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Live-Tatort verwandelt Druckerei der AZ in Krimischauplatz

Staatstheater Augsburg

Ein Verbrecher-Trio unter Druck: Live-Tatort bei der Augsburger Allgemeinen

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    Hauptrollen zwischen dicken Papierrollen (v.l.n.r.): Mirjam Birkl, Mehdi Salim und Sarah Maria Grünig. Im Hintergrund: Martin Müller.
    Hauptrollen zwischen dicken Papierrollen (v.l.n.r.): Mirjam Birkl, Mehdi Salim und Sarah Maria Grünig. Im Hintergrund: Martin Müller. Foto: Jan-Pieter Fuhr

    Wenn die Sonne untergeht über dem Stadtteil Lechhausen, dann laufen in der Curt-Frenzel-Straße die Maschinen heiß. Andruck bei der Augsburger Allgemeinen! Donnersound in den Hallen, Techniker schwitzen unter Lärmschutzkopfhörern, Blätter rauschen im Takt von Tausenden über die Fließbänder: Hier wird die Zeitung von morgen gedruckt, für Leser von Nördlingen bis Mindelheim. Normalerweise. Denn an diesem Abend spielt sich an diesem Ort eine ganz andere Szene ab, eine kriminelle: Drei Gestalten in glitzernden Party-Kostümen stolpern ins Foyer der AZ. Worte fliegen aufgeregt hin und her, mit jedem Satz wird klarer, dass diese Drei etwas verbrochen haben. Wie bitte? Überfall auf einen Stripclub? Jemand hat die Pistole verloren? Die Polizei hat das Nummernschild des Fluchtautos gesehen? Und zwischen den drei Gangstern sitzt das Publikum, das jetzt mit großen Augen rätseln darf, was wirklich passiert ist. Das ist das Prinzip dieses Theater-Formats: Beim Live-Tatort des Staatstheaters Augsburg erleben Zuschauer und Zuschauerinnen einen Krimi-Fall vor Ort, in besonderer Kulisse. Sie schleichen mit den Kriminellen durch die Geschichte. „Wir müssen fliehen“, sagt die eine zum Rest der Bande, und zum Publikum: „Ihr werdet uns dabei helfen!“

    David Ortmann inszeniert den neuen Staatstheater-Tatort

    Für den Theater-Tatort sucht das Staatstheater nach außergewöhnlichen Spielorten, nach Plätzen, die sonst der Öffentlichkeit verschlossen bleiben, die sonst kein Unbefugter betritt. Ein verwaistes Offizierskasino, das alte Gaswerk, und jetzt wird die Druckerei zur Bühne. Ein Video-Trailer leuchtet schon auf der Leinwand im AZ-Foyer, Pupillen im Fadenkreuz, dazu klingt die Tatort-Melodie – 20.15-Uhr-Sonntags-Flair trifft auf Schnitzeljagd-Spaß.

    Denn den Krimi-Plot hat das Team um Regisseur David Ortmann auch diesmal mit spürbar viel Liebe auf die Kulisse zugeschnitten und zugetextet: Der Pfad der Story führt das Publikum hinein ins Innerste der AZ, auf eine Tour zu den hallenhohen Drucktürmen, vorbei an Druckplatten, Gabelstaplern und tonnenschweren Papierrollen. Hier – so viel sei verraten – wird es noch knallen.

