Im Club 100HZ beginnt die Nacht an diesem Tag schon etwas früher. Dort, wo sonst Techno durch die Kellerräume hallt, trifft sich zur Mittagszeit eine Diskussionsrunde. Auf der Bühne debattieren Vertreter aus Politik, Verwaltung, Kultur und Forschung: Wie geht es dem Nachtleben? Wie kann Politik Nachtkultur fördern? Die Szene klagt über das große Club-Sterben, aber wie dramatisch ist die Lage? Und vor allem: Braucht die Stadt Augsburg eine eigene wissenschaftliche Studie über das Nachtleben? Diese Debatte war Teil der Nachtkultur-Konferenz „Stadt nach acht“.
Stuttgart hat 2023 eine Nachtstudie vorgelegt
Vorbilder gibt es, Stuttgart hat 2023 eine Nachtstudie vorgelegt: Der Gemeinderat hatte das Popbüro der Stadt und Region damit beauftragt, eine Untersuchung auf den Weg zu bringen. Die unabhängige Studie leitete das Stadtplanungsbüro „C/O Zukunft“: Gut 700 Gäste, Club- und Konzertgänger wurden befragt, aber auch Unternehmer aus dem Nachtleben interviewt. Dazu liefert die Studie Zahlen: 280 Millionen Euro Umsatz im Jahr produziert das Nachtleben in Stuttgart. „Das klingt viel, ist aber sogar eine konservative Rechnung“, sagt Nachtmanager Nils Runge vom Popbüro Stuttgart. Denn laut der Studie zieht jeder Euro, der in der Nachtkultur ausgegeben wird, 17 weitere Cent nach sich, von Taxifahrt bis Hotelzimmer.
Doch: „Da ist ein großes Aber, 50 Prozent der befragten Betriebe sehen ihren Fortbestand bedroht“, sagt Runge. 43 Prozent der Betreiber haben mit Konflikten und Beschwerden zu tun. Streit mit Anwohnern, Klagen über Lärm, solche Probleme nehmen laut Statistik zu. Das liegt laut Runge auch daran, dass die Außengastronomie in der Szene wächst, unter freiem Himmel entstehen neue Reibungspunkte. Wie wirkt sich das auf die Stimmung in einer Großstadt aus? In Schulnoten bewerten die befragten Gäste das Nachtleben. Erkenntnisse: Mit Bus, Tram, U-Bahn kommt man schnell in die Stadt, in die Nacht hinein – auf dem Rückweg sei das Angebot zu dünn. Doch der häufigste Grund, warum Menschen darauf verzichten, in Stuttgart nachts auszugehen: zu hohe Preise.
Auch die Stadt München hat das Nachtleben analysieren lassen
Auch die Stadt München hat ihr Nachtleben untersuchen lassen. Die frisch erschienene Studie konzentriert sich auf Musikspielstätten und zieht Bilanz nach der Corona-Pandemie: Welcher Club, welche Jazz-Bar, Musik-Kneipe, Bühne wurde geschlossen? Welche Stätte hat neu eröffnet? Die Kölner Agentur Creative Tides hat dafür Zahlen erhoben, eine Online-Befragung organisiert und Interviews mit Betreibern von Musikstätten geführt. Das Ergebnis: 153 Musikspielstätten gibt es in der Landeshauptstadt. Seit 2020 haben 14 solcher Musikorte geschlossen, 11 neu eröffnet. Ist das schon ein Club-Sterben? Olaf Kranz, vom Kompetenzteam für Kultur- und Kreativwirtschaft der Stadt München, spricht mit Vorsicht von einer „Fluktuation“. Er sieht aber Probleme: Neuer Raum für neue Spielorte sei schwer zu finden. Die Kosten für solche Projekte steigen, „die klassische Club-Gründung wird schwieriger“, und es wird teurer, auszugehen.
