Von außen ist es ein normales Haus, gräulich, mit hohen Fenstern. Kaum Besonderheiten, bis auf eine Uhr unterhalb des Dachgiebels und ein Schild über der Eingangstür, das verkündet: "Cultura Urbana". Im Inneren jedoch wird schnell klar: Das Haus ist alles andere als gewöhnlich. Direkt an die Treppe, die in den ersten Stock führt, schließt eine Art Wohnzimmer an – ein gemütlicher Raum mit hohen Wänden, einem Tisch in der Mitte, darum herum bunt zusammengewürfelte Stühle und ein Sofa. Eine Kaffeemaschine brodelt im Hintergrund vor sich hin.
Am Tisch sitzen fünf von zwölf Künstlerinnen und Künstlern des Kulturvereins, die hier ihr zweites Zuhause haben. Sie unterhalten sich, witzeln miteinander, erzählen sich gegenseitig, woran sie gerade arbeiten. Von dem Gemeinschaftsraum zweigen mehrere Türen ab. Jede führt zu einem anderen Atelier, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Ein Atelier wie eine Rumpelkammer mit einem riesigen Sammelsurium
Das erste sieht aus wie eine Rumpelkammer mit einem riesigen Sammelsurium an Gegenständen: Dosen, Gläser, Drähte, Pinsel, unzählige Papierbögen. Neben diesem kreativen Chaos dann ein Musikstudio mit Schaumstoff-verkleideten Wänden, Teppich-bedecktem Boden, mehreren Gitarren, einem Keyboard und Aufnahmeequipment. Im nächsten Raum ist eindeutig ein Fotograf zu Hause. Dort steht ein Regal mit verschiedenen Kameras, eine Studioleuchte und Fotografien hängen an den Wänden.
Zwei klassischere Kunstateliers folgen. Die Wände und Böden sind über und über mit Farbspritzern bedeckt. Leinwände zeigen unproportionale Figuren und Fratzen. Überall Farbtuben und Spraydosen in allen möglichen Farben. Im Erdgeschoss dann der extremste Kontrast im Gegensatz zum restlichen Haus. Dort befindet sich der größte Raum, in dem das Gefühl aufkommt, man sei gerade in den Nahen Osten katapultiert worden: orientalische Bögen, dekorative Wasserpfeifen, Sitzkissen, Kerzen und Zierdeckchen mit geschwungenen Mustern. Hier gibt Nahid (das ist ihr Künstlername) 40 Schülerinnen Unterricht in orientalischem Tanz.
Unter einem Dach befinden sich also nicht nur klassische Kunstateliers, wo gemalt wird, sondern auch Studios für Musik, Fotografie und Tanz. Die Vielfalt macht das Haus auf dem Gelände der ehemaligen Ackermannwerke in Göggingen zu einem Ort der Gemeinschaft und des Austauschs. "Es ist schön, zu wissen, dass Gleichgesinnte im Haus sind", sagt die Künstlerin und Kunstdozentin Andrea Rozorea, die seit August Vereinsmitglied ist. Songwriter Manfred Strobl, aka "Manisolo", stimmt ihr zu: "Zwischendurch denke ich manchmal, ob das nicht doch kompletter Schwachsinn ist, was ich hier mache. Aber dann sehe ich bei den anderen, dass sie in den gleichen Dingen einen Wert sehen wie ich." Aus dem Schaffen der Zimmernachbarn und -nachbarinnen kämen außerdem neue Impulse für die eigenen Kunstwerke. "Und wenn man ungestört arbeiten möchte, kann man sich einfach in sein Atelier zurückziehen", sagt Rozorea.
Das Atelier ist ein Herzensraum, eine Heimat
Auf die Frage, was ein Atelier eigentlich ist – mal abgesehen von einer Werkstatt – wissen die Künstlerinnen und Künstler viele Antworten. "Ein Herzensraum, eine Heimat, fast wichtiger als meine Wohnung", sagt Amelie Kratzer. Sie fertigt vor allem Kunstwerke aus Glas. "Ein Refugium", sagt Strobl. "Ein Ort, an dem ich nicht nur male, sondern auch in Ruhe über meinen Ideen brüte", sagt Rozorea. Gerade während der Coronapandemie sei es eine wunderbare Möglichkeit gewesen, auch mal rauszukommen, fügt Fotograf Horst Gatscher hinzu. "Und was gibt es Schöneres, als einfach alles liegenzulassen, ohne aufzuräumen", fällt Kratzer noch ein. Der Vereinsvorsitzende Dirk von Burgsdorff bekräftigt: "Man kann auch einfach mal eine Handvoll Farbe gegen die Wand werfen."
Gemeinsam mit Gatscher fertigt von Burgsdorff sogenannte Photopaintings an – eine Kombination aus Malerei, Fotografie und Performance. Gemeinsam haben es die beiden unter anderem in Ausstellungen in New York und Paris geschafft, in den Salon d'Automne, wo einst Werke von Größen wie Matisse oder Picasso zu sehen waren. Aber auch in kleinerem Rahmen stellen die zwölf Künstlerinnen und Künstler aus. In der Vergangenheit habe es gemeinsame Ausstellungen in Galerien und vor Ort gegeben, erzählen sie.
Dieses Wochenende öffnen sie nun ihr Ateliertüren für die Öffentlichkeit – am Samstag von 15 bis 20 Uhr und Sonntag von 14 bis 18 Uhr in der Fabrikstraße 11 in Augsburg. "Manisono" und "Jaria's Duo" werden auftreten und es gibt eine orientalische Tanzeinlage. Der Verein will Kunst am Entstehungsort zeigen und so "einen Beitrag zur Kultur in der Stadt leisten", wie Rozorea sagt. Daher auch der Name: Cultura Urbana.