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Jubiläum: Brechts "Baal": Von einem, der auszog, die Welt schmatzend abzugrasen

Jubiläum

Brechts "Baal": Von einem, der auszog, die Welt schmatzend abzugrasen

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    Der böse Baal, der asoziale: Rainer Werner Fassbinder in der Titelrolle von Volker Schlöndorffs "Baal"-Verfilmung (1969). In der Rolle der Sophie: Margarethe von Trotta.
    Der böse Baal, der asoziale: Rainer Werner Fassbinder in der Titelrolle von Volker Schlöndorffs "Baal"-Verfilmung (1969). In der Rolle der Sophie: Margarethe von Trotta. Foto: Volker Schlöndorff/Weltkino Filmverleih/dpa

    Am 8. Dezember 1923, vor hundert Jahren, wurde Brechts "Baal" in Leipzig erstmals aufgeführt. Wie so oft bei Premieren seiner Stücke und von ihm erhofft: Es gab einen Skandal. Brecht selbst war zugegen. Als er am Ende die Bühne betrat, kam es unter den Zuschauern fast zu Schlägereien. Kaum zu glauben: Der junge Bürgerschreck war verängstigt, und der Oberbürgermeister nahm den Aufruhr zum Anlass, weitere Aufführungen verbieten zu lassen.

    "Baal" ist Brechts zweites Drama seiner Augsburger Zeit

    "Baal", dessen früheste Fassung im Frühjahr 1918 entstand, ist, neben "Trommeln in der Nacht", das zweite große „Augsburger“ Drama Brechts. Beide könnten, auf den ersten Blick, unterschiedlicher kaum sein. In "Baal" wird ein Außenseiter, ein überpotenziertes Individuum vorgeführt, im Antirevolutionsstück "Trommeln in der Nacht" eines, das sich mit der Gesellschaft nicht nur arrangiert, sondern einer ihrer Repräsentanten wird. Das Gemeinsame beider Theaterstücke ist die Verweigerung des Einzelnen, den weder Ideale der bürgerlichen Gesellschaft noch solche totalitärer Ideologien scheren. Der Protagonist aus "Trommeln in der Nacht" geht seinen Weg, verweigert sich der Räterevolution – „Mein Fleisch soll im Rinnstein verwesen, daß eure Idee in den Himmel kommt? Seid ihr besoffen?“ – und wird lieber Geschäftsmann, als seine Haut zu Markte zu tragen. Baal scheitert an seiner „Lebensphilosophie“ bzw. er trägt deren Konsequenzen. 

    Diese ist wesentlich vom Denken Friedrich Nietzsches geprägt. Baal versteht sich als eine Art poetischer Übermensch, der die Zivilisation verlässt, um die „Welt schmatzend abzugrasen“, der hochmusikalisch, als Lyriker begabt, aber erfolglos ist, Frauen verführt, in den Tod treibt, seinen Freund umbringt, dem allerdings der von ihm geradezu beschriene „Genuss noch im Verrecken“ versagt bleibt; Baal stirbt elendiglich.

    Brecht gab der Figur des Baal faszinierende Züge

    Der Reiz des Stückes liegt darin, dass Brecht weit davon entfernt ist, Baal als verachtenswerten Sonderling vorzuführen; ganz im Gegenteil: Sympathische, sogar faszinierende Züge hat er. Sie resultieren aus seiner „asozialen“ Kompromisslosigkeit, aus der Bereitschaft, er selbst zu sein, koste es, was es wolle. Nicht ohne Grund wurde das Stück 1969 von Volker Schlöndorff verfilmt, mit Reiner Werner Fassbinder in der Titelrolle. Zudem ist in "Baal" vieles, um nicht zu sagen: fast alles vorgebildet, das Brechts Kunst einzigartig machen sollte; wenn auch auf einer frühen Entwicklungsstufe.

