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Illustration: Was Bilder erzählen können

Illustration

Was Bilder erzählen können

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    Mit einem Live Recording begleitete Lisa Frühbeis auch die Startphase der Ausstellung „Utopia 2040“ im Textilmuseum.
    Mit einem Live Recording begleitete Lisa Frühbeis auch die Startphase der Ausstellung „Utopia 2040“ im Textilmuseum.

    Wer Comic für Kinderkram hält, ist bei Lisa Frühbeis genau an der richtigen Stelle, um eines besseren belehrt zu werden. Weil die 32-Jährige über die Kindheit hinaus begeisterte Comicleserin ist. Und weil Frühbeis nach einem Studium an der Hochschule Augsburg mittlerweile selbst eine anerkannte Comiczeichnerin ist. Im Berliner Tagesspiegel veröffentlichte die Münchnerin, die seit ihrem Studium in Augsburg lebt, in den vergangenen zwei Jahren einmal im Monat ihren Comic „My 100 Days of strange Life“. In einer Reihe mit Zeichner-Größen wie Mawil, Birgit Weyhe und Marwin Clifford erzählte sie für die Sonntagsausgabe der Zeitung exklusiv Geschichten in zwölf Bildern – hintergründig, analytisch, rotzig und immer mit feministischem oder sozialem Engagement.

    Alles andere als „Kinderkack“ eben, wie sie es ausdrückt, sondern mit ernstem Hintergrund und oft auch irritierend. Etwa wenn das BGB auf der Anklagebank sitzt, weil es ein rein von Männern gemachtes Werk ist. Für die Augsburger Anthologie „Versunken & Entsprungen“ steuerte Lisa Frühbeis eine Geschichte in Wort und Bild über die Augsburger Patronin Afra bei – mit dem Fokus auf deren vermutlicher Vergangenheit als Prostituierte. Dass Frühbeis die Dinge gern gegen den Strich bürstet, zeichnete sich schon früh ab. In ihrer Facharbeit im Gymnasium gab sie dem „Sterntaler“-Märchen von Hans Christian Andersen in einem Comic einen neuen Dreh: Das Mädchen gibt all sein Hab und Gut an andere, weil es massiv bedroht wird. „Ich konnte einfach nicht glauben, das es so altruistisch ist“, meint Frühbeis.

    Nach Abschluss ihres Studiums widmete sich Lisa Frühbeis zuerst der Illustration, zeichnete für einen Verlag, der Lehrmittel für die Erwachsenenbildung herausgibt, und war „gar nicht glücklich“ damit. Bilder vorwiegend als Dekoration zu betrachten, entspricht nicht ihrer Vorstellung. Ein Comic-Workshop war da „wie eine Erweckung“, erinnert sie sich, vor allem weil die Meisterin unter den Graphic Novellisten, Barbara Yelin, sie unter ihre Fittiche nahm und sie ermunterte, ihre eigenen Inhalte zu erschaffen. 

    „Bilder sind viel wirksamer und eindringlicher als Worte“, findet die Zeichnerin, die aber selbst äußerst differenziert und eloquent mit Worten umzugehen weiß. In ihrem Atelier auf einem ehemaligen Fabrikgelände in Augsburg sitzt Lisa Frühbeis vor einem großen Bildschirm, neben sich noch einen Laptop und ein Tablet, und spricht über die Macht der Bilder. Wie sie einen emotionalen Zugang zu einem Thema schaffen und dieses Thema durch Humor zugänglicher machen können, welchen Freiraum sie einem Betrachter bei der Interpretation lassen und wie man über sie miteinander in Kommunikation treten kann. Viele Menschen wüssten aber mit der Botschaft der Bilder nichts anzufangen, hat sie festgestellt. Deshalb hat sie einen Workshop erarbeitet, der visuelle Lesefähigkeit vermittelt. 

    Die Sprache der Bilder und ihre Macht setzt Lisa Frühbeis auch bei Graphic Recordings für Firmen und Institutionen ein. Während eines Meetings oder einer Konferenz erstellt sie dabei ein Protokoll in Bildern. In der Rolle einer „Simultanübersetzerin vom Wort ins Bild“ sieht sie sich bei ihren Live Recordings. Als eine, die im wörtlichen Sinne Prozesse und Ergebnisse „plakativ“ vor Augen führt – und dies am besten mit den Mitteln des Storytellings, „denn Geschichten sind für die Menschen einprägsamer als reine Fakten“. Auf die Schnelligkeit und Kreativität der Zeichnerin kommt es dabei an. „Da habe ich zwei Minuten Zeit, einen Beitrag oder ein Zitat in einem möglichst ausdrucksstarken Bild umzusetzen“, stellt Frühbeis dar. Sie stehe dabei so unter Anspannung, dass sie danach zwei Tage für die Regeneration benötige. „Die Hände schmerzen, der Kopf tut weh und der Rücken ist krumm“, sagt sie und lacht trotzdem. Denn das Graphic Recording gibt ihr die Möglichkeit, mit ihren Bildern Menschen ins Gespräch miteinander zu bringen und zum Nachdenken anzuregen. Zugute kommen ihr ihre Vorliebe für das schnelle Skizzieren („ich bin keine Fricklerin“) und ihr starkes Interesse für gesellschaftsrelevante Themen und Diskurse. 

    Die Bürgerbeteiligungsprozesse für die Theaterrenovierung und die Museumslandschaft in Augsburg begleitete Lisa Frühbeis mit ihrem Graphic Recording, ebenso die Startphase der derzeit im Textilmuseum laufenden Ausstellung „Utopien einer vielfältigen Stadt“, an der auch interessierte Bürger mitwirkten. Es gefällt ihr, dass sie auf diese Weise die Stadt mitgestalten kann, in der sie gern lebt – auch weil sie hier eine Vielfalt erlebt, die für sie ein Nährboden ihrer Kreativität ist. „40 Prozent Migrationsanteil – das macht mich entspannt“, sagt sie.

    Im Sommer wird Lisa Frühbeis die Stadt allerdings für einige Monate verlassen, um nach Angoulême in Frankreich, die europäische Hauptstadt der Comiczeichner, zu gehen. Dort hat sie ein Stipendium und möchte an ihrem neuesten Comic weiterarbeiten. „Eine Mutter, die sich in ein Monster verwandelt“, ist ihr darüber als einziges zu entlocken. Zuvor wird es für Lisa Frühbeis aber noch in Augsburg spannend: In der Kategorie Bester Künstler ist sie dieses Jahr für den Augsburger Pop-Preis Roy nominiert, der zum Auftakt des Modular-Festivals vergeben.

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