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Philipp Goldbach präsentiert im Glaspalast eine gigantische Arbeit

Augsburg

Ein Bildermeer im Glaspalast, so weit das Auge reicht

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    350.000 Dias aus New York am Boden des H2 und Philipp Goldbach mittendrin in den „Training Images“. Im Hintergrund an der Wand Goldbachs Arbeit „Lossless Compression“.
    350.000 Dias aus New York am Boden des H2 und Philipp Goldbach mittendrin in den „Training Images“. Im Hintergrund an der Wand Goldbachs Arbeit „Lossless Compression“. Foto: Mercan Fröhlich

    Die Digitalisierung hat uns fest im Griff und stellt uns Berauschte und Überforderte stets aufs Neue vor die Frage, wie wir es denn nun halten mit den Hinterlassenschaften des analogen Zeitalters. Weg damit, heißt es immer öfter. Und den Daumen senkt nicht nur der Einzelne, das tun auch größere Körperschaften: Ab in die Entsorgung mit dem analogen Informationsträger, der sich längst digital abrufen lässt. Raus also auch mit den zigtausenden Dias, die über Jahrzehnte hinweg an kunstgeschichtlichen Instituten als Lehrmittel dienten, säuberlich geordnet in meterlangen Schränken und Auszugsystemen.

    Auch Philipp Goldbach hat während seiner Studienzeit noch mit diesen Bildträgern gearbeitet, damals in den Nullerjahren, bevor die Bildbeschaffung für Kunsthistoriker über spezialisierte Datenbanken Einzug hielt. Und Goldbach arbeitet nach wie vor mit den alten 35-Millimeter-Dias, nunmehr jedoch nicht als Kunsthistoriker, sondern als Künstler. In Halle 2 im Glaspalast ist seit ein paar Tagen seine Ausstellung mit dem Titel „Training Images“ zu sehen. Das verwendete Material der dort gezeigten Arbeiten: ausschließlich Dias. Genauer gesagt ganze Diatheken, die von den Universitäten und ihren Kunstgeschichte-Abteilungen bereits ausgemustert wurden, ob in Bonn, Leipzig oder New York.

    Philipp Goldbachs Arbeit überwältigt in dem riesigen Raum

    Wer den riesigen Raum der Halle 2 betritt, ist regelrecht überwältigt. Am Boden zwischen den Säulen verstreut Dias, fast ist man geneigt zu sagen: so weit das Auge reicht. Mattweiße Rahmen, graue Rahmen, dazwischen auch metallisch-silberne, ein jeder Rahmen Träger ein paar Zentimetern Folie, dem eigentlichen Bild, fürs menschliche Auge erst richtig sichtbar mittels Projektion. Ein jeder Rahmen penibel beschriftet mit Informationen zu dem, was er enthält: Künstler, Kunstwerk, Entstehungszeit und manches mehr. Gemälde, Zeichnungen, Skizzen, Grund- und Aufrisse von Gebäuden, ein jedes aus Jahrhunderten - was da vor einem am Boden liegt, ist nichts weniger als ein Bildgedächtnis. In diesem Fall das für unbrauchbar erachtete Bilderreservoir des Instititute of Fine Arts der New York University, rund 350.000 Dias, nun nach dem Willen von Philipp Goldbach verstreut in einer ehemaligen Textilfabrikhalle in Augsburg.

    Erst im Frühjahr hatte Philipp Goldbach, Künstler aus Köln, den Hinweis erhalten, dass das kunstgeschichtliche Institut in New York im Begriff ist, seine Diathek auszumustern. Goldbach nahm Kontakt auf, legte den Uni-Verantwortlichen seine Absichten dar und organisierte die Übernahme. „Ich arbeite nur mit kompletten Diatheken“, erklärt er eines der Prinzipien seiner Arbeit. „Die Dias, die ich verwende, sind nicht einfach irgendwelche bei Ebay erworbenen Bestände.“ Per Container verschifft, kam die Diathek aus New York in Dutzenden Kartons verpackt in Deutschland und schließlich in Augsburg an. Goldbach nahm einen jeden und schüttete den unsortierten Inhalt auf dem Boden aus, verteilt wurde nur grob.

