So zünftig wie Stefan Leibold auf der Bierbank sitzt, in Lederhose, mit Trachtenhut, könnte er gleich eine Blaskapelle dirigieren. Aber diese Bierbank steht eben mitten auf der Bühne, am Staatstheater. Es ist Abendvorstellung im Martini-Park. Und Leibolds Rolle im Scheinwerferlicht? Er dirigiert, ohne Taktstock, die Musik zur bayerischen Komödie "Die Kunst des Wohnens". Am Biertisch hat er dafür ein Cockpit installiert: Mischpult, Laptop, Gitarren diverser Sorte, Blockflöten, dazu eine muhende Mini-Kuh aus Plastik, von der wird er später noch schwärmen. Aber jetzt, aufgemerkt, brüllt ein Darsteller das Kommando: "Stefan! Musik!" Und Leibold greift zum E-Piano. Die Bayernhymne – das Ensemble singt windschief-pathetisch. Danach Tschaikowskys "Tanz der kleinen Schwäne" – die Schauspieler gackern und picken in Kükenkostümen. Und dann Heintjes "Maaaaaama" – Natalie Hünig jault schauerlich zum Klavier. Diesen vogelwilden Soundtrack hat Stefan Leibold ausgeheckt. Denn Schauspiel ist für ihn eine Nebenrolle. Hauptberuflich ist er Schauspielmusiker und Komponist am Staatstheater Augsburg.
Wie der gelernte Blockflötist zum Staatstheater Augsburg kam
Es ist kein Zufall, dass da zwei Blockflöten neben Leibold griffbereit liegen. Die spielt er im Stück auch beide gleichzeitig, zweistimmig. Seinen Werdegang beschreibt der Künstler, der 1976 in Heidelberg geboren wurde, mit Humor: "In Freiburg habe ich Klavier studiert und historische Aufführungspraxis – das sagt man, wenn man nicht zugeben will, dass man Blockflöte studiert hat." Relativ spät kam dem Flötisten dann erst die Ahnung, dass Bühnenmusik seine Berufung sein könnte: "Ich dachte zuerst sehr lange, dass ich Regisseur werden möchte." Aber schon als Regie-Assistent organisierte er Abende mit Knef-Songs, Zarah-Leander-Schlagern. Keine große Überraschung, dass ihn das Theater Konstanz bald als musikalischen Leiter anheuerte. Und als Schauspielmusiker und Komponist steht er seit der Spielzeit 2020/21 im Dienst des Augsburger Staatstheaters.
In die Bühnenmusik wirft Leibold sein Temperament: "Ich mag das Spiel, die hohe Geschwindigkeit beim Erzählen der Geschichten, das schätze ich sehr. Dieses Tempo entspricht auch meinem Denken und meinem Tun." Mit Höchsttempo springt er aktuell zwischen Staatstheater-Inszenierungen hin und her, für die er einen musikalischen Plan entwickelt hat. "Die Physiker", "Der Drache", "Shockheaded Peter", neun an der Zahl, in seiner ersten Spielzeit. Aber Augsburg ist für ihn auch kein neues Spielfeld: "Mein erstes Stück am Theater Augsburg war 2017 ‚Martin Luther und Thomas Münzer‘, da war es noch nicht Staatstheater." Damals hat er in einem Kulissen-Turm auf Rädern seine musikalische Schaltzentrale eingerichtet. Fünf Jahre später übt er in Augsburg nun selbst "die Kunst des Wohnens", mit seiner Familie lebt er hier, fühlt sich wohl. Und seine drei Söhne seien neugierig, was Papa als Nächstes einfällt.
In der "Kunst des Wohnens" steht Stefan Leibold auf der Bühne
Die Satire "Die Kunst des Wohnens" von Georg Ringsgwandl spießt ein bayerisches Familienleben auf. Von Arzt-Papa bis Diva-Tochter sehnen sie sich alle nach Aufstieg, Glamour, Geld – und fallen Trash-TV-reif auf die Nase. Der Plot beschreibt eine Bruchlandung. Die Vorstellung aber? Lief wunderbar, findet Leibold. Und deshalb genießt der Musiker die Momente nach der letzten Verbeugung vor Publikum. Abgeschminkt, umgezogen, mit dem Kopf noch halb im Stück, wie fühlt sich das an? "Beflügelt!", sagt Leibold – und lobt seine Kollegen und Kolleginnen. "Das Ensemble ist äußerst musikalisch, familiär und gut aufeinander eingestellt."
Mit einem Text und einem Team hatte Leibolds Arbeit am Stück begonnen. Songtexte hatte der Kabarettist Ringsgwandl allerdings schon ins Werk eingeschrieben. "Die musikalische Konzeption war, sich von bayerischer Folklore an die Pop-Größen heranzuarbeiten", erklärt Leibold. Die Schauspieler und Schauspielerinnen arrangiert er für musikalische Einlagen auch mal als Band um sich. Er lässt sie mit Löffeln klappern, zum Sound einer Zither, für dieses schräge Heimathorrormusical. Dabei spaziert Leibold selbst wie ein leibgewordenes Oktoberfest auf, später wirft er sich einen weiß-blauen Rautenanzug über.
"Musik kann wie ein Parfüm im Raum sein", sagt Stefan Leibold
Wenn Leibold über seinen Beruf spricht, dann mit Überzeugung – aber mit sehr sanfter Stimme. In diesem Moment erinnert wenig an den Musiker, der vorhin noch Amy Winehouse' "Back to Black", frei nach Ringsgwandl, vor Publikum sang. Auftritte auf der Bühne, schrille Kostüme: "Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass mir das nicht einen riesigen Spaß bereitet. Da bin ich sehr schmerzfrei", sagt er und lacht.
Schmerzfreien Klamauk beherrscht er, aber auch da baut er auf Feingefühl. Bühnenmusik braucht das exakt richtige Lied zur rechten Zeit. "Musikalischer Bodennebel" nennt Leibold die eher unauffälligen Effekte. "Musik kann wie ein Parfüm im Raum sein. Oder aber ein Gefäß für die Handlung, eine Leinwand für das Bühnengeschehen." Und sie gebe ihm Einblick in die Seele der Figuren.
Stefan Leibold hat seine eigene Late-Night-Show
Bühnenmusik kann Hörkino sein: Die Spielzeug-Kuh macht "Muh" für den Klang einer Alpenweide und die Quietscheente quakt zur Pointe. Für solche Szenen sammelt Leibold Töne: "Wenn mir ein Sound auffällt, wenn er mir gefällt, dann kommt er in meine Klangbibliothek. Bei der Inszenierung von Manns Zauberberg war da eine Feuerschale, die einen dunklen, warmen Sound von sich gab. Wie ein Gong. Wenn ich so etwas entdecke, wird es sofort eingebaut."
Ideen gehen ihm nicht aus. Mit "Futurioso" pflegt Leibold seine eigene "technofuturistische" Late-Night-Show auf dem Twitch-Kanal des Theaters. Sein nächstes Großprojekt soll im Juni Premiere im Gaswerk feiern: Das Stück "Ugly Lies the Bone" verspricht ein digitales Erlebnis mit VR-Brillen, virtueller Realität für das Publikum. "Das ist die Gestaltung einer ganzen Welt", sagt Leibold. Eine Welt mit seiner Musik.