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Foto: Mercan Fröhlich
Foto: Mercan Fröhlich

Die Dirigentin Gemma New stand am Pult der Bamberger Symphoniker beim Gastspiel im Kongress am Park.

Konzert
17.09.2023

Die Musik ist weiblich

Von Rüdiger Heinze

Zum Finale von mozart@augsburg traten zwei Frauen in herausragender Position auf: die renommierte Klarinettistin Sabine Meyer und die Dirigentin Gemma New.

Zwei Frauen in zwei Hauptrollen prägten die beiden Abschluss-Konzerte des Augsburger Festivals mozart@augsburg: im Kleinen Goldenen Saal bei einem Kammerkonzert die Klarinettistin Sabine Meyer, international respektierte Solistin mit quasi direktem Draht zu Mozart, und in der Kongresshalle die um eine Generation jüngere, auf Neuseeland geborene Dirigentin Gemma New vor den Bamberger Symphonikern. Sabine Meyer stand 1983 praktisch am Anfang einer teils erbitterten Debatte um das Engagement von Frauen in Sinfonieorchestern (Karajan veranlasste ihre Verpflichtung bei den Berliner Philharmonikern, worauf die Musiker sie mehrheitlich ablehnten und sie schließlich ihren solistischen Höhenflug startete); Gemma New wiederum ist eine aus der mittlerweile erklecklichen Anzahl von Frauen, die sich das Dirigentenpult erobert haben. 

Es ist also einiges geschehen in den vergangenen 40 Jahren und in der Frauensache, obwohl sich die Wiener Philharmoniker noch bis 1997, als sie erstmals eine Frau – bezeichnenderweise als Harfenistin – aufnahmen, außerordentlich stur und hartleibig zeigten. Wer aber heuer Sinfoniekonzerte hochrangiger Orchester auch bei den Salzburger und Luzerner Festspielen besuchte, der wurde gewahr, dass die Gleichberechtigung abermals einen kleinen Schritt vorangekommen ist: Abgesehen davon, dass Instrumentalistinnen nunmehr zum festen Bild der Ensembleaufstellung gehören (wenn auch noch nicht im Verhältnis halbe-halbe), sticht ins Auge, wie viele erste Konzertmeisterinnen inzwischen in Amt, Würde und Schlüsselposition musizieren. Die Auftritte der Wiener (!) in Salzburg (unter Daniel Harding) zeigten es, die Luzerner Auftritte der Oslo Philharmonic (unter Klaus Mäkelä) und der Boston Symphony (unter Andris Nelsons) ebenfalls. Es passiert immerhin etwas – und es wird weitergehen.

Der Auftritt von Gemma New in Augsburg

Und nun also – nach dem Bayreuth-Debüt von Nathalie Stutzmann im Bayreuther "Tannhäuser" – der Auftritt von Gemma New in Augsburg. Er war umjubelt – nicht zuletzt aufgrund des eminent körperlichen, nachgerade tänzerischen Einsatzes der 36-jährigen Dirigentin, durchaus vergleichbar übrigens mit dem körperlichen Einsatz des noch jüngeren Klaus Mäkelä heuer in Luzern, der seit geraumer Zeit als Heilsbringer unter den Dirigenten der jüngsten Generation gehandelt wird. Sie wie er verstehen es, auf diese Weise ein Orchester in Anspannung zu versetzen. Es ist ja nicht nur das Vorrecht der Jugend, sondern womöglich sogar ihre Pflicht, höchste Bereitschaft zur Leistung zu zeigen. Und so erwuchs tendenziell in Luzern dasselbe wie jetzt in Augsburg, also bei einem Nachwuchsstardirigenten dasselbe wie bei einer Nachwuchsdirigentin: der Glaube, in jedem Moment der Aufführung demonstrativ zeigen zu müssen, dass jeder Moment der Aufführung unter vollkommener dirigentischer Kontrolle steht.

