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Foto: Herbert Heim
Foto: Herbert Heim

Hermeto Pascoal ist eine Jazz-Legende der anderen Sorte. Über das Keyboard lässt er seine Finger wandern, spielt aber auch mit Flüssigkeiten.

Internationaler Jazzsommer
04.08.2022

Erst Highspeed-Jazz, dann die Dusche: Hermeto Pascoals Konzert in Augsburg

Von Veronika Lintner

Hermeto Pascoal gilt als Hexenmeister der Musik. Seinen brasilianischen Urwaldsound lässt der 86-Jährige nun im Augsburger Botanischen Garten sprießen.

Eine Pechsträhne plagt den Star dieses Abends. Seit Wochen tourt der Jazzer Hermeto Pascoal nun schon um die Welt, und das Unglück scheint ihm hinterherzureisen – bisher sind drei seiner Koffer auf dem Weg verschwunden. Spurlos. Und in diesem Gepäck lagen sogar Instrumente. Das alles erklärt Tilman Herpichböhm, Chef des Internationalen Augsburger Jazzsommers, als er das Publikum begrüßt: „Wir bitten daher um Verständnis, dass er heute nicht auf seinem Teekessel mit Trompetenmundstück spielen kann.“ Teekessel ? Ja. Pascoal musiziert mit Piano und Akkordeon. Aber eben auch mit Messern, Radkappen, Steinen, Teekannen. Und das seit sechs Jahrzehnten. In Augsburg bot der Jazzer mit dem schneeweißen Haar nun – trotz der Verluste – eine Show mit brasilianischen Rhythmen und Klangspielereien. So trieb der Sound des Urwalds Blüten, mitten im Botanischen Garten.

Hermeto Pascoal präsentiert seinen Sound beim Jazzsommer in Augsburg

Auf der großen Weltbühne jazzt Pascoal seit 1970. Da spielte er zum ersten Mal mit und für Trompetengottvater Miles Davis, für das Album „Live-Evil“. Hermeto, Brasilianer, 34 Jahre jung und bereits damals eine Erscheinung: Als Albino, mit hellster Haut und weißem Haar, hatte er schon als Kind grelle Sonnenstrahlen meiden müssen – und er fand Zuflucht in der Musik. „O Bruxo“ nennen ihn Fans heute mit Ehrfurcht, „Hexenmeister“. Seinen Zauber zeigt ein Film von 1999: Zwischen Urwaldbäumen kniet Pascoal da in einem wilden Flussbett. Hier taucht er mit einer Flöte ins Wasser, er blubbert durch das Rohr, pfeift auch über Wasserflaschenhälse. Bald flattern bunte Schmetterlinge um ihn. Magischer Realismus. Dschungelbuch.

Pascoal sei „der beeindruckendste Musiker der Welt“, soll Miles Davis einmal gesagt haben. Gut, niemand kann den Satz amtlich bezeugen, aber so völlig aus der Luft gegriffen scheint er nicht, aus der Luft dieser Sommernacht in Augsburg. Zuerst aber beeindruckt das Männer-Quintett, das Hermeto im Konzert-Pavillon um sich reiht. Am Bechstein hüpft André Marques auf dem Klavierhocker, wenn er in Jazz-Akkorden die Tonleiterfarben auf und ab jagt. Sambarhythmen schießen kreuz und quer, wenn Ajurinã Zwarg die Drums bearbeitet und Itiberê Zwarg am E-Bass lostuckert. So weit, so Jazz, bis zur Extase.

Hermeto Pascoals Kollegen trommeln auch auf Holzschuhen

Die Hermeto-Magie stellt sich aber erst ein, als ein irres Solo aus der Percussion-Reihe tanzt. Fábio Pascoal, Sohn des Meisters, bläst in eine Kindertröte. Und gleichzeitig-parallel produziert er mit der „Guiro“ in seiner Hand Ritschratsch-Laute. Und dann stupst er mit diesem Instrument auch noch im Takt auf zwei – Schweinchen. Zwei Plastikquietschfiguren, vielleicht Spardosen, zweckentfremdet für den Groove aus Brasilien. Kurz darauf verwandeln die Schlagwerker auch einen holländischen Holzschuh zum beklopfbaren Instrument.

Bald blubbert dann der Amazonas. Oder zumindest ein Glas Wasser, in das Hermeto Pascoal höchstpersönlich prustet und singt. Das klingt, so dicht am Mikro, fast nach Posaune mit Dämpfer. Zum dramatischen Solo-Finale kippt sich „O Bruxo“ dann, fast wie ein Rockstar, das Glas über den Kopf. Gemütlich wird es nur, wenn der Chef zum Akkordeon greift. Oder wenn er auf der Melodica eine Melodie in Harmonie mit dem Sopransax anstimmt. Sonst hält der Chef wie ein Buddha am Synthesizer Wache und teilt seine Kräfte für die brasilianische Sause ein. In seinem eigenen Zeitmaß lässt er die Finger über die Tasten gleiten und gibt ein bisschen Würze bei.

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Hinein in den Dschungel beim Internationalen Augsburger Jazzsommer

Die Band rauscht indessen wie ein D-Zug durch die Botanik, verschnaufspausenlos. Jota P. bedient die Piccoloflöte sowie Saxofone aller Sorten – aus dem Sopraninstrument holt er fast Nebelhorn-Gebrumm, allerdings auch Höhen wie aus dem Hundepfeifenregister.

Dieses Konzert war kein Fall für Tanzflächenverweigerer. Auch nicht für Fans des mitpfeifbaren Frühstücksjazz. Aber wer dem Rhythmus verfällt, den haben Hermeto Pascoal und seine Band mitgerissen. Hinein in den Dschungel.

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