In der Stadthalle Gersthofen haben sie eine Kathedrale errichtet: Bunte Spitzbogen-Kirchenfenster verzieren die Bühne, bilden eine andächtige Deko-Kulisse. Auch das elektrische Kerzenlicht haben sie angeknipst. Bühne frei für den Kirchenchor, jetzt beginnt Bachs Weihnachtsoratorium? Nein, eine Trompete beschallt die Halle. Und das auch nicht klassisch mit Notenständer, sondern frei im Swing, nach der Glaubenslehre des Jazz: „Let it snow“, mit funkiger Attitüde. Hier spielt Till Brönner: Ein Wohlfühl-Jazzer für das große, breite Publikum – aber auch ein Musiker vom Fach, der in den Nischen und Kellern der Jazz-Fachgemeinde als Könner gilt. Dreimal gewann er schon den Echo-Musikpreis, man nennt ihn den „deutschen Chat Baker“. An diesem Abend spielt er aber die Rolle des smarten Trompeten-Weihnachtsengels: „Wir werden eine Till-Brönner-Weihnacht feiern“, verkündet er dem Publikum. Das Konzert gerät zu einem familiären Fest mit persönlichen Geschichten und persönlichen Herzenssongs. Um sich herum schart er zum Fest seine Liebsten, also seinen liebsten Mitmusiker auf der Bühne.
Till Brönner spielt Weihnachtsklassiker in Gersthofen
Zwischen zwei Instrumente und zwei Klangfarben wechselt Brönner, von Song zu Song. Für die pure Herzenswärme greift er zum Flügelhorn. Ein warmer Ton wie Kaminfeuerknistern strömt aus dem Trichter. Es rauscht so vertraut wie die Nadel auf der Schallplatte, wenn Vater zum Fest Bing Crosbys „White Christmas“ auflegt. Hat er natürlich auch im Repertoire, Till Brönner, diesen Evergreen von der weißen Weihnacht. Und wenn er mit seiner Singstimme so soft wie Neuschnee auch noch die Textzeilen ins Mikro haucht, dann hofft man doch noch, wider jede Wettervorhersage, und träumt. Aber in einer gewissen 2-Uhr-nachts-an-der-Hotelbar-Verträumtheit. Auch „Auld Lang Syne“, das britische Neujahrslied, erklingt in gedämpfter, inniger Melancholie.
Die andere Klangfarbe steuert die schlankere Trompete bei, sie durchbricht die „Stille Nacht“. Jetzt wird improvisiert, manchmal ein bisschen spitz in den Höhenflügen, etwas zu laut verstärkt durch die Technik. Trotzdem staunende Augen und Freude im Publikum: Freude über die wandernden Töne, die kunstvoll verzögerten Einsätze. Brönners Kunst der Improvisation: Immer zu wissen, wohin mit der Melodie, aber sich trotzdem alle Wege offenzuhalten, welche Note als nächste fällt. Mühelos und doch durchdacht.
Till Brönner nur als Trompeter zu beschreiben, greift jedoch zu kurz. Der 53-Jährige ist ein Entertainer, der auch eine ARD-Samstagsabend-Show mit Gute-Laune-Jazz als Moderator durchplaudern könnte. Sympathische Beichte: „Ich bin eigentlich kein Weihnachtsmensch“, sagt er, sein Lieblings-Weihnachtsfilm sei „Stirb langsam“. Er erinnert sich als Anekdoten-Erzähler an seine allererste Trompete, die er im Musikhandel seiner Tante fand. Und daran, wie er zum ersten Mal der Sound des Tompetengotts Louis Armstrong hörte: „Danach war alles anders.“ Brönners Version von Armstrongs Friedenshymne „What a wonderful world“ tönt herzlich, der turbulenten Zeit angemessen, aber auch elegant und rund im Ton. Dafür nicht so prall wie bei „Satchmo“ Armstrong, dem die Seele mit jedem Ton aus dem Trichter platzte.
Ein Jazzer mit Akkordeon: Fausto Beccalossi begeistert
Wie feiert Brönner Weihnachten? Mit seinen Liebsten – einer Band von Wegbegleitern. Christian von Kaphengst bedient Kontra- und E-Bass, mit ihm jazzte er schon, als er 15 Jahre alt war. Durch unbestechliches Timing überzeugt Olaf Polziehn, Pianist seines Vertrauens. Die Kombo veredelt Sängerin Kim Sanders, die mit perfekter, souliger Wohlklang-Stimme auch unbekanntere Weihnachts-Songs glänzen lässt („Better than Christmas“). Fausto Beccalossis Beitrag ist das vielleicht größte und überraschendste Advents-Geschenk für das Publikum: Er spielt Akkorderon. Oder wie Brönner sagt: „die zusammenklappbare Kirchenorgel“. Ein beseeltes Spektakel, wie der Italiener sein Instrument atmen lässt, und dazu sogar summt und singt, wenn ihn der Moment der Musik packt.
„Was ist das bekannteste Weihnachtslied der Welt?“, fragt Brönner und sofort tönt aus dem Publikum: „Stille Nacht!“ Gar nicht still, eher kurios und zappelig klingt dann die Samba-Version, die der Trompeter rund um die alte Melodie modelliert. Kim Sanders rasselt mit der Rassel, singt und schäkert mit ihm. Schlagzeuger David Haynes gab bis dahin in Ruhe und Bescheidenheit seinen Rhythmus bei, schrubbte mit den Besen über die Trommeln. Jetzt aber bricht er in ein südamerikanisches Solo aus, in eine Explosion von Rhythmen.
Auch Whams Hit „Last Christmas“ verjazzt Till Brönner
Brönners nächste Quizfrage: „Was ist das erfolgreichste Weihnachtslied der Welt?“, und es schallt im Chor „Last Christmas“ zurück. Aber nein, diese sülzige Schnulze von „Wham!“ zu spielen, das wäre ein Frevel gegen die Coolness des Jazz, diesen Song spielen sie nie und nirgendwo, versichert Brönner ... „außer in Gersthofen.“ Und so verjazzt er den Pophit von 1984, verpackt ihn in ein angenehmes Klanggewand und die Halle singt mit. „Last Christmas“, also ... letzte Weihnacht, in dieser Form? Nein, Till Brönner verspricht, dass er hier gerne wieder spielen wird in Gersthofen. Ein Versprechen wie ein Weihnachtsgeschenk.
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