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Mozartfest Augsburg: "À la carte" beim Mozartfest: Fazil Say mischt sich unter Mozart und Beethoven

Mozartfest Augsburg

"À la carte" beim Mozartfest: Fazil Say mischt sich unter Mozart und Beethoven

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    Mozartfest 2024: Der Pianist Fazil Say spielte im Kleinen Goldenen Saal.
    Mozartfest 2024: Der Pianist Fazil Say spielte im Kleinen Goldenen Saal. Foto: Mercan Fröhlich

    Manchmal genügt schon ein kurzer Blick in das Programmheft, um zu erkennen: Da liegt Mut in der Musik! Mozartfest 2024, im Kleinen Goldenen Saal spielt der Pianist Fazil Say. Auf dem Menü stehen erlesene Klavier-Solowerke von Beethoven, Mozart und Scarlatti. Und dann, wie eine Pointe, setzt der Künstler des Abends seinen eigenen Namen in die Reihe:

    Domenico Scarlatti (1685 – 1757) und Fazil Say trennen Jahrhunderte in der Geschichte – aber sprechen sie über die Musik, klingen sie fast wie Brüder: Der Italiener warnte damals sein Publikum vor der Leichtigkeit seiner Sonaten: "Erwarte in diesen Kompositionen keine profunde Gelehrsamkeit." Heiter sollte die Klaviermusik sein, ein Spiel. Und Fazil Say? Der erklärt: "Meine Musik ist nicht super Avantgarde und nicht extrem abstrakt." Aber hört man zu, wie Say Scarlatti spielt, entpuppen sich solche Zitate als dezente Tiefstapelei: Der Türke spielt vier Sonaten des Italieners, vier von insgesamt 555. Er gestaltet ein feines Spiel zwischen Höhen und Tiefen: Der Bass tritt in schweren Stiefeln auf, dann schweben Triller in der Luft, erst trittsicher hinab, dann umso schwereloser empor. Besonders fein: Wie Say jede Phrase, jeden Melodiebogen vollendet. So schlüssig, klassisch und natürlich wie der Punkt am Ende eines Satzes. Diese pure Schönheit der Klänge reicht in die Tiefe, bis unter die oberflächlich gepinselte Klangfarbe. Say findet in Scarlattis Werk eine natürliche, eine selbstverständliche Zartheit, in der eine Ahnung von Mozart anklingt.

    Fazil Say schöpft ein Schauspiel aus der Musik

    Was Fazil Say aus der Musik schöpft, ist auch ein ganzes Schauspiel: Er lehnt sich zum Publikum, balanciert an der Klavierhockerkante. Blickt durch schwarze Brillengläser, setzt die Brille ab. Und vor allem: Er singt, summt und brummt, wenn ihn die Musik dazu bringt. Was jetzt in und aus und mit ihm schwingt: Wolfgang Amadeus Mozarts Klaviersonate KV331. Selbst in den ersten lieblichen Takten schwingt eine Unruhe mit, die erst noch mit Vorsicht im Dreiertakt pendelt. Aber in den Variationen des ersten Satzes entwickelt Say fast eine gewisse Frechheit im Spiel, ohne Galanterie, mit Witz. Say scheint in jedem Takt nach Freiheit zu suchen, nach originellen Gedanken im Werk des Originalgenies. Sogar im "Rondo alla turca", im tausendundeinmal gespielten "Türkischen Marsch": Die Triller perlen unerhört frei, die schnellen Läufe schlängeln sich durch den ganzen Saal. Und wenn es laut wird, dann mit Wonne: Tasten sind da, um kräftig gedrückt zu werden, Hämmer sind da, um auf Saiten zu hämmern. Zupackend, aber nie zu grob.

    Der türkische Marsch ist bei aller Feinheit auch eine Karikatur: So klingt sie also, die Musik der Türken, mit Gerassel und Melodie-Geschlängel – dabei hat es der Jetsetter Mozart nie bis Istanbul geschafft. Also alles ein Klischee? Klanglandschafts-Ölgemälde, dick aufgetragen? Wie die türkische Kultur heute klingt, das zeigt Say mit seinen Kompositionen. In "Kara Toprak" klingen Verlust und Trauer an, Say spielt mit den Saiten unter dem offenen Flügeldeckel, er zupft sie und es klingt wie eine Laute aus der Ferne. Aber dann führt das Werk in eine Romantik, die in seinen Balladen noch weiter aufblüht: lyrisch, mit einem Hang zu den tiefen Tasten. Das hat durchaus Popqualitäten. Und in seiner Sonate "Yani hayat" ("Neues Leben") wischt er so geisterhaft mit den Fingern über die Saiten, dass es effektvoll klirrt, dass es zur Filmmusik taugt. Fazil Says Verhältnis zu seiner Heimat ist ein spezielles, kein ungetrübtes: Er spricht sich gegen Islamismus aus, gegen den naiven Glauben. 2012 wurde er in der Türkei verurteilt, weil er sich auf Twitter über Muezzine und den Koran amüsierte. 2015 wurde sein Urteil aufgehoben, im Namen der Meinungsfreiheit.

    Die größte Wucht entfaltet Say mit Beethoven

    Ein anderer, der für Freiheit einstand: Die größte Wucht entfaltet Fazil Say an diesem Abend mit Ludwig van Beethovens Hilfe. Die "Appassionata", Nr. 23 unter seinen Sonaten, wurde in den Wirren der napoleonischen Kriege geboren, in Zeiten des Kanonendonners. Im ersten Satz (Allegro assai) steigt eine Melodie aus düsteren Tiefen in die Höhe. Aber kein komponierter Gedanke findet so recht Halt, kein Tempo und kein Fluss der Melodie setzt sich auf Dauer durch, immer wieder brechen die Linien. Say lässt da ein Gewitter auf kleinem Raum ausbrechen, das unter den Kronleuchtern an die akustischen Grenzen des Saals prallt. Im zweiten Satz (Andante con moto) beruhigt sich die Musik in einem Gebet, ganz liedhaft. Aber der Choral verwandelt sich mit jeder Variation, bis sich fast eine Spur von Jazz, von Groove in Says Spiel schleicht. 

    Was zum endgültigen Dammbruch der Gefühle führt, im Finale in eine Etüde von Lebens- und Überlebenswillen. Wobei: Leidenschaftlich spielt er die "Appassionata". Aber eben auch klassisch, in Beherrschung der Form. Das Publikum verzichtet am Ende auf jede klassische Zurückhaltung – lang anhaltender, stehender Applaus für Fazil Say. 

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