Wie viele Augsburger, wie viele Besucher der Stadt bewundern wohl diesen ihnen in St. Moritz mit wehender Draperie freudig entgegeneilenden Christus Salvator? Wie viele Augsburger aber, wie viele Besucher könnten den Namen des Bildschnitzers aus dem Handgelenk schütteln? Nicht einmal jeder Kunsthistoriker, jede Kunsthistorikerin weiß Bescheid um den Meister.
Georg Petel ist der Schöpfer der Christus-Figur in St. Moritz
Dabei war und ist Georg Petel, der Schöpfer dieses Christus aus Lindenholz, alles andere als ein regionaler Kleinmeister! In Wahrheit war er ein in Augsburg tätiger, führender deutscher Künstler im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts - bestens ausgebildet, bestens unterstützt (etwa durch Rubens), bestens selbst sich entwickelnd, bestens nachgefragt von Kirche und gesellschaftlicher Elite - bis er hier im Mai 1634 im Dreißigjährigen Krieg allzu jung vermutlich an der Pest starb. Drei, vier herausragende Werke seiner Hand reichen, um zu erkennen: ein ganz Großer, wenn auch nicht ein geläufig ganz Großer.
Soeben ist zu seinem bekannten Werk mit weiteren Augsburger Skulpturen - sowie Elfenbeinschnitzereien im Bayerischen Nationalmuseum München - ein Ensemble hinzugekommen. Präziser formuliert: Die Zusammenführung dreier Kleinskulpturen, von denen eine bislang autorenlos im Depot des Bayerischen Nationalmuseums schlummerte, ergeben zusammengenommen eine bis dato unbekannte Figurenkonstellation des 1601/1602 in Weilheim geborenen Petel - eine Bronze-Kreuzigungsgruppe mit Christus und den beiden Schächern ihm zur Seite, entstanden in Augsburg.
Georg Petels Kreuzigungsgruppe erforderte großen Spürsinn
Wie es zu der Erkenntnis kam und jetzt eben im Bayerischen Nationalmuseum anhand einer Studioausstellung plus Katalog dokumentiert wird, darf als spannende Forschungs- und Detektivarbeit einschließlich materialtechnischem Nachweis betrachtet und erzählt werden. Dem Kunsthistoriker Jens Burk, Stellvertreter des Museums-Generaldirektors, fiel ins Auge, dass der im Münchner Depot schlummernde Kruzifixus erhebliche stilistische Ähnlichkeiten aufweist mit den zwei in der Skulpturensammlung der Staatlichen Museen Berlin befindlichen Petel-Schächern, die aufgrund ihrer exzeptionellen Qualität 1926 Georg Petel zugeschrieben sind. Die gleiche dramatisch-suggestive Darstellung in einem seltenen, weil aufwendigen Thema, meisterlich ausgeführt, die gleiche (teure) Vergoldung, dazu existierend ein Augsburger Dokument, dass Petel solch eine Kreuzigungsgruppe geschaffen habe. In der Hand hatte Burk zunächst freilich nur eine These.
Aber sie gab mehr als ausreichend Anlass, stilistisch und materialtechnisch weiterzuforschen. Dazu gehören vor allem die künstlerischen Einflüsse, unter denen Petel stand, als er ausgelernt erst Antwerpen und Peter Paul Rubens besuchte, dann nach Paris weiterzog und schließlich auch Rom erreichte. Um in Kürze anzudeuten, was Petel von seinen Studienaufenthalten jeweils mitnahm und was jetzt von Jens Burk auch mittels Werkgegenüberstellungen festgehalten wird: Die dynamisch gewundenen, verrenkten Leiber der Schächer sowie der am Kreuz sich aufbäumende Christus sind weder vorstellbar ohne die Kunst Rubens' (und auch der römischen Laokoon-Gruppe im Vatikan). Hinzu kommt, dass Petel etwas aufgriff, was in Rom Michelangelo erstmals ausführte: den noch lebenden Christus am Kreuz. Als Kleinskulptur wurde der Gekreuzigte von Petel ausschließlich lebend dargestellt - im Gegensatz zu seinen großen Kruzifixen. Zusätzlich wird die Kreuzigungsgruppe qualitativ ausgezeichnet durch den festgehaltenen hoch tragischen Moment der letzten sieben Worte von Jesus - wie er sich kurz vor seinem Tod tröstend dem reumütigen Schächer zuwendet, um dann - verzweifelt, sich verlassen wähnend - zu sterben.
Die "Goldene Passion" fand die Fürsprache der Fugger
Das sind die wesentlichen stilistischen Argumente, die materialtechnisch per Computertomografie, Elektronenmikroskop und chemische Untersuchung untermauert werden: Mal ganz abgesehen davon, dass die Größe und das Gewicht der Figuren (Wandstärke des Gusses!) vergleichbar sind, stellen sich als nahezu identisch dar: Legierungszusammensetzung und Legierungsoberflächenalterung, dazu das technische Verfahren, wie die insgesamt sechs Arme an die drei Körper angestückt wurden.
Passiert in Augsburg um 1626, vielleicht bei Petels Bruder, der hier Goldschmied war, und nicht lange, nachdem Petel selbst - unter Hindernissen - seine Niederlassungserlaubnis und seine Handwerksgerechtigkeit erhalten hatte. Vermutlich war dafür eine Fürsprache der Fugger notwendig, auf jeden Fall aber eine Heirat, die rasch nach Antragstellung vollzogen wurde.
So wie sich die Kreuzigungsgruppe nun als sogenannte "Goldene Passion" überzeugend erhebt im Bayerischen Nationalmuseum, lässt sich fragen, warum niemand zuvor eine Zugehörigkeit der Figuren erwogen hat. Aber hinterher ist man halt immer schlauer.
Studioausstellung bis 30. Juni im Bayerischen Nationalmuseum, danach im Bode-Museum Berlin. Katalog, 120 Seiten: 24 Euro.