Es war wie ein tiefer Sprung in eine surreale, phantastische Welt: Diesen gewährte das erstklassige französische Figurentheater „Les Antliaclastes“, das die Freunde des Augsburger Puppenspiels in diesem Jahr – gleichsam als Überbrückung der Klapps-Puppenspieltage, die nur im zweijährigen Rhythmus stattfinden – ins Kulturhaus Abraxas eingeladen hatte. Bei seinem Stück „The Waltz of Hommelettes“ spielte das Ensemble alle Register des Figurentheaters – mit lebensgroßen Figuren, mit Marionetten, mit belebten Objekten, mit einer Bühne, auf der sich immer wieder neue Bühnen auftaten. Stets war Bewegung, stets eine Überraschung - man konnte nicht anders, als ganz Aug‘ und Ohr sein.
Eine riesige Kuckucksuhr wird zur Bühne für „The Waltz of Hommelettes“
Das Publikum betritt den verdunkelten Saal. Von hinten beleuchtet ist nur das Zifferblatt einer riesigen Schwarzwälder Kuckucksuhr, die die Bühne bildet und einnimmt. Davor sitzt eine Menschenfigur mit Vogelkopf, es summt das Spinnrad, es bringt einen Faden hervor, der in den Händen des Vogels länger und länger wird, sich tanzend in der Luft dreht – und schließlich zum wollenen Bett eines Vogelnestes wird, wo bald einige Eier liegen. Eine Klappe darüber geht auf, eine braune Hand erscheint, tauscht ein kleines Vogelei gegen ein großes Kuckucksei aus. Was wird das nun, fragen sich die Zuschauer – eine Frage, die das ganze Stück hindurch immer wieder aufs Neue gestellt werden kann, wenn sich eine skurrile Szene an die andere reiht, eine bezaubernder als die andere, zuweilen auch mit einer kräftigen Portion schwarzem Humor.
Die Handlung zu beschreiben, kann nur ein Versuch bleiben – auf sie kommt’s aber gar nicht so an. Die Kuckucksuhr besitzt alle typischen Merkmale einer Schwarzwälder Kuckucksuhr – mit einem Kuckuck, der zur vollen Stunde aus einem sich öffnenden Fensterchen springt, mit einem Glockenspiel (anstatt Figuren drehen sich hier bunte Eier), mit Türen, aus denen mechanische Figuren oder Objekte herausfahren. Doch die Uhr ist von Elfen verzaubert: Sie hat eine dreizehnte Stunde. Diese Stunde ist die Stunde der „Elfen“, die sich auf vielfältige Weise in die Angelegenheiten der Menschen einmischen.
Die Handlung ist drei Märchen der Brüder Grimm nachempfunden
Das Stück nimmt sehr frei Motive aus drei Elfen-Märchen der Brüder Grimm auf. Die „Elfen“ sind gestaltet als kleine, geflügelte, immer emsige Käfer, ein bisschen gruselig mit ihren Skelett-Körperchen, aber ganz liebenswürdig. Etwa wenn sie für einen armen Schuster und seine Frau – mit übergroßen Masken dargestellt – zur Geisterstunde Schuhe nähen und hämmern, die die beiden Leutchen aus ihrer Armut retten. Für diese Szene bewegt sich das riesige Ziffernblatt der Uhr, wo die Ziffern verrutscht und durcheinander gepurzelt sind, nach unten und eröffnet – wie ein Bullauge – den Blick in die Schusterstube.
Aus dem Kuckucksei ist inzwischen ein frecher Riesenvogel geschlüpft – eine wunderbare Klappfigur – vor deren Zuschnappen die Vogelmutter ihre Finger hüten muss. Schon springt wieder ein Türchen auf – erst ein Babyweinen, dann fährt ein Baby hervor, das später aus einer Krippe mit Stroh geworfen und gegen ein Kuckuckskind ausgetauscht wird. Und da ist noch ein riesiges, gehörntes Kaninchen – ein Mensch mit Kaninchenkopf – der es mit seinem Gewehr, aus einem Blechtrichter und eigenartiger Mechanik gebastelt, auf den Kuckuck abgesehen hat, der immer wieder die Zeiger der Uhr ein paar Minuten zurückdreht, um zum Stundenschlag den herausspringenden Kuckuck zu treffen. Es gelingt dem Kaninchen nicht – beim dritten Versuch nur fast. Es fliegen Federn.
Eine Stunde dauerte das Stück – eine Stunde, die wie im Fluge verging. Eine Stunde, die im wahrsten Sinne des Wortes wie eine Geisterstunde anmutete, so getränkt war sie – bis ins kleinste Detail – mit Magie und Poesie. Angesichts der Vielfalt der Aktionen, der Verlebendigung der Figuren und Objekte, der vielen unterschiedlichen Rollen war kaum zu glauben, dass hier nur drei Schauspieler am Werk waren. Es mussten Zauberer gewesen sein.
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