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Foto: Herbert Heim
Foto: Herbert Heim

Jazzsaxofonist Jan Kiesewetter und seine Formation Gammarama mit Tilman Herpichböhm am Schlagzeug) präsentierten im Jazzclub Augsburg ihr neues Album "The Return".

Konzert
27.02.2023

Hochenergetisch wie ein Gammastrahl: Jan Kiesewetters Gammarama im Jazzclub

Von Sebastian Kraus

Mit seiner Band Gammarama präsentiert der Augsburger Jazz-Saxofonist Jan Kiesewetter sein drittes Album. Auf "The Return" treffen schwankende Hochzeitsgäste auf einen Waldschrat aus den Stauden.

Lollipop Ladies sind nicht etwa ältere Damen, die mit heimlich zugesteckten Süßigkeiten den Zahnschmelz von britischen Kindern zerstören, sondern sie sorgen dank ihrer lutscherförmigen Warnschilder jeden Arbeitstag dafür, dass Schulkinder beim Überqueren der Straße nicht von überdimensionierten Straßenkreuzern überrollt werden. Saxofonist Jan Kieswetter hat ihnen auf dem dritten Album seiner Band Gammarama eine Ode gewidmet, stellvertretend für all die Heldinnen und Helden des Alltags, die dafür sorgen, die Welt ein wenig besser zu machen. 

"The Return" heißt die Platte, deren Geburt am Samstagabend im Jazzclub gefeiert wurde, und sie ist so etwas wie die Vinylversion einer Lollipop Lady, tragen doch die vier neuen Stücke des Augsburger Quartetts auch ihren Teil dazu bei, die harsche Realität dank spannender wie humorvoller Musik ein wenig erträglicher zu machen. 

Jan Kiesewetters neues Album "The Return": Der krumme Takt steht für die schwankenden Hochzeitsgäste

Kiesewetter beobachtet mit verschmitzter Miene seine Umwelt und gießt das Gesehene in progressive Arrangements, die bei aller Komplexität immer nachvollziehbar sind und auch Menschen begeistern, die nicht durch die harte Schule von Tonsatz und Harmonielehre gingen. Der krumme Takt des Openers "Es muss getanzt werden" steht für die unbeholfenen Tanzschritte von angetrunkenen Hochzeitsgästen, beim "Western Woods Calypso Chant" sieht man einen Waldschrat aus den Stauden vor sich, der nach seinem Frühstückshimbeergeist eine alte karibische Tanzplatte auf seinem Grammofon entdeckt und grinsend im 2/4-Takt dazu sein Brennholz hackt. Die angenehm angezerrte Gitarre von Bernd Huber spendet einen Hauch Schmutz vom Boden einer Rock-Kaschemme und schenkt den anderen viel Raum zur Entfaltung im glasklaren Sound der Band. 

Mit Huber spielt Jan Kiesewetter seit seines Studiums in München, mit Uli Fiedler am Bass und Tilman Herpichböhm am Schlagzeug gefühlt seit seiner Geburt. Es stehen vier Musiker auf die Bühne, die sich in- und auswendig kennen und neben ihrer Musikalität eine Spielfreude teilen, die nicht selbstverständlich ist, aber seit dem Debut "For The Cats" von 2014 ihr fünftes Bandmitglied ist. 

"The Mission Suite" führt vom Mount Freejazz direkt in den Orbit

Um dem Publikum des gut gefüllten Clubs die Mission der Band nahezulegen, nimmt es Kiesewetter mit auf eine 20-minütige, passenderweise "The Mission Suite" getaufte Reise, auf deren erster Etappe die Rhythmussektion der Busfahrer ist, der in halsbrecherischem Tempo die Haarnadelkurven zum Mount Freejazz hochjagt, während Gitarre und Tenorsaxofon unisono beschreiben, was die Fahrgäste durch die Scheiben nur verschwommen erahnen können. Auf dem Gipfel steht eine Startrampe, davor gibt das Quartett mit kopfnickenden Rhythmen und einem interessante Geschichten erzählenden Sopransaxofon noch eine kleine Cool-Jazz-Einlage, bevor Uli Fiedler beim finalen Basssolo auf festem Untergrund die Frage stellt, ob es wirklich in Ordnung ist, dass in der Rakete die Sicherheitsgurte weggespart wurden. Kein Problem, versichert der Rest der Band, und so geht es mit mächtig Schub in den Orbit, und entgegen dem Mythos, dass es im Vakuum des Alls ganz still sei, weiß man nun, wie es dort oben klingt: nach rauschenden Becken, hallenden Gitarren und den sanften, beruhigend tiefen Tönen einer Bassklarinette. 

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Oben im Weltall haben sie dann Tom Jahn samt Weltraumorgel und Moog-Synthie eingefangen und für das zweite Set wieder zurück zur Mutter Erde gebracht. Jahn bringt den Funk, Kiesewetter die freie Form, Huber schwindelerregende Soli und Herpichböhm einen Puls, dass einem Hören und Sehen vergeht. Treffender als Gammarama hätte Jan Kieswetter seine Band nicht taufen können: Sie sind hochenergetisch wie ein Gammastrahl und dabei so smooth wie streichzarte Pflanzenmargarine.

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