    Der Tatort des Staatstheaters spielt in der AZ-Druckerei

    In dieser Kulisse entwickelt sich eine Robin-Hood-Geschichte der etwas anderen, nicht ganz so selbstlosen Art: Drei Mitarbeiter der AZ bilden in diesem Krimi eine verschworene Gemeinschaft. Sie hecken kleine bis mittelschwere Raubzüge und Diebstähle aus –denn Blaulicht fasziniert die Leser. Solche Schlagzeilen sichern die Auflage der Zeitung, und damit auch die eigenen Arbeitsplätze des Trios. Zur Gewissenserleichterung verstecken sie aber jedes Mal Tipps in der Zeitung, wo denn die Diebesbeute wiederzufinden ist, sie selbst behalten keinen Cent des Raubguts. Sie schreiben dafür verschlüsselte Hinweise hinein in das Suduko des Tages in der Augsburger Allgemeinen. So hat sich eine ganze Krimi-Fangemeinde um die Rätsel gebildet, die jetzt bei jedem Fall selbst zur Aufklärung beiträgt. Mit Effekt? „Die Auflage ist um fünf Prozent gestiegen“, sagt Luka, Kopf der Bande. Peinlich nur, dass sie ihre letzte Diebestour vollkommen verpatzt haben. Fliehen? Oder endlich gestehen?

    In dieser Geschichte spielt ein Trio groß auf, drei Typen wie aus einer Josef-Hader-Komödie: Alina war schon immer Außenseiterin, ihre Lebensliebe ist ihre Katze, ihre Leidenschaft die Kunst der Druckerei (herrlich tapsig und liebenswert schräg: Sarah Maria Grünig). Eine Diva wuselt um sie herum: Luka ist Autor einer AZ-Klatsch-Kolumne (herrlich glamourös: Mehdi Salim) und schwärmt heimlich für Edgar aus dem Feuilleton. Ihm stiehlt eine zweite Glitzergestalt das Rampenlicht: Shirin tänzelt im funkelnden Kleid, mit Attitüde und knöchelbrecherischen Plateau-Schuhen durch die Szenerie (herrlich aufgekratzt: Mirjam Birkl). Vater ihrer Kinder ist ausgerechnet jener Mann, den sie als „Mausi“ unter ihren Handykontakten abgespeichert hat – und der im Hauptberuf Polizist ist. In dieser Nebenrolle meldet sich Julius Kuhn immer wieder per Videoanruf zu Wort und nuschelt den neusten Stand der Ermittlungen in seinen berufsgerechten Schnauzbart.

    Tatort „Community“: Man lernt die Figuren in den stillen Momenten kennen

    Der Charme des Stücks liegt im Miteinander und Mittendrin: Wenn die Ganoven nervös mit den Armen fuchteln, das Publikum durch die Gänge der Druckerei lotsen. Wenn sie zwischen Rolladen-Lamellen in die Nacht hinaus blinzeln, in der plötzlich eine Polizei-Sirene aufjault. In stilleren Momenten darf man diese Figuren kennenlernen, kommt ihren Lebensträumen und Sorgen nahe. Bis sie sich wieder anfauchen wie die Katzen bei Nacht: Ja wer hat denn die Waffe am Tatort vergessen? War das wirklich eine Spielzeug-Pistole? Wer ist schuld? Ein Psychospiel zum Mitfühlen, Mitleiden und vor allem auch: Lachen.

    Journaille! Schreiberlinge! Alles Kriminelle? Selbstverständlich nicht – in einer Zeit, in der die Medien-Skepsis wächst und wächst, in der „Lügenpresse!“ als Parole, Vorwurf und Beleidigung eine Renaissance erlebt, findet dieser Tatort eine solide Balance zwischen Komik und einer Spur Ernst. Zwischen den Zeilen wird auch spürbar: Die gesamte Zeitungsbranche erlebt gerade stürmische Zeiten. Seriöse Medien kämpfen um ihre Print-Auflage und um Online-Klicks, sie ringen um Fakten in einer digitalen Flut an Fakes. Doch dieser Tatort lässt sich genauso gut als Liebeserklärung interpretieren, als Hommage an das täglich frische Blatt auf dem Frühstückstisch. An Texte, die unsere Welt sortieren, die informieren oder amüsieren, die manchmal auch den Puls in die Höhe jagen. „Zeitungsdruck, das bedeutet Recherche. Fakten im Zeitalter des Populismus“, ruft Alina. „Wir sind AZ-Angestellte, wir sind doch keine Verbrecher!“, ruft Luka. Aber ... kann man ausgerechnet diesen Krimi-Figuren vertrauen? Das bleibt die Frage bei diesem Tatort.

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