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Foto: Alexander Phan Anh
Foto: Alexander Phan Anh

Raphael Endraß alias Errdeka.

Freilichtbühne
06.08.2022

Indie-Rock, Liedermacher, 80er und Errdekas großes Heimspiel

Von Wolfgang Schütz

Inmitten der anreisenden Promi-Programms präsentiert Augsburgs Rap-Star Errdeka sein neues Album bei den Konzerten auf der Freilichtbühne. Es ist, nach großer Krise, ein doppelt bedeutungsvoller Karriere-Moment.

Deutschen Star-Indie-Rock mit Tocotronic, arrivierte bayerische Liedermacher-Musik mit Haindling, nostalgischen 80er-Elektropop mit Alphaville … – und mitten hinein in den bunten Promi-Reigen bei den diesjährigen Konzerten auf der Freilichtbühne knallt er. Und zwar mit großem Aufschlag. Darum sitzt Raphael Endraß neben seinem Brotberuf als Grafikdesigner in einer Augsburger Agentur, gerade noch sehr viel und sehr tief in Bandproben.

Denn Raphael, inzwischen 31, bekannt als Erddeka, ist nicht einfach nur der erfolgreichste Rapper, den die Region bislang hervorgebracht hat. Es ist nicht nur das größte Heimspiel, das er in seiner bald 15-jährigen Karriere je gehabt hat – bei Festival-Auftritten wie beim Modular waren zwar mehr Leute, aber hier kommen die bis zu 2000 eben nur für ihn. Es ist zudem ein besonderer Augenblick in dieser Karriere für ihn selbst.

Gut drei Monate ist es her, da teilte der inzwischen 31-Jährige seinen gut 48.000 Followern auf Facebook mit: „What a ride! 1,5 Jahre Kopfzerbrechen, Achterbahn der Gefühle, Selbstauflösung und -findung haben nun dafür gesorgt, dass ich mein ehrlichstes, künstlerischstes und kompromisslosestes Album vor mir liegen habe.“ Dieses Werk heißt nun „Elias“, es wird exakt am Tag seines Auftritts auf der Freilichtbühne erscheinen, Freitag, dem 12. August – und dessen Autor übertreibt nicht.

Mit seinem zweiten Album sprang Errdeka in die Top Ten der Hitparaden

Sein Album-Debüt 2014 mit „Paradies“ mag Errdeka gleich viel Aufmerksamkeit beschert, das folgende „Rapunderdog“ ihm sogar den Sprung in die Top Ten der Hitparaden gebracht haben – und schließlich wurde er mit „Liebe“ 2018 auch erstmals vom Major-Label Sony vertrieben. Aber was Poesie und Tiefe angehen, war der aus Mering stammende und als Sprayer gestartete Raphael tatsächlich noch nie so überzeugend wie jetzt. Der Pop-Hit-Appeal ist gleich mit dem ersten Stück „Melatonin“ voll erfüllt und ausgeschöpft.

Den Charakter von „Elias“, auch persönlich betitelt mit Raphaels zweitem Vornamen, nämlich gibt daraufhin „Mücken“ vor. Man sieht ihn förmlich, frei von jeder Pose, an Lech oder Wertach grübelnd sitzen: „Denn es geht auf und ab wie Mücken überm Fluss, / ab und zu hängt man reglos in der Luft, / lässt sich vom Winde tragen, / schaut, wohin es einen verschlägt, / und war’s die falsche Richtung, kommt der Tag, an dem er dreht. / Bis dahin geht es auf und ab wie Mücken überm Fluss …“ Zweimal bricht das Album noch aus dieser Nachdenklichkeit aus, mit einer Hass-Tirade in „Die Welt steht still“ – und dann „Gift“, das ganz offenkundig von dem zeugt, was Errdeka Prozesse der „Selbstauflösung und -findung“ nannte. Dazu gehört auch ein Verdruss an Deutsch-Rap-Gepose. Zu der größeren Szene, die vor jetzt genau zehn Jahren durch den Song „Ja, ich bin ein Hipster“ auf ihn aufmerksam wurde, will er sich jedenfalls nicht mehr zugehörig fühlen.

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Errdeka rappt jetzt unmittelbarer und persönlicher

Dass er aber doch noch rappt? Liegt zum einen an einer viel unmittelbareren Zugehörigkeit – denn mit den Sounds des Augsburger „Gold-Donkey“-Kollektivs, Vincent Semlinger und Chris Groß, mit denen er seit seiner Jugend verbunden ist, sowie mit dem langjährigen Kumpanen Max Mostley hat er eben doch die Basis, auf die er seine Gedanken und Gefühle reimen will. Und es liegt zum anderen daran, dass nun mal der Rap das Medium ist, in dem er sich ausdrücken will und kann. Nur jetzt unmittelbarer, persönlicher.

Und das führt direkt zum Gros des neuen Albums, das nach dem Motto „Zurück zu den Wurzeln“ auch beim einst selbst gegründeten Label Eyeslow erscheint. Es enthält sehr viele Songs über Liebe und Trennung, Schmerz und Sehnsucht, Reue und Trost, Überdruss und Selbstzweifel, Ängste und Geborgenheit – nicht nur getextet wie ein Songwriter-Album, sondern auch mal so instrumentiert, mit Akustik-Gitarre etwa. Es geht bis zum letzten Song „Sing mir was vor“, in dem Streicher zum Einsatz kommen, in dem der leicht Philipp-Poisel-haft gesungene Refrain bezeugt: „Denn ich bin selbst noch ein Kind, / das grade erst zu laufen beginnt.“ Und in dem rappend eine Lebensbilanz folgt, in der (entgegen dem koketten „Eye-slow“) auch gelernt werden muss, „dass das Zeug dir alles gibt / und dir dann alles nimmt“. Und „Zweifel kreisen wie ein Hula Hoop, / denk immer noch, ich muss beweisen, ich wär gut genug“ …

Das Konzert in der Freilichtbühne ist auch eine Herausforderung

Ob das für den nun also „ehrlichsten und künstlerischsten“ Errdeka, der (man könnte kokett sagen: Herzschmerz-Lieder und Hipster-Absage zum Trotz?) mit seiner Freundin im Bismarckviertel lebt, auch beim großen Konzert auf der Freilichtbühne eine Hypothek ist? Jedenfalls ist es aufgrund der neuen musikalischen Vielfalt samt Band eine besondere Herausforderung. Zumal es wie im Album auch beim Heimspiel um nicht weniger als eine umfassende Bilanz gehen soll, seines ganzen Schaffens nämlich. Ob es all das dann mal wieder hoch in die Charts führen kann? Das ist Raphael Endraß hoffentlich wirklich ganz egal.

Die Konzerttermine auf der Augsburger Freiluftbühne sind: Haindling am 8., Alphaville am 11., Errdeka am 12. und Tocotronic am 14. August.

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