andere Taktart, sie sind mal lustig, mal traurig, aber sie haben diese Konstanz von der Bassfolge. Das hat für mich etwas total Beruhigendes, aber auch Aufbauendes. Außerdem ist das Stück komponiert für ein Cembalo mit zwei Manualen. Ich war fasziniert davon, wie man das technisch lösen kann, damit es auch auf einem Flügel mit nur einem Manual geht.
Wie geht man an so ein großes Stück heran?
WEIDEMANN: Ich habe vorher noch nie so ein Stück gespielt, es gibt ja auch kaum etwas Vergleichbares. Gestartet hat alles, als Corona losging. Ich dachte mir, ich muss irgendwas üben, das so lange dauert, bis hier wieder ein Lichtblick kommt. Und dann habe ich mir die Noten ausgedruckt und angefangen. Ich habe zum Glück nie Schwierigkeiten gehabt, Sachen auswendig zu lernen. Aber ich hatte bei diesem Werk zum ersten Mal richtig Kopfweh abends. Nachdem ich es ja jetzt schon fast zwei Jahre spiele, würde ich sagen, zehn Variationen am Tag zu üben, ist gesund. Mehr als 15 ist gar nicht zu schaffen. Deswegen ist jede Vorbereitung für einen Auftritt sehr intensiv. Das unterscheidet es definitiv von anderen Werken.
Es ist nicht ihr erster Berührungspunkt mit dem Sensemble-Theater. Erst kürzlich standen sie mit Fanny Hensels Klavierzyklus „Das Jahr“ auf der Bühne. Wie ist es dazu gekommen?
WEIDEMANN: Dieses Projekt habe ich auch noch während der Pandemie initiiert. Da gab es für mich die Möglichkeit, eine CD aufzunehmen. Dafür habe ich tatsächlich kurz mit den Goldberg-Variationen geliebäugelt, bin aber abgesprungen. Davon gibt es schon so viele Aufnahmen. Ich bin ein großer Freund davon, Geschichten zu erzählen – sowohl musikalisch als auch mit Sprache. Und anders als bei Bach, wo ja viele Menschen einen Anknüpfungspunkt haben, ist Fanny Hensel als Person doch sehr unbekannt. Und so entstand die Idee, ihre Musik aufzunehmen, zusammen mit ihren Tagebucheinträgen und Briefen. Und es war natürlich ideal, einen Jahreszyklus am Ende des Jahres aufzuführen.
Fanny Hensel ist als Komponistin immer im Schatten ihres Bruders Felix Mendelssohn gestanden. Wie steht es um Pianistinnen und Komponistinnen heute?
WEIDEMANN: Also wenn man auf das Studium schaut, gerade bei den Pianisten, sind da sehr viele Frauen. Bei Komponisten ist es schon anders. Ich bin aber in der zeitgenössischen Musikszene nicht so zu Hause. Wenn wir in die Zeit von Fanny Hensel zurückschauen sind alle Namen, die uns einfallen, Männernamen. Frauen hatten auch Erfolg. Ich denke zum Beispiel an Emilie Mayer oder Clara Schumann. Aber das wurde über die Jahrhunderte vernachlässigt, vergessen oder nicht erzählt. Vergleicht man jetzt Bach und Fanny Hensel, ist ganz klar, wen man kennt. Und das auch, obwohl Bach zu seiner Zeit nicht so berühmt war. Vielleicht kommt das bei Fanny Hensel ja auch noch.
Info: Sophia Weidemann spielt am Sonntag, 15. Dezember um 18 Uhr auf der Sensemble-Studiobühne. Der Eintritt kostet 25 Euro (ermäßigt 15 Euro).
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