Am ganzen Körper tätowiert könnte der Mann, der am Donnerstagabend für eine ausverkaufte Gersthofer Stadthalle gesorgt hat, durchaus als Rockstar durchgehen, der Musik im Stil der Neuen Deutschen Härte von der Bühne dröhnen lässt. Doch Dr. Mark Benecke ist Kriminalbiologe und Spezialist für forensische Entomologie. Seit Jahren ist er in ganz Deutschland unterwegs, um sein Fachwissen in spannenden und wissenschaftlich fundierten Vorträgen zu vermitteln. Sein Publikum, das sich eher wie in einem Hörsaal fühlt, muss dabei hart im Nehmen sein. "Er ist ein Phänomen", sagt Andreas Mihatsch von der Agentur „Expedition Erde“, über den Mann, der nicht nur zahlreiche Bücher geschrieben hat, sondern inzwischen auch unter die Sänger gegangen ist. Benecke hat dieses eigentlich ekelhafte Thema, vermeintliche unlösbare Mordfälle zu klären, salonfähig gemacht.
Während der Veranstaltung herrschen strenge Regeln
Dort, wo sonst Comedians scherzen, Schauspieler in ihre Rollen schlüpfen oder Musiker ihren Instrumenten Töne entlocken, verbreitete der 52-Jährige ein permanentes Schaudern. Der in Rosenheim geborene, mittlerweile in Köln lebende Benecke ist studierter Biologe, Zoologe und Psychologe. Er hat diverse polizeitechnische Ausbildungen im Bereich der Gerichtsmedizin in den USA absolviert, unter anderem beim FBI. Der Öffentlichkeit ist er durch seine Auftritte in TV-Serien wie „Medical Detectives“ oder „Autopsie – mysteriöse Todesfälle“ bekannt. Auch in den sozialen Medien ist er sehr präsent. „Ich habe ihn auf YouTube entdeckt. Ich finde diese Videos auf wissenschaftlicher Basis sehr interessant“, verrät Desiree Hutter aus Augsburg. Die junge Frau hat gerade im Foyer eines seiner vielen Bücher erstanden.
Siegfried Eppinger aus Offingen war dagegen früher bei der Spurensicherung in Neu-Ulm tätig. „Der macht das ganz anders. Draußen hat man nicht so viel Zeit dafür“, urteilt er sozusagen „unter Kollegen“. Beide haben sich gewundert, dass der Kriminologe zunächst einmal einen 20-minütigen Vortrag hielt, wie sich seine Zuschauenden zu verhalten haben. Auch auf der großen Leinwand auf der Bühne steht es minutiös zu lesen, wann der Vortrag beginnt und endet, dass Aufnahmen mit dem Handy strafrechtlich verboten sind. In der von einer Stoppuhr begrenzten Pause signiert er Bücher. Und sonst nichts. Außerdem gibt es ein gemeinsames Gruppenbild zum Markieren bei Instagram oder Facebook. „TikTok fällt heute aus, weil meine Frau krank ist“, lässt Benecke wissen.
Vortrag von Kriminalbiologe Mark Benecke in Gersthofen ist nichts für zartbesaitete Menschen
Benecke gilt als „Herr der Maden“, der neben Blutspritzern, Sperma-Flecken und anderen Überbleibseln auf, in beziehungsweise neben den Opfern von Gewaltverbrechen oder am Tatort auch unappetitliche Fliegenlarven zur Aufklärung von Verbrechen heranzieht. Als "Fliegenflüsterer" spricht er sozusagen mit Insekten auf Leichen. Da kann es in den drei Stunden seines Vortrags schon mal unappetitlich werden, wenn Bilder von durchgesägten Beinen, verfaulten und aufgedunsenen Leichen oder blutbesudelten Tatorten auf der Leinwand auftauchen, die in ihrer Deutlichkeit weit über das üblicherweise im Fernsehen oder in Zeitungen Gebotene hinaus gingen.
Dem einen oder anderen etwas zarter besaiteten Zuschauer konnte da schon sich mal der Magen umdrehen oder der Kreislauf schlapp machen. Obwohl er sich das „Herumgerenne während der Veranstaltung“ verbeten hatte, verließen immer wieder Zuschauende den Saal. Die Sanitätskräfte in der Halle hatten jedenfalls gut zu tun. Das Mindestalter für den Besuch der Show ist deshalb auf 16 Jahre festgelegt.
Fotografieren während des Vortrags ist auch für die Presse untersagt. Es hätte auch nicht viel zum Ablichten gegeben, denn Benecke steht ganz in schwarz gekleidet etwas verloren neben der Bühne an einem kleinen Stehtisch, der mit einer Lichterkette geschmückt ist. Auf einem Laptop steuert er die blutüberströmten Szenen von Mord und Totschlag, die er mit einem Laserpointer erklärt und mit „postmortalem Herumklugscheißern“ flapsig kommentiert
Wer aufmerksam zuhört, konnte einiges lernen. Zum Beispiel, dass man aus der Höhe und der Breite eines Bluttropfens den Aufprallwinkel errechnen kann. So können Aussagen getroffen werden, woher dieser Bluttropfen geflogen kam. Oder, dass sich ein Messerstecher meist selbst an der Klinge verletzt, weil das Messer in der Hand durchrutscht, sobald es im Körper auf Widerstand stößt.
Eine ausverkaufte Veranstaltung ist in Nach-Corona-Zeiten außergewöhnlich. Was treibt Menschen an, sich diese schauderhaften Geschichten als Abendunterhaltung einzuverleiben? „Wir sind sehr interessiert an Psychologie und Mord und kennen ihn vom Fernsehen. Es ist toll, ihn einmal live zu erleben. Er kann das auch denen wissenschaftlich erklären, die nicht studiert haben. Manchmal möchte man lieber nicht hinschauen“, verrät Helga Kimmerl aus Augsburg, die zusammen mit ihrem Mann Martin gekommen ist. Dem stößt sauer auf, dass Benecke seine Abneigung gegen Fleisch, das er als „Leichengewebe“ bezeichnet, wiederholt offen zur Schau stellt. Karl-Heinz Herget aus Königsbrunn hat einen ganz anderen Grund. „Ich folge ihm auf Facebook. Seine Beiträge sind manchmal so skurril und durch den Wind, dass ich ihn unbedingt sehen musste.“
Skurriles Ende eines skurrilen Vortrags
Das Ende der Veranstaltung unterstreicht dies. Nach exakt drei Stunden teilweise etwas ekeliger Unterhaltung schickt Dr. Mark Benecke seine Fans mit einem Glitzereinhorn in die Nacht. Leute vom Fach konnten sich noch Fortbildungsscheine abstempeln lassen.