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Lesung: Wie sich die Themen doch ähneln: Maike Droste liest aus Brechts "Flüchtlingsgesprächen"

Lesung

Wie sich die Themen doch ähneln: Maike Droste liest aus Brechts "Flüchtlingsgesprächen"

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    Die in Neusäß aufgewachsene Schauspielerin Maike Droste bei ihrer Lesung in Augsburg.
    Die in Neusäß aufgewachsene Schauspielerin Maike Droste bei ihrer Lesung in Augsburg. Foto: Annette Zoepf

    Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand im Jahr 1939 floh Bertolt Brecht über Frankreich, Dänemark und Schweden nach Finnland, wo er seine Erfahrungen 1940 in den "Flüchtlingsgesprächen" verarbeitete. Die Sammlung von Dialogen zweier nach Helsinki geflohener Deutscher in einem Bahnhofscafé sind ein gutes Beispiel für historisch höchst relevante Situationen und Gedankenspiele. Veröffentlicht posthum 1961, konnte der Text jedoch in den fetten Jahren des bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders nie so recht greifen. Man war sich sicherlich bewusst, dass Flucht etwas ganz Schreckliches sein musste, und Krieg natürlich erst recht, aber wer keinen Bezug zum Thema hatte, dem ging diese Erkenntnis nicht unter die Haut. Es blieb abstraktes, rationales Wissen, was es bedeuten könnte, Flüchtling zu sein.

    Brechts "Flüchtlingsgespräche" haben neue Aktualität bekommen

    Anders die Situation heute. Es gibt wieder Kriege, die uns angehen, und mit den Flüchtlingswellen von 2015 sowie der massiven Fluchtbewegung aus der Ukraine in den letzten Jahren ist das Thema wieder in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Menschen, die ihr Hab und Gut verloren haben, oder noch schlimmer, Angehörige und Freunde sterben sehen mussten, sitzen neben uns im Café, in der Straßenbahn, im Park und unterhalten sich über exakt dieselben Themen wie seinerzeit der Physiker Ziffel und der Arbeiter Kalle aus Brechts "Flüchtlingsgesprächen".

    Brecht sponn viele Gedankenstränge in seinen "Flüchtlingsgesprächen" und lieferte ganz nebenbei allgemeingültige Aussagen -bittersüß, humorvoll ausgekleidet und mit generationsübergreifendem Augenzwinkern zwischen dem schon lange toten Autor und dem Publikum. Hatte er all das kommen sehen? Nein, kein bisschen. Aber Brecht hat die grundsätzlichen Zusammenhänge zwischen Fluchtursache, Flüchtling und der aufnehmenden Gesellschaft, sozusagen die dramaturgische Dynamik von Fluchtgeschichten, herausgearbeitet, und die erweist sich als zeitlos gültig.

    Maike Droste liest aus Brechts "Flüchtlingsgesprächen"

    Eine von der Buchhandlung am Obstmarkt veranstaltete Lesung dieses so aktuellen Textes sollte ursprünglich bereits im Februar zu Brechts Geburtstag stattfinden, doch wegen Erkrankung der Schauspielerin Maike Droste wurde sie nun im Theater des Bayernkollegs nachgeholt. Droste, aus Theater und Fernsehen bekannt und aufgewachsen in Neusäß, interpretierte den Text bravourös in unterschiedlichen Stimmlagen. Der Name Hitlers wird im Buch konstant umschifft, er fiel an diesem Abend nur ein einziges Mal. Dies machte es umso leichter für die Zuhörer, im Gedankenspiel Assad, Lukaschenko, Putin oder andere Personen einzusetzen und mit kaltem Grausen nachzuspüren, wie akkurat Brechts Aussagen auch heute ins Schwarze treffen. 

    Dies berührte offensichtlich viele der Anwesenden, denn der verdiente Applaus brandete zum Ende der Veranstaltung laut, anhaltend und Zuversicht spendend auf.

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