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Goran Bregović begeistert Augsburg mit Balkan-Klängen beim Friedensfest

Augsburger Friedensfest

Eine Sause für den Frieden: Goran Bregović spielt auf der Freilichtbühne am Roten Tor

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    Folklore auf der Augsburger Freilichtbühne: Goran Bregović und sein „Wedding and Funeral Orchestra“.
    Folklore auf der Augsburger Freilichtbühne: Goran Bregović und sein „Wedding and Funeral Orchestra“. Foto: Michael Hochgemuth

    Bei der fünften Nummer des Konzerts bricht der letzte Widerstand im Publikum. Dieser kleine Rest von Schüchternheit – Was macht denn der Sitznachbar? Der zappelt doch auch schon mit den Beinen? - zerbröckelt: Alle auf die Tanzfläche! Rudelweise springen Zuschauer die Steinstufen hinab zur Bühne und zuckeln und zappeln zum Balkan-Groove. Das „Ufffta, Ufffta!“ der Bass-Trommel treibt die Band an, macht der Trompete und den Tenorhörnern Dampf, mit ihren wirbelnden Läufen. Auf der Freilichtbühne am Roten Tor lässt der Balkan-Sound die Luft zittern. Der bosnische Komponist Goran Bregović gibt hier ein Konzert mit seinem „Wedding an Funeral Orchestra“ – im Kulturprogramm des Augsburger Friedensfests. Und im Namen der Völkerverständigung.

    Bregovic präsentiert seinen Folklore-Balkan-Mix in Augsburg

    Was Bregović dem Publikum bietet, ist ein Gewürzmix aus der Folklore aller Balkanländer – und zudem Weltmusik über alle Grenzen hinaus. Dafür ist der Mann seit den 90er-Jahren berühmt. Dass Frieden ein Leitmotiv seiner Kunst ist, liegt daran, dass er den Wert des Friedens wohl kennt. Bregović stammt aus einer Region, die von Kriegen schwer verwundet wurde: Der Vater Kroate, die Mutter Serbin aus der Herzegowina, Kindheit in Sarajevo – Bregović bezeichnet sich heute noch als Jugoslawe, obwohl das Land schon lange nicht mehr existiert.

    Der Komponist arbeitet gemeinsam mit Künstlern rund um den Globus. Woher sie stammen, zählt er mit Stolz in Augsburg auf: „Spanien, Frankreich, England, Mexico, Tunis, Tel Aviv …“ Und um seine Philosophie zu erklären, erzählt Bregović dem Publikum eine kleine Geschichte – von einem alten Mann in Jerusalem. Seit 60 Jahren pilgert er jeden Tag zur Klagemauer. Betet für Frieden, für ein Ende der Gewalt zwischen Christen, Muslimen, Juden. Da fragt ihn einer: Warum machst du das? Wie fühlt sich das an? „Nun ja, ich habe das Gefühl, gegen eine Wand anzureden.“ Und trotzdem hört der Mann nicht auf, zu hoffen. Und das ist die Idee, die Bregović hier verkünden will: „Darum geht es heute Abend.“

    Das „Wedding and Funeral Orchestra“ spielt am Roten Tor

    Eine dicke Klangwolke wabert zu Beginn zwischen den Steinmauern am Tor. Es ist der Sound seines „Wedding and Funeral Orchestras“, das ihn seit 1998 begleitet: Eine Klarinette schlenzt ihre Töne im Klezmer-Stil, eine Geige lässt ihre hohen Seiten sirren und über allem erhebt sich – ein sechsköpfiger Männer-Chor. Sie reihen sich auf, wie die verdoppelten „Drei Tenöre“, schmettern mit Pathos und bebender Stimme. Zwei Sängerinnen verstärken das Sextett, sie tragen goldene Balkantracht, Schürze und Blumenkranz. So klingt Sehnsucht, denkt man sich, aber: All das ist nur Ouvertüre, bis er auftritt. Ganz in Weiß, mit wippendem Lockenkopf, präsentiert er sich wie ein Balkan-Bob-Dylan von 74 Jahren. Mit Goran Bregović, dem Chef an der Gitarre, betritt der Groove die Bühne.

    Bregović spielt an diesem Abend seine Filmmusik. Berühmt wurde er durch Kinomelodien für Emir Kusturica („Time of the Gypsies“, „Underground“) – ehemals ein Freund, heute ein Feind Bregovićs. Ein Regisseur, der zuletzt Putin für seine Attacke auf die Ukraine lobte. Wobei auch Bregović selbst schon in die Kritik geriet, denn 2023 durfte er nicht nach Moldawien einreisen, weil er sich nicht klar genug von Russlands Angriff distanziere – hieß es in der Begründung. Und so führen alle Wege zur Frage nach dem Frieden: Für den französischen Film „Die Bartholomäusnacht“ (1994) hat Bregović Musik komponiert. A-Capella-Choräle, bedrohliche Blech-Salven, harte Gitarre – eine Filmmusik zur Geschichte jener Nacht. Damals, am 23. und 24. August 1572 und in den Tagen danach, wurden Protestanten in ganz Frankreich in Massen ermordet.

    Bregovic singt „Bella Ciao“ in Augsburg

    Die Konzertstimmung wechselt mit Anbruch der Nacht: Bregović zündet jetzt seine Hochtempo-Blaskapellen-Nummern, Stück um Stück bis zur Ekstase. Das tönt zappelig ungeschliffen, hochvirtuos und krachend rumpelig zugleich. Das Saxofon jodelt, an der Bass Drum trommelt der Drummer und singt dazu. Und dann spielt die Kapelle auch noch Trinklieder. Und „Bella Ciao“, den Mitsing-Ohrwurm unter den antifaschistischen Partisanen-Liedern.

    Über diese Strecke entwickelt sich ein enges Verhältnis zwischen Bregović und dem Publikum, wie zwischen Dirigent und Chor. Sie summen Melodien auf seinen Wink und viele sind bei seinen Hits sogar textsicher: „Mesecina“ singt die Hälfte mit. Sie legen die Schüchternheit ab. Und tanzen.

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