    „Training Images“ nennt Goldbach diese Arbeit. Eine vergleichbare hat er schon einmal in Wiesbaden mit der Diathek der Kölner Universität realisiert. Trainingsbilder - das bezieht sich zunächst einmal darauf, dass kunstgeschichtliche Institute solche Diatheken zu Ausbildungszwecken unterhielten. Und damit zugleich einen Kanon formierten, ein Bilderreservoir, das einerseits ausgesprochen umfangreich war, bei genauerer Betrachtung aber immer auch die Lehr- und Forschungsvorlieben in Köln, Bonn oder sonst wo spiegelte. Und auch von noch höherer Warte aus betrachtet nur einen Ausschnitt bildete - eine Bildsammlung, die eurozentriert war und in der etwa auch weibliches Schöpfertum, sehr im Gegensatz zu dem der männlichen Künstler, lediglich eine periphere Rolle spielte. Solche „Verzerrungen“, wie Goldbach sie nennt, sieht der Künstler auch in der KI am Werk, die ja mit subjektiv gesammelten „Trainingsbildern“ erst trainiert werden muss und damit die subjektive Handschrift in sich aufnimmt und weiterträgt.

    Mitten durch den Raum verläuft eine weitere Goldbach-Arbeit

    An der langen, quer durch die Mitte der Halle laufenden Wand, hat Philipp Goldbach eine weitere Dia-Arbeit angebracht. „Lossless Compression“ gründet auf der ausgemusterten Kunstgeschichte-Diäten der Universität Bonn, ein knapp zwei Dutzend Meter langer Fries, Dia für Dia aneinander geschichtet, an der Wand. Hier spiegelt die Arbeit das einstige Ordnungssystem wider, alphabetisch fortlaufend gemäß der Namen der Künstler - von Aalto, Alvar bis Zurbarán, Francisco. Der Blick des Betrachters fällt lediglich auf die schmalen Seiten der Dias, durch unterschiedliche Materialität und grau-weißer Farbtönung in allen Stufen ergibt sich ein unruhiges Muster in den gleichförmig aneinander gereihten Kanten der rund 240.000 Dias. Assoziativ vergleichbar mit dem schwarz-weißen Flimmern alter Fernseher, wenn sich kein Sender einstellen wollte.

    Noch eine dritte, kleinere, ebenfalls an eine Wand applizierte Arbeit zeigt Goldbach im H2, bestehend aus der Diasammlung des Fotografiekustos Andreas Krase. Sie korrespondiert mit eigens dazu verfasste Texten des Essener Fotografie-Professors Steffen Siegel - 23 lexikalischen Stichworten, von „Analog“ bis „VEB Foto Kino Mulda“, die sich über die Krase-Diathek hinaus auch als Hinführung an die von Goldbach verhandelte Thematik eignen.

    Philipp Goldbach, der im H2 schon einmal in der über den vergangenen Herbst/Winter hinweg laufenden Foto-Gemeinschaftsausstellung „Painting Photography“ zu sehen war, ist froh, die opulenten Raum im Erdgeschoss des Glaspalastes ein weiteres Mal und diesmal alleine bespielen zu können. Seine Arbeit mit kompletten Diatheken braucht Raum zur schieren Entfaltung, auch die Möglichkeit zur Betrachtung aus gebotener Distanz. „Ein bisschen“, sagt Goldbach und lässt seinen Blick die 22,5 Meter seiner „Lossless Compression“ entlanglaufen, „ein bisschen ist das wie Cinemascope“. Auch so ein Begriff aus der alten analogen Bilderwelt.

    Info: „Training Images“ ist im H2 im Augsburger Glaspalast bis Mitte Januar 2025. Geöffnet Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr.

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