Das hat in den Ecksätzen von Beethovens fünfter Sinfonie, zu hören in Augsburg, noch eine gewisse Berechtigung, aber Musik ist insgesamt eben mehr als ihre kontrollierte technische Umsetzung, mehr auch als ein Anlass zur Überwältigung des Publikums durch finale Klangmacht und durch erkennbaren Feuereifer. Musizieren, das heißt auch vor Instrumentalisten: singen lassen, gemeinsam atmen, Dialoge führen, den Instrumental-Soli nachlauschen, Übergänge organisch gestalten. Aber in der Kongresshalle behinderte der Wunsch nach akustisch-visuellem Effekt an mancher Stelle die mögliche Tiefenbohrung, insbesondere in den Mittelsätzen. Und so blieb die Wiedergabe ein wenig im Vordergründigen hängen, nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut. Der Triumph am Ende hat mehr auf Beethovens Konto zu gehen als auf das von Gemma New. Aber sie ist ja noch jung, sie kann sich weiterentwickeln – so, wie Klaus Mäkelä sich noch weiterentwickeln wird. Keine Frage des Geschlechts, sondern eine Frage des Alters. 

Es mangelte ein bisschen am Auskosten jener musikalischen Freiheiten

Noch einen anderen Wermutstropfen gab es beim Auftritt der Bamberger. Nicht, dass es nicht George Gershwins "Rhapsody in Blue" für Klavier und Orchester beherrschen würde, nicht, dass auch Sebastian Knauer den Klavier-Part nicht in sich trägt, aber ein wenig steif, ein wenig hölzern erklang das Werk denn doch – erst recht, wenn man bedenkt, wie viel Jazz, wie viel Swing, wie viel Drive in ihm steckt. An Rasanz, Motorik mangelte es nicht, wohl aber ein bisschen am lässigen Auskosten jener musikalischen Freiheiten, die selbst auskomponierte Jazz-Raffinesse bietet. Die angeschlagenen Tempi standen sich eher im deutlichen Kontrast gegenüber, als dass mit ihrem An- und Auslaufen durchtrieben jongliert worden wäre. Es klang mehr nach Disziplin denn nach der Lust am Fingerschnippen.

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Und so hinterließen Rossinis "Wilhelm Tell"-Ouvertüre mit einer Englischhornspielerin an herausragender Stelle sowie die in Reverenz vor Mozart zugegebene "Figaro"-Ouvertüre den günstigsten Eindruck beim (nicht ausverkauften) Auftritt der Bamberger in Augsburg. 

Kammermusik-Glück mit Sabine Meyer

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Foto: Michael Hochgemuth
Foto: Michael Hochgemuth

Sabine Meyer trat gemeinsam mit dem Armida Quartett im Kleinen Goldenen Saal auf.

Einen Abend später dann war – mit Ausnahme des abermals äußerst schmallippigen Programmzettels – alles zum Besten bestellt, bis hin zum Halbe-halbe-Geschlechterverhältnis: Im mehrfach ausgezeichneten Armida-Quartett spielen zwei Damen, zwei Herren; dazu kam in Mozarts Quintettsatz KV 580b das Ehepaar Sabine Meyer und Reiner Wehle an Klarinette beziehungsweise Bassetthorn. Vom BR aufgezeichnet, offenbarte das reine Mozart-Konzert im Kleinen Goldenen Saal mustergültig, wie es sein kann, sein sollte: Weiblein und Männlein musizierten nicht nur einig in Herz und Seele, sondern auch einig im Geist.

Dieser Geist ließ sich insbesondere ausmachen im Mozarts Streichquartett KV 421, wo in durchgestalteter Faktur perfekte Quartett-Balance gewahrt wurde und stets vermittelt blieb, dass wirklich erfolgreiches Musizieren die gedankliche Analyse der Partitur voraussetzt. Und wenn dann noch – wie im Klarinettenquintett KV 581 – Sabine Meyer ihren samtweichen Tonansatz, ihr kostbares Piano, ihr himmlisches Legato dazugibt, dann ist das Kammermusik-Glück vollkommen. Ovationen auch hier, bei diesem Heimspiel der Bratschistin Teresa Schwamm. 

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