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Preisverleihung: Filmemacher Malte Ludin und die Geschichte seines Vaters in der NS-Zeit

Preisverleihung

Filmemacher Malte Ludin und die Geschichte seines Vaters in der NS-Zeit

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    Der Geehrte konnte aufgrund einer schweren Erkrankung nicht persönlich vor Ort sein: Filmemacher Malte Ludin erhielt in Abwesenheit den Marion-Samuel-Preis 2022.
    Der Geehrte konnte aufgrund einer schweren Erkrankung nicht persönlich vor Ort sein: Filmemacher Malte Ludin erhielt in Abwesenheit den Marion-Samuel-Preis 2022. Foto: Mercan Fröhlich

    Hanns Elard Ludin war glühender Nationalsozialist. Schon 1930 wurde er als Leutnant des 5. Artillerie-Regiments in Ulm wegen "des Versuchs einer nationalsozialistischen Zellenbildung innerhalb der Reichswehr" verhaftet, ein Jahr später jedoch wieder frei gelassen. Er stieg in der SA auf, führte schließlich die SA-Gruppe Südwest in Stuttgart. Von 1941 bis 1945 machte er Karriere als Hitlers Stellvertreter in der Slowakei, war mitverantwortlich für den Tod von 60.000 Menschen in der Slowakei. 

    Die Kamera fährt über ein Schriftstück. "2227 Personen sonderbehandelt", "eine hundertprozentige Lösung der Judenfrage" wird empfohlen. Unterschrift: Hanns Ludin. Das Dokument ist eindeutig, das Leben der Familie in einer "arisierten" Villa der jüdischen Industriellenfamilie Stein ebenfalls: Ludin war überzeugter Nationalsozialist und ein Kriegsverbrecher. Als solcher wurde er nach seiner Gefangennahme durch die Amerikaner an die Tschechoslowakei ausgeliefert und 1947 in Bratislava hingerichtet. Sein Sohn, der Berliner Regisseur Malte Ludin, brachte 2005 einen Dokumentarfilm heraus. In "2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß" sucht er die Spuren, beleuchtet das Leben des Vaters und die Unschuldslegenden, die seine Mutter und seine Schwestern bis zuletzt um diesen Mann spannen. "Das ist die Geschichte meines Vaters, eines Kriegsverbrechers", sagt Malte Ludin im Film. Die Schwester: "Vater war immer fröhlich. Er liebte guten Wein und gutes Essen." Er habe nicht wissen können, was mit diesen deportierten Menschen geschieht, niemand hätte es ihm sagen können. Sie habe das Recht, den Vater so zu sehen, wie sie wolle, der Bruder könne ja anderer Meinung sein. 

    Der Film von Malte Ludin feierte seine Premiere auf der Berlinale im Jahr 2005.
    Der Film von Malte Ludin feierte seine Premiere auf der Berlinale im Jahr 2005. Foto: Jens Kalaene, dpa (Archivbild)

    Internationale Würdigung des Films: Lob vom Historiker-Laudator

    Der Film ist eine Pionierarbeit aus der Innenperspektive einer Täterfamilie und wurde nach seiner Premiere auf der Berlinale 2005 international gewürdigt. Für diesen Film erhielt der Regisseur Malte Ludin jetzt den seit 1999 von der Stiftung Erinnerung verliehenen Marion Samuel-Preis. Ein mutiges Zeugnis der Aufklärung, das im Respekt vor den zigtausenden Opfern die Familiengeheimnisse aufdeckt, aber auch die Sehnsüchte des Regisseurs vor der Kamera zeigt, erklärte der Laudator Volkhard Knigge. "Er hoffte auch, etwas zu finden, das seinen Vater entlastete, dass er sich einmal verweigert hätte." Der Historiker lobt: "Der Film stellt niemanden an den Pranger. Aber er zeigt die Verweigerung von Aufklärung, zeigt, wie die Familie aus dem Holocaust eine Partisanenbekämpfungsaktion macht und im Vater den nationalsozialistischen Täter zwar sieht, ihn aber entschuldigt, auf Notwendigkeiten verweist. Einen Schlüssel für die Gaskammern habe er ja schließlich nicht gehabt." Er verweist auf die vernunftgeleitete Methodik des Holocausts, darauf, dass auch Hanns Ludin laut eigenen Aussagen nicht aus Hass, sondern aus rationalen Überlegungen für die Vernichtung alles "Undeutschen" gekämpft habe.

    Krankheit macht die Teilnahme unmöglich

    Die Stiftung Erinnerung wurde von dem Unternehmer, Augsburger Ehrenbürger und früheren FCA-Präsidenten Walter Seinsch sowie seiner Frau Ingrid gegründet. Der Preis wird in Erinnerung an die 12-jährige Marion Samuel, die 1943 von Brandenburg nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde, an Institutionen und Personen vergeben, die die gesellschaftliche und wissenschaftliche Aufarbeitung der NS-Zeit fördern. Er ist mit 15.000 Euro dotiert. Mit Blick auf die lange Reihe der Geehrten erklärte der Historiker Knigge: "Die Auswahl der Preisträgerinnen und Preisträger braucht eine sehr, sehr gute Hand. Die haben sie." Wegen einer schweren Erkrankung konnte Malte Ludin den Preis bei dem feierlichen Festakt im Goldenen Saal nicht persönlich entgegennehmen. Chana Steinwurz aus Tel Aviv, eine persönliche Freundin des Regisseurs, nahm die Urkunde an. 

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