Braucht auch Augsburg so eine Studie? Jürgen Enninger, Kulturreferent der Stadt, zögert: „Zahlen sind teuer, aber sinnvoll, wenn sie einen ins Handeln bringen.“ So eine Studie sei mit Kosten verbunden, müsse in Auftrag gegeben werden. Aus Enningers Sicht sind der Politik aber viele der Problemfelder bekannt. Er nennt als Stichworte die Gentrifizierung, die Energiekrise, die Langzeitfolgen der Corona-Pandemie: „Wir haben in dieser Zeit Menschen verloren, die in der Motivation waren, Künstler zu werden.“ Enninger würden vor allem qualitative, inhaltliche Fragen interessieren: Wie kann Raum für Nachtkultur geschaffen werden? Wie lässt sich die Live-Musik fördern?
Augsburgs Nachtleben verändert sich, die Sperrstunde fällt
Augsburgs Nachtleben verändert sich: Die Stadt hat in diesem Jahr die Sperrstunde aufgehoben. Im Vorfeld habe es von vielen Seiten Bedenken gegeben, berichtet Frank Pintsch, der Ordnungsreferent der Stadt. Wie viele Beschwerden gab es durch die Aufhebung der Sperrstunden? „Null“, sagt Pintsch, die Club-Betreiber hätten sich an alle Regeln gehalten. Trotzdem sieht er einen kritischen Faktor: Das subjektive, also das gefühlte Sicherheitsempfinden ist allgemein angeknackst. Wie groß ist die Gefahr in der Nacht? Wie sicher ist man vor Übergriffen, Gewalt, Konflikten? Augsburg ist laut Kriminalstatistik die zweitsicherste Großstadt in Bayern, darauf verweist Pintsch. „Die Gefühlslage ist aber eine andere und daran müssen wir arbeiten.“
Augsburgs Nachtleben, „geht da mehr?“, fragt der Moderator. Ja, sagt einer, der die Szene mitgestaltet: „Wir sind eine C-Stadt, wir tun uns schwer in Augsburg“, sagt Sebastian Karner, Betreiber der Kantine, des Weißen Lamms und der Soho Stage. Er sieht Schwächen in Augsburg, viele junge Menschen gingen für Live-Konzerte lieber nach München. „Ich glaube, wir brauchen die Studie, für die Vergleichbarkeit. Das wäre ein wichtiger Impuls.“
Was wünschen sich junge Augsburger für das Nachtleben?
Bei der Konferenz „Stadt nach acht“ konnten junge Menschen ihre Stimme mit einbringen. Schüler, Azubis und Studenten aus Augsburg nahmen teil an einem Workshop, Anna-Katharina Helwig – von der Fachstelle Partizipation junger Menschen – trägt die Wünsche und Sorgen vor: „Sicherheit ist ein Riesenthema.“ Junge Menschen wünschten sich stärkere Sicherheitskontrollen. Außerdem sei die Mobilität ein Knackpunkt, wie komme ich nach Hause in der Nacht, auch in Orte im Umkreis von Augsburg? Und junge Menschen wünschten sich eine Nachtkultur abseits der klassischen Clubs: Konsumfreie Räume. Freie Plätze für Kreativität. Manche Wünsche sind konkret: Gute Beleuchtung an den Basketballplätzen für späte Stunden.
Was hat die Nachtstudie in Stuttgart bisher bewirkt? „Als allererstes hat uns das Papier Anerkennung gebracht“, sagt Nachtmanager Runge. „Es gibt uns einen Satz an Argumentationsgrundlagen, aus unterschiedlichsten Perspektiven.“ Dass in Stuttgart die U-Bahn ab 2025, testweise, in Nächten vor Feiertagen und an Wochenenden länger fahren wird, das habe die Studie mit angestoßen. Das Stadtplanungsamt frage bei Runges Büro nach Karten und Plänen aus der Studie. Wobei sich Runge noch mehr Verbindlichkeit wünscht: konkrete Leitlinien, auf Basis solcher Studien.
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