Eine Axt trifft einen großen, runden Holzstamm, der so stabil ist, dass er jahrhundertelang Regen, Wind und Hitze getrotzt hat. Innerhalb kurzer Zeit werden aus einem robusten Baum schmale Holzscheite. Etwas, das mit viel Zeit gewachsen und immer größer geworden ist, zerfällt mit einem Schlag in Einzelteile, die nie wieder ein Ganzes bilden werden. So könnte man das Gefühl des Scheiterns beschreiben. Der Vergleich mit dem gespaltenen Baumstamm passt so gut, weil das Wort Scheitern tatsächlich von (Holz-)Scheit stammt.
„Scheitern ist kein schönes Gefühl“, sagt Gianna Formicone
„Scheitern ist kein schönes Gefühl, aber es gehört zum Leben dazu, da kommen wir nicht drumherum“, sagt Gianna Formicone. Sie ist 43 Jahre alt, lebt in Augsburg und ist Theaterregisseurin. Ihre nächste Aufführung „Let‘s fail“ handelt vom Scheitern. Auf die Frage, warum sie sich für dieses Thema entschieden hat, lacht sie und antwortet: „Weil es Teil meines Lebens ist.“ Sie erklärt: „Wir haben oft Hemmungen, von unseren Misserfolgen zu erzählen, aber es sollte viel mehr darüber geredet werden, weil es jeden betrifft.“
Für die Aufführung hat sie einen Ort ausgewählt, den viele Augsburger kennen, an dem aber nur wenige jemals waren: die Halbinsel an der Kahnfahrt. Das Grundstück gehört dem Lechfischereiverein Augsburg. „Es ist ein ziemlich versteckter Ort. Eigentlich darf da auch niemand hin, aber wir haben für die Aufführungen die Erlaubnis vom Fischerverein“, erklärt die Regisseurin.
Wie ein in einzelne Scheite zerteilter Holzstamm ist auch „Let’s fail“ in mehrere Stücke geteilt. Fünf verschiedene Stationen sind über die Halbinsel an der Kahnfahrt verteilt. Jede steht für eine Phase des Scheiterns: Vom Anfang, wenn man noch motiviert und voller Ehrgeiz ist, über die Phase, in der die ersten Zweifel kommen, den Punkt, an dem alles auseinanderbricht, bis zur Erschöpfung und der Zeit des Sich-wieder-Aufbauens.
Auch Künstlerinnen aus Rumänien oder Belgien wirken bei „Let‘s fail“ mit
„Dadurch, dass wir die Zuschauer in Gruppen auf die verschiedenen Standorte aufteilen, sind sie ganz nah dran und die Szenen werden sehr intim“, erklärt Gianna Formicone. Die Regisseurin möchte den gesamten Prozess des Scheiterns veranschaulichen und für das Publikum spürbar machen. Darum ist „Let‘s Fail“ kein klassisches Theaterstück. Neben Schauspielerinnen treten auch Tänzerinnen, Musikerinnen und ein Chor auf. Es wird sowohl klassische Opernmusik von Claudio Monteverdi und Georg Friedrich Händel als auch moderne Musik wie „I am what I am“ von Gloria Gaynor zu hören sein. Für eine Szene hat Djonni Laser, Musikerin und DJ aus Augsburg die komplette Musik komponiert. Das gesamte Ensemble besteht aus 30 Frauen. Die Jüngste ist 18 Jahre alt, die Älteste Mitte 60. Einige von ihnen kommen aus der Region, aber es sind auch Künstlerinnen aus Rumänien oder Belgien angereist, um in Augsburg aufzutreten.
„Mit so vielen unterschiedlichen Menschen zusammenzuarbeiten ist schon etwas Besonderes“, sagt die Regisseurin. Menschen unterschiedlicher Herkunft miteinzubeziehen, ist der Regisseurin wichtig. „Ich will das Lokale und das Internationale miteinander verbinden“, sagt sie.
Gianna Formicone kommt ursprünglich aus Norditalien, genau genommen aus Modena in der Nähe von Bologna. Dort studierte sie Fremdsprachen und Kulturmanagement. Für ein Erasmussemester kam sie nach Augsburg und blieb dann in der Stadt. Sie arbeitete acht Jahre lang am Sensemble-Theater und war bei Theater-Projekten in Italien, Kanada und den USA dabei.
Gianna Formicone, alias Performic, arbeitet seit Februar an diesem Stück
Die Regisseurin arbeitet seit Februar an „Let’s fail“. Sie sprach mit den Künstlerinnen, erzählte von ihrer Idee und entwickelte gemeinsam mit ihnen die Struktur des Stücks. Als Regisseurin gibt sie zwar das Thema vor, aber wie genau dieses auf der Bühne umgesetzt wird, entscheidet sie gemeinsam mit den Künstlerinnen.
Unter dem Namen „performic“ hat die Regisseurin bereits zwei solcher künstlerisch sehr vielseitigen Aufführungen in Augsburg präsentiert. Im Jahr 2022 präsentierte sie in der Stadtmetzg „Auf Grenzensuche“ und lotete damit künstlerische, gesellschaftliche und persönliche Grenzen aus. 2021 thematisierte sie in „contact(less)“ die Kontaktbeschränkung während der Corona-Pandemie.
Was erwartet die Zuschauer bei „Let’s fail“? „Viele Emotionen und unterschiedliche Sinneseindrücke“, sagt Gianna Formicone. Sie sollen einen anderen Blick auf das Thema Scheitern bekommen. „Wir stellen aber eher Fragen, als Antworten zu geben“, erklärt die Regisseurin.
Info: Von Donnerstag, 11. Juli, bis Sonntag, 14. Juli, finden jeden Abend jeweils zwei Aufführungen von „Let‘s fail“ statt, um 18 Uhr und um 20 Uhr. Ausweichort bei schlechtem Wetter ist die St. Anna Kirche. Tickets müssen im Voraus online auf der Website von Gianna Formicone reserviert werden unter www.giannaformicone.com.
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