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Mozartfest: Beswingt und verkabelt: Jazz, Elektronik und Klassik beim Mozartfest

Mozartfest

Beswingt und verkabelt: Jazz, Elektronik und Klassik beim Mozartfest

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    Quatuor Ébène und Xavier Tribolet beim Mozartfest im Parktheater.
    Quatuor Ébène und Xavier Tribolet beim Mozartfest im Parktheater. Foto: Bastian Walcher

    Natürlich ist dieses Theater ein Blickfang. Wäre ja fast ein Verbrechen, nicht alle Ecken in diesem Saal zu bestaunen, die goldenen Jugendstilsäulen, die hohe Galerie, die buntverglasten Fenster – aber wenn man im Parktheater Göggingen, nur ausnahmsweise einmal, die Augen schließt ... ja, dann könnte man meinen, dass jetzt ein Lamborghini übers Parkett brettert. Ein Fauchen, ein Zischen, da sirrt etwas am Ohr vorbei, ohne vorher den Blinker zu setzen.

    Was das Publikum hier beim Augsburger Mozartfest erlebt, ist Klassik auf der Überholspur: Hier jault kein 650-PS-Monstrum, sondern eine Geige. Das Tempo pumpt durch die Venen der Musik, das ganze Streichquartett auf der Bühne wuselt über die Saiten, mit Pizzicato, Triller, Glissando. Und dazu treiben elektrische Töne den Vierersound an: klopfender Beat, klarinettenähnliches Gemurmel, künstliche Wellen aus dem Synthesizer. Was geschieht hier mit der Musik, beim Mozartfest

    Quatuor Ébène gibt ein elektronisches Gastspiel in Augsburg

    „Das ist ein ganz neues Projekt für uns“, erklärt Pierre Colombet, der Erste Geiger des Quatuor Ébène. Ganz neu also – und nicht nur für dieses renommierte Streichquartett. Die vier Franzosen schlagen einen immer noch recht jungen, neuen Weg ein, im altehrwürdigen Format des Streichquartetts. „A melody from the highway“ – also „Eine Melodie von der Autobahn“, so hat der Elektrokünstler Xavier Tribolet seine Komposition getauft. Jetzt sitzt er in Augsburg selbst mit auf der Bühne, am Synthesizer hinter dem Quartett, und macht mit den vier Klassikern gemeinsame Sache. Geswingt und verstärkt, Jazz, Klassik, Live-Elektronik – alles kunstvoll miteinander verkabelt. 

    Es braucht schon einige Zeit, bis das Ohr versteht, was das eine mit dem anderen zu tun hat: Am Anfang mischt sich der Jazz als Genre zwischen das Quartett und die Elektronik. Duke Ellingtons „Africa Flower“ begleitet Tribolet – noch händisch und unverzerrt – an einer kleinen Trommel. Aber er streut eben auch erste Piepsgeräusche in die Jazzharmonie, als ob ein Scanner über ein Blatt zischt, ein Radar über die Landkarte kreiselt. 

    Xavier Tribolet spielt elektronisch mit beim Mozartfest 2024

    Und genau das ist die Umleitung, die das Projekt als Pfad pflastert: von der klassischen Königsdisziplin Quartett über die Freiheit des Jazz. In Charles Mingus „Goodbye Porkpie Hat“ gelingt das originell, mit elektrischer Trompete, geisterhaft zwischen Spiel und Ernst zum Sound eines Streichquartetts, das den Groove bewundernswert im Gespür hat.

    Und dieser Mut zum Experiment, wie er im Jazz zelebriert wird, führt dann auch zu den Werken des Franzosen Olivier Messiaen, der selbst mit Elektronik experimentiert: „Der Kuss des Jesuskindes“, 1944 in Paris komponiert, klingt auf der Augsburger Bühne wie nicht von dieser Welt. Himmlisch schwebt alles im Ungewissen, über einer Ahnung von einer elektronischen ... Orgel? Glasharmonika? Und einem E-Bass? Tribolet spielt mit Sounds jenseits der klassischen Hörerfahrung.

    Das Quatuor Ébène bildet in Augsburg eine starke Einheit

    Das Werk „Fratres“ von Arvo Pärt – 1970 komponiert, als ein Stück mit hypnotischer Wirkung – tunkt den Sound tief in Trauer und Unbehagen, in musikalisches Unheil, mit Elektro-Tönen aus dem Oktaven-Keller, die auf die Magengrube zielen. Ein elektronischer Höhepunkt: ein Auszug aus dem Requiem von Gabriel Fauré. Die Elektro-Orgel lässt zarte, wolkige Tonwellen auf und ab wandern, wie aus einem Nebenkämmerlein belauscht, darüber fließt der wärmste Quartett-Schmelz. 

    Klingt das erzwungen? Bleibt das alles nur ein Laborversuch? Am stärksten funkt es zwischen Elektronik und Saiten in jenen Stücken, die Tribolet (Elektroniker, Jazzer, Pianist) extra für diese Kombi geschrieben hat: Der Sound aus dem Synthesizer baut das musikalische Gerüst auf, bietet ein rhythmisches Geländer mit sich wiederholenden Wiederholungen, und manchmal legt er auch das Fundament für eine Stimmung, die Farbgrundierung. Aber das Innen- und Seelenleben füllt das Streichquartett mit Menschlichkeit. Und je später der Abend, desto intensiver auch mit Temperament.

    Virtuoses Spiel wird im Kurhaus Göggingen mit zwei Zugaben belohnt

    In Tribolets „Au-delà des Pyrenées“ schwingt sich das Quintett auf einen Tanz ein, locker aus der Hüfte zum Hammondorgel-Funk. Die Streicher? Liefern sich virtuose Jagden mit wild abgerissenen Tönen. Dieses ganze Vergnügen gipfelt in zwei Zugaben – und davon fühlt sich ein Stück (belebte Technik!) in die Seele eines Metronoms hinein.

    Dieses Taktell, ein Klick-Klack der Elektronik, dreht allerdings am Rad: Tempo-Sprünge, Brüche in der Platte, Takt-Schluckauf. Faszinierend, wie dieses Spitzen-Quartett (gegründet 1999, fünffach „Echo Klassik“-prämiert) nicht einmal dabei in Schweiß auszubrechen scheint, auf musikalischer Augenhöhe von den Geigen bis zum Cello. Diese vier überschreiten Grenzen, aber bleiben als Ensemble fest verdrahtet, als starke Einheit. Und sie haben an diesem Abend auch einen engen Draht zum Publikum gefunden. Riesiger Applaus.

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