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Theaterstück "Marathon" ist zurück und führt Schauspieler an Grenzen
![Birgit Linner und Jörg Schur sind Wegstreckengefährten in diesem Stück für zwei von Sensemble-Chef Sebastian Seidel. Birgit Linner und Jörg Schur sind Wegstreckengefährten in diesem Stück für zwei von Sensemble-Chef Sebastian Seidel.](https://www.augsburger-allgemeine.de/resources/1715674498059-1/ver1-0/img/placeholder/16x9.png)
Sie laufen und schwitzen wieder: Sebastian Seidels "Marathon" feierte vor 20 Jahren Uraufführung. Jetzt spielt sein Sensemble Theater das Werk wieder.
![Theaterstück "Marathon" ist zurück und führt Schauspieler an Grenzen Veronika Lintner](https://www.augsburger-allgemeine.de/img/incoming/crop50377441/2283053547-cv1_1-w40-owebp/Veronika-Lintner?t=.jpg)
Als das Sensemble Theater seine Stückwahl getroffen hatte, als also feststand, dass Jörg Schur wieder laufen würde, ja sich plagen wird über eine lange, schweißtreibende Zeitstrecke auf der Bühne – was hat er da gemacht? Ist er sofort in die Laufschuhe geschlüpft?
Oder hat er sich gleich wieder ins Textbuch vergraben? „Weder noch“, sagt Schur und lächelt. „Zuallererst habe ich mich erinnert.“ Denn vor 20 Jahren stand er schon einmal an diesem Startpunkt – und Birgit Linner an seiner Seite, beide bereit für das Signal zum Dauerlauf.
So feierte das Stück „Marathon“ von Sebastian Seidel 2002 Uraufführung. Und heute? Treibt sie die kühle Stimme aus dem Lautsprecher wieder in die Startlöcher: „Bitte alle Läufer an den Start. Der Marathon startet in drei Minuten.“
Jörg Schur und Birgit Linner spielen Sebastian Seidels "Marathon"
Im Garten des Sensemble Theaters, unter dem Abendhimmel, treten zwei Menschen an – auf einer Marathonstrecke namens Leben. Der eine Läufer: verbissen in sein Ziel, den Weltrekord zu knacken, auf Schwitzen, Biegen und Brechen. „Heute werde ich beweisen, dass ich der Beste bin“, jubelt Schur und stiert ins Publikum. Die Zuschauer „bewundern unser Durchhaltevermögen“, prustet er dann schon nach wenigen Kilometern und fügt an: „Weil sie selbst keines haben.“ Auf der Bühne tritt und tritt und tritt er auf der Stelle. Aber er kommt doch vom Weg ab.
Der andere? Birgit Linner spielt einen Lauffloh, klein und drahtig, der fröhlich grinst. „Stört es dich, wenn ich mich mit dir unterhalte?“, fragt sie Schur. Der streckt die Zunge raus, aus Trotz und Schlappheit. Tja, „am Ende läuft man meist allein“, sagt der Lauffloh und quasselt ungebremst weiter. Aus den Boxen peitscht dazu „The Race“ von Yellow, Hymne aller Renn- und Laufsporttreibenden.
Vor 20 Jahren feierte "Marathon" am Sensemble seine Uraufführung
Strampeln, bis der Schweiß von den Haarspitzen rinnt. Eine zweite Lunge täte wohl nach dreißig Minuten gut. Doch dann folgen noch zwanzig Minuten Monolog, Textstrecke für Schur. Wie erlebt das Duo diesen Marathon heute – nach 20 Jahren? „Weniger dynamisch“, sagt Schur, „aber dafür intensiver. Ich lasse mir heute mehr Zeit, mehr Ruhe.“ Und schließlich liegen für den Sensemble-Stammspieler zwischen damals und jetzt zwei Jahrzehnte Lebensweg. Familie, Kinder, neue Freunde, neue Stücke auf der Bühne. „Da tut es gut, sich einmal zu fragen: Rotiert man selber in einem Hamsterrad? Das Stück führt mich dabei an Grenzen, über die Grenzen. Nicht nur körperlich.“
Linner gab mit Marathon 2002 ihr Sensemble-Debüt als Jungschauspielerin. „Es ist bis heute mein Lieblingsstück, weil es mir die Chance gibt, mich zu überprüfen auf meinem Weg“, verrät sie. Wo soll’s denn hingehen? Diese Frage nagt an jedem Menschen, in jedem Alter. „Was soll dieses Ziel überhaupt sein? Wer ist überhaupt die Rennleitung in diesem Spiel?“
Der "Marathon" geht in diesem Sommer in Augsburg weiter
Verfasst hat das Sportstück der Sensemble-Chef selbst. „Ich habe das Stück geschrieben, ohne daran zu denken, dass es jemals aufgeführt wird“, sagt Sebastian Seidel. Als junger Autor suchte er nach einem simplen Bild für eine existenzielle Erfahrung: der Lebensweg als Lauf. Größen der Literatur, die er liebte, inspirierten ihn dabei. Das Absurde von Samuel Beckett, die Redundanz bei Thomas Bernhard. So schrieb Seidel Sätze, die sich gebetsmühlenartig wiederholen und ins Gedächtnis brennen. Und so gewann er 2002 mit „Marathon“ den Kunstförderpreis der Stadt Augsburg.
Damals habe die Inszenierung vor allem die Krawattenträger der Businesswelt aufgespießt. „Da habt ihr beide Männer gespielt“, sagt Seidel zu Linner und sie erinnert sich: „Wir trugen auch Anzug.“ Heute? Sportkluft. Zum ersten Mal rennen sie auf der Sommerwiese, zwischen Bäumen, die Fragen aber bleiben: Lieber allein durchs Leben laufen? Oder einen Plausch und eine Pause wagen? Schur fragt sich in der Rolle, wie lang er nun schon rennt: „20 Jahre? Oder 30? Meine Uhr ist stehen geblieben.“ Aber sie laufen noch immer.
Spieltermine am heutigen 15. Juli sowie am 16., 22., 23., 29. und 30. Juli, ab 20.30 Uhr auf der Theaterwiese. Infos unter www.sensemble.de.
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