Wenn man eigentlich nur um 20:05 Uhr eine Sendung über Demokratie aufnehmen will, dafür aber erst einmal gemeinsam mit dem Publikum den 20-Uhr-Nachrichtenblock auf Bayern 2 überstehen muss, wird man erinnert, wie lustig Nachrichten auch sein können. Da teilt eine bierernste Stimme Scholz‘ ungebrochene Zuversicht mit, er werde aktuell „schwächelnde Umfragewerte noch drehen können“. Beschwichtigend bringt die Sprecherstimme eine geplante Reform der Steuerklassen auf den Punkt: „Unterm Strich ändert sich dadurch aber nichts“. Das sorgt nicht nur im Publikum für Heiterkeit. Auf der Bühne liefern Musiker Daniel Kahn und BR-Moderator Niels Beintker den mimischen Metakommentar. Bis ein rotes Lämpchen neben der Bühne angeht. Dann beginnt die Live-Aufzeichnung.
Künstler sprechen bei der Langen Nacht im Sensemble Theater darüber, was Demokratie ausmacht
So geschehen im Sensemble-Theater, wo am Mittwochabend acht Filmer, Zeichner und Autoren zu Gast waren bei den „Gesprächen zu Literatur, Theater und Engagement“. Wie das Augsburger Friedensfest in diesem Jahr kreisen auch die Literatur-Gespräche um das Thema Demokratie. Darum, was Demokratie eigentlich ausmacht, wie es heute um sie steht, wie man ihr wieder auf die Sprünge helfen kann - und vor allem, was das alles mit der Kunst zu tun hat. Darüber hinter verschlossenen Türen zu sprechen, hatten unter anderem Burhan Qurbani, Shida Bazyar und Barbara Yelin auf Einladung der Universität Augsburg zuletzt einige Tage Zeit. Nun diskutierten sie vor breiter Öffentlichkeit, live im Theatersaal und Radio.
Wie in jedem Jahr gab es auch diesmal musikalische Begleitung. Daniel Kahns oft aufrüttelnde und kämpferische, aber immer politische Zeilen setzten aber auch inhaltliche Beiträge. Der in Detroit geborene Klezmer-Musiker und Liedermacher bringt Stücke von linken jüdischen Textern und Komponisten wie Kurt Weill, Kurt Tucholsky und Mordechaj Gebirtig auf die Bühne. Auf Englisch, Deutsch und Jiddisch ruft er die Hoffnung auf eine kommende Demokratie genau so auf wie grassierende Gefühle der Machtlosigkeit, und die innere Auflehnung dagegen.
Die Gespräche mit den Künstlern werden durch Textpassagen eingeleitet, vorgelesen von BR-Sprecherin Katja Schild. Auch in Shida Bazyars Roman „Drei Kameradinnen“ weiß die Hauptfigur nicht, was sie ihren Freundinnen sagen soll zur „Ostwahl“, die sie gerade im Fernsehen verfolgen, den 23 Prozent Stimmen für die AfD. Sie findet, sie kann dazu einfach keinen klugen Gedanken fassen. Autorin Bazyar erklärt, bei all den seit Jahren geführten Debatten um Migration habe sie zeigen wollen, wie viele Schmerzen es gebe, bei denen, über die gesprochen wird. Häufig schreibe sie abends spät noch mit ihren Freundinnen an solchen Wahltagen, frage, wie es ihnen geht.
Autoren blicken in ihre eigene Vergangenheit
Wie auf der Suche nach einem Brandherd blicken die Autorinnen in vielen der vorgetragenen Texte, über die an diesem Abend gesprochen wird, in die Vergangenheit und in die „Provinz“. Manche kehren dahin zurück, wo sie aufgewachsen sind, nach Schongau (Franz Dobler) oder ins Hunsrück (Shida Bazyar). In Raphaela Bardutzkys Theaterstück „Fischers Fritz“ kümmern sich Pflegerin Piotra und Sohn Fritz, der eigentlich immer weg wollte aus diesem Ort, um den hilfsbedürftigen Fritz. Das Leben der Schicksalsgemeinschaft ist, wie man aus der vorgelesenen Passage lernt, „seichter Smalltalk, Spitzen schneidend, immer schön um den heißen Brei herum“. Bardutzky beschäftigt, „dass alle irgendwie sympathische Menschen sind, aber nicht miteinander reden können“.
Ums Erinnern geht es auch in Barbara Yelins Graphic Novel „Emmie Arbel. Die Farbe der Erinnerung“, deren blaugrau schattierte Aquarell-Comicstrips bei summendem Projektor und leiser Klaviermusik, über die Leinwand im Sensemble huschen. Für das Buchprojekt hat sie in Israel mit Emmie Arbel gesprochen, die die Konzentrationslager Ravensbrück und Bergen-Belsen überlebt hat. Und die nicht sofort begeistert war von der Idee, ihr Erinnern in Comicform zu bringen. „Für mich ist Zeichnen ein Forschen“, erklärt Yelin ihre Arbeit. „Grundlegend war für mich jetzt aber das Zuhören. Das Zeichnen wurden dann zu einer Sprache zwischen uns“.
Als Daniel Kahn zum Abschluss das jiddische Friedenslied „Volt ikh gehat koyekh“ anstimmt, summt der ganze Saal mit. „Hätte ich die Kräfte, würde ich durch die Straßen rennen und schreien“, ruft Kahn auf Deutsch. Es ist sehr warm im Saal, im Publikum wedeln manche sich mit Fächern kühle Luft zu. Auf der Bühne häufen sich die Wasserflaschen. Aus der ersten Reihe, wo die eingeladenen Künstler sitzen, kann man hören: „Ich will noch gar nicht aufstehen. Kann der nicht weiter singen?“
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