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Foto: Peter Fastl
Foto: Peter Fastl

Ein musikalisches Feuerwerk zündeten Bonaparte und Sophie Hunger beim Kunstwerk Open Air auf dem Gaswerksgelände.

Kunstwerk Open Air
23.07.2023

Bonaparte und Sophie Hunger drücken das Gaspedal durch

Von Sebastian Kraus

Auf dem Gaswerk-Areal sollte nach diesem Doppelkonzert zur Sicherheit einmal der Statiker kommen. Es hörte sich an wie der Soundtrack für das Jahrestreffen der Hyperaktiven.

Dass das Staatstheater noch immer eine gigantische Baustelle ist, ist zu einem Teil wohl auch Tobias Jundt zu verdanken, hat er doch 2014 bei der langen Brechtnacht das große Haus mit seiner Band Bonaparte in Schutt und Asche gelegt. Der fast schon verhaltene Beginn seines Konzerts mit Sophie Hunger am Gaskessel im Rahmen des Kunstwerk Open Airs ist also ein klassischer Fall von falscher Fährte. Danach drückt das Quintett um die beiden in Berlin ansässigen, in der Schweiz geborenen Künstler das Gaspedal bis zum Anschlag durch. 

Wobei es angesichts seiner Bühnenpräsenz auch nicht verwunderlich wäre, wenn Jundt auf einer Bühne das Scheinwerferlicht der Welt erblickt hätte. Wie ein Flummi mit Koffeinüberdosis bewegt er sich über die Bretter, wahrscheinlich schafft er es auch nicht, zu Hause im Bad beim Zähneputzen still zu stehen. Wie passt so einer in eine Band mit Sophie Hunger, einer geheimnisvollen Geschichtenerzählerin mit weicher Stimme und mit sanften Rockzitaten angereicherten Folksongs?

Der gemeinsame Hit kommt schon als vierter Song

Nun, es passt ganz vorzüglich, denn einmal kann Hungers charismatische Stimme auch ordentlich rau klingen, dazu hat sie Jazz in den Venen und kann daher sowieso alles spielen. Auch ein Indie-Disko-Brecher wie das LCD-Soundsystem-Zitat „Daft Punk spielen in meinem Haus“. Die beiden können es sich leisten, ihren Hit schon als vierten Song zu verheizen, denn es geht hochenergetisch weiter quer durch die Diskographie von Jundt und Hunger. Und wenn Letztere mal einen ihrer ruhigen Songs in die Setlist schiebt, spielt Jundt eben auf dem Boden liegend dazu – um ihr nicht die Show zu stehlen und auch um kurz mal ein wenig Luft zu holen. Denn der Rest wäre ein perfekter Soundtrack für das Jahrestreffen des Vereins der europäischen Hyperaktiven. 

„Allez, allez!“, tönt es im einzig französischsprachigen Stück des Abends, und die Rhythmussektion tut alles, um die Menschen in Bewegung zu bringen. Der Vergleich mag geschmacklos scheinen, aber wie das Coronavirus steckt eine tanzende Reihe die nächste an. Dieses Konzert ist eben auch der leidlichen Pandemie zu verdanken. Es ist schön zu sehen, dass der musikalische Austausch vor Laptopkameras in der Stille des Lockdowns zu einem rauschenden Konzert vor eng stehendem Publikum werden kann – samt Jundts Bad in der Menge beim Bonaparte-Hit „Too Much“.

Das Format bietet keine Zeit für Verschnaufpausen

Die Band hätte eine mindestens dreimal so große Menge verdient angesichts der geschmack- und liebevoll kuratierten Open-Air-Reihe. Das Format wurde gebucht, als sie gerade mal einen Song vorzuzeigen hatten, und das Trio bedankt sich für das vorgeschossene Vertrauen mit einem Auftritt, als wäre es ihr hundertster anstatt ihr erster. 

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Maximilian Wörle spielt knochentrockene wie beinharte Drums, Maximilian Stephans Bass zerrt derbe, Bruno Polaris' agitatorischer Gesang braucht nur wenig Töne. Es gibt Dissonanzen, Rückkopplungsorgien und keine Zeit für Verschnaufpausen. Es ist kühler Betonwüstenrock, Post Punk auf Steroiden und eine Kampfansage an Jägerzäune, schwitzende Bockwürste an Autobahnraststätten und Gefälligkeitsmusik im Spotify-Algorithmus. Es pfeift, rumpelt, quietscht und scheppert, es ist ein Spaß für die ganze Familie außer deiner „Mutter, die sagt, deine Schuhe sind viel zu schmutzig, genau wie deine Gedanken“. 

Das Format ist ein neuer Stern am Augsburger Indiehimmel mit allen Voraussetzungen, weit über die Grenzen der Stadt hinauszustrahlen. Vielleicht sollte man angesichts dieses Abrisses in Erinnerung an Bonaparte beim Brechtfestival nach diesem Abend mal die Statik des Gaskessels prüfen. Nur so zur Sicherheit.

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