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Musik: Musiker Emerge feiert 20 Jahre Verrücktheit - und geht auf Tour

Musik

Musiker Emerge feiert 20 Jahre Verrücktheit - und geht auf Tour

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    Der Musiker Sascha Stadlmeier alias Emerge macht seit 20 Jahren experimentelle Musik.
    Der Musiker Sascha Stadlmeier alias Emerge macht seit 20 Jahren experimentelle Musik. Foto: Dan Penschuck

    Nächste Woche geht Sascha Stadlmeier auf Tour durch Deutschland. Mit 49-Euro-Ticket, Sofaübernachtungen und einem erwarteten Zuschauerschnitt von 30 Menschen. Seit genau 20 Jahren ist er unter dem Namen Emerge als Musiker aktiv. Könnte man nach so langer Zeit nicht einen ausverkauften Club erwarten, einen Tourbus, wenigstens Hotelübernachtungen? In Stadlmeiers Fall nicht, und das hat nichts mit mangelndem Erfolg zu tun, sondern mit dem Geist der Szene, in der sich der hochgewachsene Künstler, dessen Ziegenbartlänge proportional zu seiner Körpergröße ist, seit zwei Dekaden bewegt: experimentelle Musik, Ambient, Musique Concrète. 

    Stadlmeier entdeckte durch dunklen Gothic Rock und kalten Industrial die Klangwelten der genannten Genres, fand in seiner Heimatstadt aber weder Szene noch Infrastruktur vor. Da fährt man dann eben mal bis nach Münster, um zusammen mit einer Handvoll Gleichgesinnter ein japanisches Noise-Duo zu sehen. Einer der Gleichgesinnten im Publikum stellte sich als Stefan Knappe vor, Inhaber des einflussreichen Labels Drone Records, auf dem auch schon die Einstürzenden Neubauten veröffentlichten. Dort kam 2003 Emerges erster Tonträger heraus, eine Vinyl-Single mit zwei Songs, von denen gleich noch zu reden sein wird.

    Stadlmeier kümmerte sich um die fehlende Augsburger Infrastruktur selbst

    Um die fehlende Infrastruktur in Augsburg kümmerte er sich selbst, er veranstaltete zahllose Konzerte und gründete das Label Attenuation Circuit, auf dem er erst nur seine eigene, ab 2011 dann experimentelle Musik aus der ganzen Welt veröffentlichte – die Szene ist klein, aber international bestens vernetzt. 

    Emerge begann unter dem Namen Dependenz, bereits existierende Stücke „bis zur Unkenntlichkeit zu verändern“ oder mit sogenannten Found Sounds, also Geräuschen aus den unterschiedlichsten Quellen, Stücke zu komponieren. Soundscape nennt man eine solche Komposition, ein Gemälde aus Klang. Als Emerge beschränkte er sich als Verbeugung vor dem großen japanischen Soundkünstler Aube darauf, für ein Stück immer nur eine Soundquelle zu verwenden – mit dem Reiz, alles an Klang aus einem Grundgeräusch zu holen und die Quelle für das Publikum nicht mehr erkennbar zu machen. Das hat auch einen Grund. „Die Deutungshoheit soll bei den Hörern bleiben.“ Emerge war auch immer eine Auflehnung gegen die Kunstszene, in der die Deutung meistens vorgegeben wird. „Bei Emerge brauchst du keine Vorbildung, du musst dich nur darauf einlassen“, sagt er. 

    Triple-CD zum Jubiläum: Es ist wie ein Hörspiel ohne Worte

    Dazu bietet die eben erst zum Jubiläum erschienene Triple-CD „20“ reichlich Gelegenheit. Die erste CD ist ein Rückblick auf früher und ein Einblick in das Jetzt. Das bisher unveröffentlichte Stück „Fahrenheit“ zeigt in fast 22 Minuten, wie gläsernes Flirren und tiefe Drones zusammen langsam die Intensität steigern und einen die Gedanken in die verschiedensten Welten treiben: mal klingt es wie ein Gang durch ein postapokalyptisches Industrieareal, mal wie eine Reise durch das versunkene Atlantis. Es ist wie ein Hörspiel ohne Wörter, wie ein absurdes Theaterstück für die Ohren. Die sechs Variationen von „Minuscule“ dagegen stehen für Emerges Entdeckung der Stille. Fast unhörbare Passagen lassen die darauffolgenden Geräuschkompositionen noch intensiver wirken, es ist noch einladender, völlig in Emerges Kosmos zu versinken. 

    Auf den weiteren zwei CDs verwenden jeweils 20 Weggefährten die Klänge der zwei prophetisch benannten Stücke seiner ersten Single für einen Tribut an Emerge. „Relativity“ kann Verwandtschaft bedeuten – eine nicht unpassende Beschreibung der familiären experimentellen Szene, in der Stadlmeier ein wichtiger Teil wurde. „Es geht darum, Grenzen zu überwinden, sich auszutauschen, das Leben der Menschen in anderen Ländern kennenzulernen. Wenn mir in einem Land Hotel oder Couch angeboten wird, nehme ich immer die Couch.“

    Es soll keine Ablenkung geben: Emerge spielt fast immer im Dunkeln

    „Profundity“, also Tiefgründigkeit, ist eine gute Beschreibung für seine Herangehensweise. „Ich will die Leute nicht vor den Kopf stoßen. Ich möchte die Menschen abholen und auf eine Reise entführen. Ich möchte, dass sie den Fokus auf den Sound lenken, dass sie in ihr Innerstes gehen – die Komposition wird von den Hörerinnen und Hörern vollendet.“ Deswegen spielt Emerge eigentlich immer im Dunkeln, ohne Visuals, im Schneidersitz mit Kapuze auf dem Kopf auf dem Boden sitzend, „am besten mit den Menschen um mich herum, die dann manchmal mit geschlossenen Augen auf dem Boden liegen“. Es soll keine Ablenkung geben, denn nur in voller Konzentration auf den Klang öffnet sich das Tor zur Welt von Emerge. Diese Welt kann im eigenen Kopf auf einmal ganz bunt und verrückt sein.

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