Wie dankbar angenommen vom Publikum und wie verständnisfördernd Konzerteinführungen sind, dies demonstrierte der Vorlauf zum letzten Sinfoniekonzert der Augsburger Philharmoniker in dieser Saison. Vier Personen auf der Bühne der Kongresshalle, die eloquent und in jedem Moment sachdienlich erläuterten, was das Auditorium zu erwarten habe. Und der Hit war der Tanz des Orgelsolisten nur auf den Orgelpedalen und der Wahwah-Dämpfer des Trompetensolisten mit seinem Froschquaken. So was gibt Anlass, genauer hinzuhören ... Bringt einen ja auch weiter.
Und für ein genaueres Hinhören, um dann zu sinnieren, dazu bot gerade das Spielzeit-Abschlusskonzert Beweggrund. Frage: Wann eigentlich war Bachs weltberühmtes „Air“ aus seiner dritten Orchestersuite von einem sogenannten deutschen „Kulturorchester“ letztmalig zu hören – also nicht von einem Spezialensemble für Alte Musik? Es scheint viele Jahrzehnte her zu sein. Im Bemühen, alles historisch stiltreu zu machen, wurde auch manches liebe Kind mit dem Bad ausgeschüttet.
Augsburger Philharmoniker: Bachs "Air" hat höfische Eleganz und geht zu Herzen
Wenn nun GMD Domonkos Héja die dritte Orchestersuite aufs Programm setzt, dann überkommen einen sogar Erinnerungen an Karajan selig. Natürlich wird das Werk heute – musikgeschichtlich informiert – anders zum Klingen gebracht, nämlich in viel kleinerer Besetzung, mit härterer Paukenbehandlung, ohne viel Vibrato. Aber wesentliche Koordinaten bleiben unter Héja dieselben wie, sagen wir, um 1970. Die Tempi-Wahl und die Tempi-Übergänge sind durchaus vergleichbar, auf festliche, höfische Eleganz wird Wert gelegt, das Air pulsiert und tickt ans Herz gehend. Der Sturm und der Drang und die Schärfungen der Originalklang-Bewegung jedoch blieben aus, die Trompeter glitzerten intonationsrein auf Ventilinstrumenten. Auch dies ist ein Genuss, um es mal hedonistisch zu formulieren. Es erfreute.
Dann eine Uraufführung, eigentlich immer spannend. In diesem Fall besonders – so das Programmheft zuvor studiert worden war. Da wurde einiges angedeutet zum Inhalt der „Kantate für Trompete, Orgel und Orchester“ von Wolf Kerschek (* 1969): „Film- und Game-Musik-Ästhetik“, die „Schönheit eines romantisch verklärten Wesens“, „magische und sentimentale Klangfarben“, „Club-Music“ mit „Loops“. Gewichtige Worte.
Uraufführung von Wolf Kerschek: In den Soli steckt enorme Artistik
Nun, schlimm kam es aber nicht. Was mit spektakulären Vokabeln des 20. und 21. Jahrhunderts umrissen wurde, entpuppte sich auch als eine – sechssätzige – Komposition von ökonomisch reflektierter Arbeitsteilung. Die Streicher: vielfach zuständig für Atmosphäre, Stimmung, Emotion (hier tönte es in der Tat immer mal kurz filmmusikalisch); das große Schlagwerk: zuständig vor allem für Effekte, Drive und Steigerung; die zwei Solisten Christian Schmitt (Orgel) und Matthias Höfs (Trompeten, Diskanthorn): zuständig für die großen Melodielinien, die stärker von „sachlicher“ Virtuosität denn von belcantistischen Bögen getragen sind. Der Pedal-Furor der Orgel im dritten Satz, ja selbst die Ballade der Trompete im vierten Satz: Als Spielmusiken von erstaunlicher Lakonik unterlaufen sie die große Emphase, die vereinnahmende Umarmung des Publikums. Die enorme Artistik, die in den Soloparts steckt, wird nicht bravourös ausgestellt, sondern eher introvertiert behandelt. Und sie schreitet in aller Regel unerwartet fort. Genau dies gehört zu den Stärken des Werks, das formale Anleihen bei Bach nimmt. Großer Applaus für Schmitt/Höfs, die sich noch mit einer jazzig variierten Kerschek-Bearbeitung jener Johann-Abraham-Peter Schulz-Melodie bedankten, die als „Abendlied“ immer wieder rührt.
Sinfoniekonzert: Die Augsburger Philharmoniker laufen zu großer Form auf
Schließlich Saint-Saëns’ dritte Sinfonie, seine „Orgelsinfonie“, kaum überhörbar Franz Liszt gewidmet. Geheimnisvoll transzendent die Einleitung zum ersten Satz, triumphal – wie so manche sinfonische Dichtung Liszts – das Finale. Das Becken hat dort mit Pauken und Trompeten ein wenig zu viel zu tun. Fortissimo-Höhepunkte in Folge nutzen sich ab. Gleichwohl war die Aufführung beglückend, letztlich herbeikomponiert erhebend. Das lag an den Philharmonikern, die nach etwas inkongruentem Start (am Dienstag) zu enormer Form aufliefen, auch kunstreligiöse Aura verbreiteten – etwa im frommen Gebet der Posaune. Und das lag an GMD Héja, der sich quasi als Theaterdirigent hineinkniete in diese Sinfonie, sie dramatisierte, letztlich das Orchester zur Hauptfigur einer großen Oper ohne Worte machte. Riesenapplaus – auch noch einmal für Christian Schmitt.