Der Bravo-Starschnitt war vermutlich in den 1960er-Jahren die revolutionärste Erfindung in der Geschichte der Menschheit. Wöchentlich gab es in der Jugendzeitschrift eine Seite zum Sammeln und Ausschneiden. Die einzelnen Teile wurden dann zusammengefügt und in ein paar Wochen war es fertig - das lebensgroße Poster an der Wand des Jugendzimmers. Und für die meisten Jungs, die sich 1973 meist noch in der Pubertät befanden, ging ein Traum in Erfüllung. Man konnte sich endlich Suzi Quatro übers Bett hängen. Stilgetreu im schwarzen Lederanzug. Quatro war zu dieser Zeit eine Rock-Ikone und vor allem eine Pionierin und Vorreiterin für eine Generation von Rockmusikerinnen, die ihr folgte. Quatro ist zwar älter geworden, aber nicht leiser. Die mittlerweile 72-Jährige bewies kürzlich in der Augsburger Kongresshalle, dass sie von ihrer Anziehungskraft nichts verloren hat.
Suzi Quatro, inzwischen 72 Jahre alt, gibt auf der Bühne in Augsburg alles
Dabei musste sie den Weg gehen, denn viele prominente Musiker mit ihr gegangen sind. Wie The Sweet, wie Mud, Smokie oder Racey lebte sie vor allem davon, dass sie der englische Songwriter Nicky Chinn und dessen Kumpel Mike Chapman unter seine Fittiche nahm, die zu jener Zeit Hits am Fließband schrieben. Das Duo war auch für ihren ersten Nummer-eins-Hit "Can The Can" zuständig. Mit "Can The Can" gehörte Quatro dann im Alter von 23 Jahren endgültig zu den Superstars in der Glamrock-Szene. Der Beginn einer unglaublichen Karriere.
Wenn Suzi Q, wie sie sich selber nennt, auf der Bühne aus ihrem Leben erzählt, klingt es auch so, als ob sie selbst nicht glauben kann, was in ihrem Leben alles passiert ist. Sie lacht und schüttelt den Kopf, weil man ihr noch im Jahr 2016 in Cambridge die Ehrendoktorwürde im Fach Musik verliehen hat. Und Frau Doktor zeigt sich in Augsburg von ihrer besten Seite. Das Banner, das hinter ihr ausgerollt ist, zeigt zwar eine Suzi, die deutlich jünger ist und auch an den Bravo-Starschnitt erinnert, aber was solls? Quatro lädt ein zu einer wilden Fahrt durch die vergangenen Jahre.
Auch "Stumblin' In" gibt Suzi Quatro in Augsburg zum Besten
Geändert hat sich allerdings eines: Das Publikum, das früher "headbangend" in der Arena stand, sitzt heute anständig und seriös auf den Stühlen. Zumindest am Anfang des Konzerts, das mit "The Wild One" einen stimmungsvollen Anfang nimmt. Eine Hitlawine rollt stakkatoartig auf das Publikum zu. Weit über 1000 Leute hängen Quatro bei "I May Be Too Young" oder "Tear Me Apart" an den Lippen. Mit einer dreiköpfigen Bläserfraktion, zwei Backgroundsängerinnen, einem Schlagzeuger, einem Gitarristen und einem Keyboarder hat die Amerikanerin ein starkes Ensemble am Start.
Suzi Quatro brilliert auch mit einer Coverversion von "Rockin` In The Free World", das aus der Feder von Neil Young stammt. Heimelig und kuschelig wird es, wenn sie sich selbst ans Keyboard setzt und "Can I Be Your Girl" vorträgt. Aber natürlich sind es die großen Hits, die das Publikum von den Sitzen reißt. Wie "Stumblin' In", das Quatro im Jahr 1978 zusammen mit Smokie-Sänger Chris Norman gesungen hat.
Zwei Stunden fasziniert Suzi Quatro ihre Fans im Kongress am Park
Nach einer Stunde bittet Suzi Quatro dann zum Pausentee. Und während sie im ersten Teil des Konzerts noch brav in weißer Sakkojacke gesungen hat, holt sie im zweiten Teil endlich die Ledergarnitur aus dem Schrank. Suzi, wie sie leibt und lebt. Passend dazu präsentiert das ehemalige Poster-Girl "Motor City Riders". Dann gibt's kein Halten mehr. Das vorwiegend Ü60-Publikum verlässt seine Sitze. Suzi Quatro fährt sämtliche Geschütze auf. "Devil Gate Drive" oder "If You Can't Give Me Love" und Chuck Berrys "Sweet Little Rock & Roller" bringen die Kongresshalle zum Beben.
Das Ende wird dann entspannt. Denn mit "Desperado" endet das Konzert eher ruhig als laut. Ein Titel, der ihr wohl am Herzen liegt, denn ihr letztes Album "The Devil In Me" (2021) hat sie mit ihrem Sohn Richard Leonard geschrieben. Dann ist Feierabend. Suzi Q. hat über zwei Stunden alles gegeben und das wird mit Standing Ovations gewaltig honoriert.