    So zeigt sich Brecht bereits als Meister der Vielschichtigkeit und als konsequenter Materialverwerter, der Anregungen aus der Bibel, der Philosophie, der Literaturgeschichte, aber auch seines Augsburger Umfelds generiert, diese weiterdenkt und zu einem neuen Ganzen zusammenfügt: Das ist nachvollziehbar am Beispiel des Protagonisten, der Züge der assyrischen Gottheit Baal trägt. Brecht nimmt damit aber auch ein beliebtes Motiv expressionistischer Literatur auf, der kundige Leser ist erinnert an Werke wie Georg Heyms Gedicht "Der Gott der Stadt", in dem ein Baal vorkommt, an Paul Zechs Erzählung "Das Baalsopfer", aber auch an den Roman "Ambros Maria Baal" des Österreichers Andreas Thom. Fast ein Kuriosum ist, dass eine Spur auch in Augsburgs Vorstädte, konkret nach Pfersee, führt. Hier nämlich lebte ein heruntergekommener und versoffener Dichter namens Johann Baal, der in den Altstadtkneipen seine Lyrik vortrug – damit Brecht in gewisser Weise nicht unähnlich; nur dass jener Johann Baal, so wie auch Brechts gedichtete Figur, ein schlimmes Ende nehmen sollte.

    Kein Theater wollte Brechts Stück aufführen

    "Baal" ist überdies ein Zeugnis des vom jungen Brecht genüsslich gepflegten Kontradiktorischen: Um sich selbst als Dichter ins Gespräch zu bringen, schrieb er vielfach gegen literarische Werke oder ganze Stilrichtungen an. So ist "Baal", besonders die früheste Fassung, ein Gegenentwurf zu einem Drama des damals angesehenen expressionistischen Dichters Hanns Johst. Sein Ziel erreichte Brecht, er erregte Aufsehen. Nur: Weder einen Verlag, der sein erstes großes Stück drucken wollte, konnte er zunächst finden, noch ein Theater, um es zur Aufführung zu bringen. Also überarbeitete er es, sehr wohl wissend, dass es dadurch an Qualität verlieren würde: Baal, so Brecht selbst, „ist zu Papier geworden, verakademisiert, glatt, rasiert […] anstatt erdiger, unbedenklicher, frecher, einfältiger!“ 

    Das ist, werkgeschichtlich, das erste bedeutendere Beispiel für Brechts strategisches und berechnendes Vorgehen, wenn es darum ging, seine Karriere als Dichter voranzubringen, sich zu vermarkten. Dies ist durchgehend nachweisbar; auch in der Zeit in der DDR, als er seine und Paul Dessaus Oper "Die Verurteilung des Lukullus" bereitwillig überarbeitete, als sie den Kulturfunktionären zu pazifistisch erschien. Hauptsache, das Werk wird aufgeführt. Was schadet da das ein oder andere Zugeständnis an einen Staat, der Brecht doch immerhin ein eigenes Theaterensemble zur Verfügung gestellt hatte?

    "Baal" ließ Brecht zeit seines Lebens nicht mehr los

    Zu guter Letzt: Wesentliche Elemente des Epischen Theaters, der berühmten Theatertheorie und -praxis Brechts, sind in "Baal", ebenso wie in "Trommeln in der Nacht", schon nachweisbar; solche, die das Theater revolutionieren sollten: so z. B. kommentierende, die Handlung unterbrechende liedhafte Einschübe, der „Spiel im Spiel“-Charakter, Verfremdungseffekte, die gesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten durchdringbar machen; allesamt Elemente, die das Stück vom traditionellen kulinarischen Theater abgrenzen.

    Wie ging es weiter mit "Baal"? In Augsburg kam es noch lange nicht auf die Bühne. Brecht ließ nicht von dem Stück, schrieb noch mehrere Fassungen, wurde aber zeit seines Lebens mit diesem außergewöhnlichen Protagonisten, der in der DDR mit gutem Grund verpönt war, nicht fertig. Es war wie bei "Trommeln in der Nacht"; Brecht lavierte, taktierte, aber „der böse Baal, der asoziale“ war in der Welt, die für Brecht nach seinem Umzug nach Ost-Berlin nun einmal eine sozialistische war. In dieser wurde "Trommeln in der Nacht" Gewalt angetan, nämlich nach Brechts Tod im Umfeld des Berliner Ensembles überarbeitet, auf Parteilinie gebracht und diese Bearbeitung als letzte, angeblich vom Autor selbst noch autorisierte Fassung verkauft; erfolglos. Vielleicht dann doch besser, dass "Baal" am Ende unfertig, in progress blieb?

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