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Musikgeschichte: So vielfältig war das Augsburger Musikleben im 18. und 19. Jahrhundert

Musikgeschichte

So vielfältig war das Augsburger Musikleben im 18. und 19. Jahrhundert

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    Eine Ansicht von Augsburg aus dem Jahr 1846. Gut 60 Jahre zuvor war hier auch einmal Ludwig van Beethoven zu Gast, in der Mozartstadt.
    Eine Ansicht von Augsburg aus dem Jahr 1846. Gut 60 Jahre zuvor war hier auch einmal Ludwig van Beethoven zu Gast, in der Mozartstadt. Foto: Susanne Wosnitzka

    Geben Sie acht! Denn in Augsburg „geschichtelt“ es auch an Stellen, denen Sie es heute nicht mehr ansehen. An dieser Ecke Ende Maximilianstraße zum Beispiel, kurz vor dem Goldenen Erker, anstelle des einstigen Filmpalastes stand hier einst die Goldene Traube, zwischen 1746 und 1806 ein „Zentrum der bürgerlichen Musikausübung“, so Susanne Wosnitzka, ein Gasthaus mit sage und schreibe drei Konzertsälen und Platz für 2.200 Gäste: den parallel zur benachbarten Kirche St. Moritz gelegenen Rotundensaal, den Apollosaal und den Kleinen Saal. Hier gaben sich Berühmtheiten aus Musik, Tanz, Theater und Society ein Stelldichein. Die rauschenden Faschingspartys, die dort stattfanden, dauerten durchaus bis halb acht morgens - ein Beschwerdegrund für den

    Hier in Augsburg konzertierte Franz Liszt, dort Clara Schumann

    Zwei Säle wurden übrigens zum Konzert des charismatischen Tastenlöwen Franz Liszt geöffnet und es bestaunten über 1.500 Besucher die Fingerakrobatik des Vielgerühmten, weiß Susanne Wosnitzka. Wenn die gebürtige Ulmerin und Augsburger Musikwissenschaftlerin zu erzählen beginnt, kommt sie von Hölzchen auf Stöckchen, und die Informationen verzweigen sich wie bei einem Baum. Mit jedem Punkt gibt es Anknüpfungen zu einem neuen Trieb und es entsteht ein vielfarbiges Bild von Augsburg im beginnenden 19. Jahrhundert.

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    Foto: Susanne Wosnitzka

    Im Gasthaus Goldene Traube konzertierten schon Johann Strauss mit Orchester oder Clara Schumann, zu ihrer Zeit die sogenannte Hohepriesterin der Kunst. Während ihres Augsburger Gastspiels Ende 1857 übernachtete sie vermutlich bei Bekannten, der Familie Then, wohnhaft unmittelbar am Frauentor (heute Hausnummer 8). Hier war auch die Werkstatt von Meister Christian Then (1803 - 1877), der zwischen 1834 und 1866 als hoch geschätzter Klavierbauer in Augsburg wirkte. Obwohl heute fast unbekannt, gilt er als einer der innovativsten Klavierbauer seiner Zeit und ist insofern ein würdiger Nachfolger von Andreas Stein, ebenfalls bedeutender Augsburger "Clavierbauer". Thens Tochter Käthchen (Viktoria Katharina, 1837 - 1905) ) war in den 1850er Jahren eine Schülerin von

    Susanne Wosnitzka erforscht die Rolle der Frau im Wandel der Zeit

    Eine zweite und nicht minder wahrscheinliche Übernachtungsmöglichkeit waren Claras Freundinnen Emilie und Elise List, Töchter des Nationalökonomen Friedrich List, die auch, wie aus ihrer Briefkorrespondenz hervorgeht, ihre Konzerte organisierten. Im Alter von 21 Jahren wurde

    Ein Themaschwerpunkt der Forschung von Susanne Wosnitzka, die auch wissenschaftliche Mitarbeiterin im Frankfurter Archiv Frau und Musik ist, ist die Frauenrolle im Wandel der Zeit. Und auch hier kann Augsburg punkten - etwa mit Susanna Jacobina Jungert (1741 - 1799), Sopranistin und Schülerin von Johann Gottfried Seyfert, Enkelschüler von J. S. Bach; oder in Person der Claviervirtuosin Caroline von Staudt (1830 - 1917), die in Rothenburg o. d. Tauber geboren wurde und sich über musikalisch sehr erfolgreiche Wege 1855 schließlich in der Augsburger Maximilianstraße als Klavierlehrerin niederließ.

