Da schleichen Gestalten wie Geister durch die Nacht auf der Bühne, mit Napoleon-Zweispitz, im schwarzen Ledermantel und mit Augenklappe. Aber der wahre Blickfang liegt jetzt noch unter einem Schleier versteckt. Es ist ein Totenschädel. Haushoch und golden, bald enthüllen sie ihn und sein hohler Blick dreht sich zum Publikum. Dieser Koloss von einem Schädel wacht auf der Bühne im Martinipark – hier am Staatstheater Augsburg proben sie für "Fidelio". Tyrannei und politischer Widerstand, ein Held im Kerker und seine Frau, die ihn befreien will, davon handelt Ludwig van Beethovens einzige vollendete Oper. Ein ganzes Wurzelwerk von Mythen rankt sich um das Werk von 1814. André Bücker, Intendant des Staatstheaters, will mit seiner Inszenierung aber an der Legende kratzen. Prüfen, was da wirklich glänzt. An einem Stück, dass da so golden als Geschichte von Freiheit und Rettung funkelt. Dabei verrät der Intendant: "Ich hatte um diese Oper bisher immer einen Bogen gemacht."
Keine Liebe auf den ersten Blick
Nach Liebe auf den ersten Blick klingt es nicht, wenn Bücker über das Libretto von "Fidelio" spricht, über den Text der Oper. "Gespreizt" nennt er den Tonfall der Dialoge zwischen den Arien. Fast "biedermeierlich" findet er, was Joseph Sonnleithner, Stephan von Breuning und Georg Friedrich Treitschke da für Beethoven getextet hatten. Und dann die schwere Geburt der Oper, in ihrer komplizierten Form: Das Werk entstand über ein Jahrzehnt und in drei Versionen, die erste Uraufführung 1805, die letzte 1814. Beethoven schrieb allein vier Ouvertüren zum Werk. Eine Oper also, die mit sich ringt. "Die Form des Werks ist die zentrale Aufgabe", findet Bücker.
Und dennoch: Diese einzige Oper, die der Meister aus Bonn vollendet hat, hält der Zeit stand. "Das erstaunliche ist doch: Das Werk hat alle Systeme überdauert. Man hat immer 'Fidelio' gespielt", sagt Bücker. In Zeiten der Revolution wie in der stabilen Demokratie, und sogar als der Nationalsozialismus in Deutschland regierte. Schon die Oper "Léonore" von Pierre Gaveaux, die Beethoven als Vorlage nutzte, war im Sturm der Französischen Revolution entstanden. "Deshalb wirft die Oper für mich die Frage auf: Wie wird gute Kunst benutzt?", sagt Bücker. "Fidelio", Freiheits- und Rettungsoper? Bücker äußert Zweifel: "Der Staat bleibt im Stück intakt, die Lösung kommt per Gnadenerlass. Und das scheint mir sehr deutsch an dieser Oper. Freiheitsoper, das müsste doch anders gehen." Deshalb sei "Fidelio" für ihn ein Inbegriff der deutschen Oper.
Bücker setzt ein deutsches Puzzlebild in Szene
Auf drei schmalen Videosäulen, als würde man durch Gitterstäbe blicken, setzt Bücker ein deutsches Puzzlebild in Szene, wie ein Probenbesuch zeigt. Eine Parade von deutschen Figuren zieht vorbei, Karl der Große mit Krone, Albrecht Dürer mit Locken. Und dann blenden die Videoschnipsel immer tiefer in Abgründe der deutschen Geschichte.
Ein herkömmliches "Fidelio"-Bühnenbild will Bücker vermeiden. Da steht keine gemauerte Kerkerzelle, hinter die der Despot Don Pizarro (in der Rolle: Alejandro Marco-Buhrmester) seinen politischen Feind Florestan (Jonathan Stoughton im Wechsel mit Jacques le Roux) gesperrt hat. Stattdessen öffnet sich ein weites Feld auf der Bühne. Fast ein Totenacker bei Nacht. Und hier schleicht sich Leonore inkognito ein – sie gibt vor, ein Mann namens Fidelio zu sein, um ihren Liebsten, Florestan, zu befreien. Sally du Randt trägt diese Titelrolle.
Zuletzt hat Bückers Haydns "Die Schöpfung" in neue Form gebracht
Großes Werk, neu gefasst: Zuletzt hatte André Bücker das Oratorium "Die Schöpfung" von Joseph Haydn in neue Form gebracht – und in "Das Ende der Schöpfung" umgewandelt, ergänzt mit frischem Textmaterial. Diesmal greift er als Regisseur wie ein Chirurg in die Sprache zwischen den Arien ein. Zwischen der Musik tritt eine Art Erzähler in Aktion, der die Leitmotive des Werks in karge Sätze konzentriert: das Streben und Sterben, der Freiheitsdrang, Glück und Mammon, die Gewalt. Es sei eine "mephistophelische" Figur, verrät Bücker.
"Ich habe dafür viele verschiedene Dialogfassungen von Fidelio im Vorfeld studiert", erzählt der Intendant. Schon der Philosoph Hans Magnus Enzensberger hat den "Fidelio"-Text bearbeitet und auch heutige Literaten wie Jenny Erpenbeck. Aber was bleibt, ist Beethoven: "Die Musik ist überwältigend", findet der Regisseur. "Sie ist auf dem Millimeterpapier komponiert, nicht nur mit explosiver Emotionalität, sondern mit einer abgezirkelten Wirkungsmechanik. Es hat mich verblüfft, wie sehr mich die Musik dann doch emotional gepackt hat." Fest steht für ihn auch: "Auf Beethoven kann man sich wunderbar einigen." Und genau das will Bücker auch hinterfragen.
Info: "Fidelio", Premiere am 21. Mai, um 18 Uhr, im Martinipark. Infos unter www.staatstheater-augsburg.de.