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Kultur vor dem Fenster: Musik, Theater und Kabarett von der Fensterloge zuhause

Kultur vor dem Fenster

Musik, Theater und Kabarett von der Fensterloge zuhause

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    Musik, Theater und Kabarett von der Fensterloge zuhause
    Musik, Theater und Kabarett von der Fensterloge zuhause

    Ein Sonntagvormittag in Augsburg. Vor den Bäckereien bilden sich Schlangen, vor den Garagen werden Autos poliert. Doch in einem bunt blühenden Garten einer alten, bildschönen Gögginger Villa sitzt eine kleine Gruppe Menschen, zehn an der Zahl, samt riesigem Hund in gebührenden Abstand um einen Glaspavillon, darin ein E-Piano und auf einem kleinen Tisch eine Pikkolotrompete. Die Instrumente gehören Stephanie Knauer und Thomas Seitz, Kollegen am Leopold-Mozart-Zentrum und ein eingespieltes Duo auf der Bühne. Es ertönen die ersten springenden, schäumenden Takte der Wassermusik-Suite von Georg Friedrich Händel, im Publikum sieht man genießerisch geschlossenen Augen in seligen Gesichtern. Doch Moment mal, das klingt nach einem Konzert mit Publikum. Und das in diesen Zeiten?

    Die Gögginger Freunde verdanken diese Musikmatinee unter freiem Himmel einem fränkischen Gaukler, Marc Vogel. Der überzeugte die Stadt Fürth mit seiner Idee, die er „Kultur vor dem Fenster“ nannte und die nun schon in fünf weitere Städte importiert wurde. Und die Idee ist denkbar einfach, aber, wie es mit einfachen Ideen oft ist, auch genial: Jede Bürgerin, jeder Bürger mit einem Hinterhof oder Garten kann aus einer Liste von insgesamt 26 Künstlerinnen und Künstlern einen Auftritt buchen, der dann im Hof und von den Fenstern der umliegenden Häusern verfolgt werden kann. Wichtig ist nur, dass es sich um privaten Grund handelt, so dass keine Menschenansammlungen entstehen und es genügend Platz gibt, um entsprechend der Gästezahl den vorgeschriebenen Mindestabstand einhalten zu können.

    Es gibt ein garantiertes Grundhonorar für Kultur am Fenster

    Den Künstlern wird pro Kopf ein Grundhonorar von 150 Euro garantiert, das gerne mit einem Gefäß - wie am Sonntag eine schmucke, alte Suppenterrine – durch die Gäste beliebig aufgestockt werden kann. Bei Firmen wie Privatpersonen sieht es das Kulturamt „als bürgerliches Engagement“, so Leiterin Elke Seidel, „wenn die Auftraggeber für das Honorar aufkommen.“ Wenn Gemeinnützigkeit erkennbar ist, beispielsweise bei Auftritten vor Pflegeheimen, Krankenhäusern oder Hausgemeinschaften, subventioniert das Kulturamt, sodass besagtes Honorar pro Auftritt sicher gezahlt werden kann.

    Wie wichtig die Solidarität mit der Kunst ist, zeigt AlaCyas Beispiel. Die Songwriterin plagen seit der abgesagten Tour im März Existenzängste, Tank und Kühlschrank waren für einige Wochen nur spärlichst gefüllt. Doch auch das „echte Erlebnis eines Konzerts ist sehr wichtig. Ich merkte in der letzten Zeit: fällt die Kultur weg, fehlt auch Austausch und Inspiration“. Alas feinen Elektropop kann man sich nun in den Hof holen. Oder jiddische Lieder vom Trio Klezmerfeygele. Oder die revolutionäre Literatur Erich Mühsams von der Theaterwerkstatt Augsburg, die Musik der Cellistin Deniz Ayşe Birdal, das komische Varieté Detlef Winterbergs. Opernarien, progressive Volksmusik, szenisches Theater. Das Programm des Projekts bedient sämtliche kulturelle Leidenschaften.

    Die große Sorge vor der Ungewissheit im Herbst

    Auch Gitarrist Bebof Böhm ist dabei. Der New-Orleans-Spezialist spielt normalerweise mit flinken Fingern den Blues, nun hat er ihn selbst: „Wir Künstler waren die ersten, die nicht mehr spielen konnten, und wir sind auch die letzten, die wieder spielen dürfen.“ Er spricht nicht nur für sich alleine, wenn er sagt, dass er nicht wisse, wie es im Herbst weitergeht, und dass durch fehlendes Publikum sowohl Selbstbewusstsein als auch Motivation zum Üben verloren gehe.

    Das Publikum in Göggingen gab Stephanie Knauer und Thomas Seitz Motivation zurück. Der Trompeter freute sich sichtlich auf den Auftritt, nachdem er die Absage eines Auftritts in Verona zu verdauen hätte –ausgerechnet in dem Land, in dem er beim Studium sieben Monate musikalisch geprägt wurde. Unter anderem bei einer Zusammenarbeit mit dem großen Filmkomponisten Ennio Morricone, dessen Gabriel's Oboe in einer melancholischen Interpretationeinem Große-Klassiker-Programm aus Beethoven, Grieg und Balay folgte, bevor Summertime von George Gershwin das Set beendete. Ein Song, der in jeder Version, ob kalifornischer Punkrock oder Altmeisterjazz, Lächeln in Gesichter zaubern kann. Und so geschah es. Das Publikum lächelte verzückt, das Duo lächelte zufrieden. Nur der Hund, der gähnte.

    Info Künstlerliste, Kontakt, Honorarhinweise und Spielregeln sind im Netz auf der Homepage des Projekts zu finden.

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