    Augsburg hatte im 18. Jahrhundert eine Vielfalt an Zeitungen

    Erstmals erwähnt wird sie im Augsburger Tagblatt anlässlich eines Benefizkonzertes des veranstaltenden Hofrats Dr. Franz Reisinger (1787 - 1855) zugunsten der Kranken- und Witwenkasse eines Orchesters. Frau von Staudt spielte hierzu ein - damals brandneues - Klavierkonzert von Sigismund Thalberg, einst starker Konkurrent von Klaviertitan Franz Liszt. Dr. Reisinger müssen Sie sich merken, werter Leser! Der Hofrat war seit 1831 Direktor des Augsburger Allgemeinen Krankenhauses und leitete ab 1853 immerhin das erste Brustkrebszentrum Augsburgs. Er war nicht nur ein hervorragender Arzt, sondern auch ein hervorragender Laienmusiker - Dilettant nannte man das damals anerkennend - und ein bedeutender Kunstmäzen, gründete einen aus Profis und Laien bestehenden Orchesterbund, aus dem später das Philharmonische Orchester Augsburg hervorging, und mit dem er jährlich mehrere Konzerte in der Fuggerstadt realisierte.

    Zum Thema Brustkrebs veröffentlichte er im Augsburger Tagblatt medizinische Artikel, die auch für Nicht-Mediziner verständlich geschrieben waren, weiß Susanne Wosnitzka. Das Augsburger Tagblatt ist für sie eine wichtige Quelle, ebenso die anderen damaligen Zeitungen wie die Augsburgische Ordinari Postzeitung, die Augsburgische Ordinäre Zeitung, der Augsburger Intelligenzzettel und das Intelligenzblatt, die Neue Augsburger Zeitung, die Augsburger Postzeitung und das Augsburger Tagblatt und andere. In Augsburg gab es im 18. und 19. Jahrhundert ein reichhaltiges Zeitungswesen, erklärt sie.

    Dies ist das einstige Wohnhaus von Carolina von Staudt, am Schmiedberg in Augsburg.
    Dies ist das einstige Wohnhaus von Carolina von Staudt, am Schmiedberg in Augsburg. Foto: Susanne Wosnitzka

    Beethovens Spuren führen auch nach Augsburg

    Die sieben genannten Printmedien, die teils täglich, teils wöchentlich erschienen, hat sie im Zeitraum zwischen 1746 und 1860 durchforscht. Ihr Inhalt ist heute noch hochinteressant. Darin finden sich nebst dem Tagesgeschehen auch die namentlichen Nennungen im Hotel eingecheckter Reisender (unter ihnen am 26. April 1787 ein gewisser Herr Beethoven), Konzertankündigungen, Rezensionen, Theaternews und vieles mehr. Diesen Mitteilungsblättern verdankt Susanne Wosnitzka eine sensationelle Entdeckung. Denn mit im Gepäck der letzten Konzerttournee des angekündigten Musikerehepaars Krähmer aus Wien waren auch die heute verschollenen Oboenkonzerte von Beethoven und von Mozart in Form von Original-Manuskripten.

    Sie lesen richtig: Es gibt ein verschwundenes Oboenkonzert in F-Dur anno 1793 von Beethoven, dessen Skizzen in den 1960ern auftauchten, und ein verschollenes von W.A. Mozart. Beide wurden am 3. Oktober 1834 von Ernst Krähmer, dem 1. Oboisten der Wiener Hofmusikkapelle, im Theater Augsburg aufgeführt. Dass er hierbei aus dem Originalmanuskript spielte, kann Susanne Wosnitzka nachweisen.

    Früher neben heute: der Moritzplatz in Augsburg, im historischen Vergleich.
    Früher neben heute: der Moritzplatz in Augsburg, im historischen Vergleich. Foto: Susanne Wosnitzka

    Susanne Wosnitzkas Forschung führt in Augsburgs Musikgeschichte

    Ernst Krähmer (1795 - 1837) war gebürtiger Dresdener, zunächst Erster Oboist an der Deutschen Oper ebendort, dann übersiedelte er nach Wien. Krähmers Frau Caroline Schleicher war eine ebenfalls hervorragende Klarinettistin und Komponistin - bei ihrer Trauung war Mozarts Sohn Franz Xaver Trauzeuge - und beide tourten mehrmals europaweit. Augsburg hatte die Ehre, da Krähmers Schüler Caspar Reichardt als Flötist und Oboist im Augsburger Theaterorchester engagiert war und dadurch der Kontakt zustande kam. Es ist eine aufregende und durchaus mögliche Vermutung, dass sich Reichardt eine Abschrift von beiden Oboenkonzerten nicht entgehen ließ - zumal die Krähmers zwei Wochen lang in der Fuggerstadt blieben. Nach Reichardts Tod 1857 wurde sein Nachlass versteigert und verkauft - an wen, ist nicht bekannt.

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