Die neunte wurde Beethovens letzte Sinfonie, ebenso Mahlers letzte - und sie bildet
auch der Abschluss des Werkes von Anton Bruckner. Noch während er das Finale komponierte
starb Bruckner am 11. Oktober 1896 in Wien. „Es scheint, die Neunte ist eine Grenze.
Wer darüber hinaus will, muss fort“, sinnierte Arnold Schönberg. „Die eine
Neunte geschrieben haben, standen dem Jenseits zu nahe.“ Zu nahe am Jenseits -
ein bisschen klingt Bruckners Neunte danach. Begangen wird aber heuer Bruckners
Geburtsjahr 1824, so auch beim Auftakt zum Friedberger Musiksommer in der fast
ausverkauften Kirche St. Jakob am Mittwochabend. Zu Gast ist in diesem Jahr das von Karl Heinz Steffens geleitete Norrköping Symfonieorkester.
St. Jakob in Friedberg ist wie geschaffenfür Bruckners Neunte
Der sakrale Raum ist wie geschaffen für die tiefe Religiosität Bruckners, die sich in seiner Musik verströmt, ebenso für Mozarts reine Andacht im Adagio seines berühmten Klarinettenkonzertes, das im ersten Teil des Programms zu hören war. Auch dies im Übrigen ein Spätwerk und vollendet zwei Monate vor Mozarts Tod. Beide Komponisten lebten, wirkten und starben in Wien, beide hatten mit dem Zwischenmenschlichen ihre Schwierigkeiten, beide waren musikalische Visionäre. In ihrer Musik gingen sie aus sich heraus.
Ausgangspunkt der unvollendeten Pilgerreise in Bruckners 9. Sinfonie ist Richard Wagners Klangwelt, die er bald verlässt, um einzutauchen in den eigenen Kosmos. Ein Universum, das sich da ausbreitet, bisweilen filmmusikalisch deskriptiv, jedenfalls groß und weit, raumschaffend im Werden, und vor allem vorausweisend - als bräche jeden Moment die Moderne durch. Wie Sternschnuppen ziehen die motivischen Geistesblitze durch den Klangraum, bisweilen frappierend schlicht, Riesen-Pathos ohne Riesen-Ego, ein seliges aufgewühlt Sein, aber auch apokalyptische Düsternis. Vielleicht ein Rückblick, ein Vermächtnis, angeblich und zu Recht dem „Lieben Gott“ gewidmet, seiner emotionalen Wucht nach nachvollziehbar, bisweilen klang es auch, als wäre eine Orgel im Orchester.
Bruckners Neunte beim Friedberger Musiksommer: Ein Kraftakt
Im Bruckner´schen Klangkosmos herrschen eigene Komponierregeln, die das 20. Jahrhundert später wiederaufnimmt und fortführt. Für die Interpreten ist sein Werk ein Kraftakt, physisch und psychisch. Eine Stunde dauern die drei Sätze ohne Finale. Bruckners irrlichternde Genialität, die weiten Bögen, die unkonventionelle Genese, die gigantischen Aufbauten und Stimmungswechsel fordern Höchstleistungen. So kontrastiert das Scherzo zwischen wienerischer Nonchalance und schwerem rhythmischen Wuchten, schwenkt im Trio nach böhmischer Idylle; der schlicht mit Adagio überschriebene dritte Satz schließlich leuchtet, unwiderstehlich in seinem Glühen, türmt sich zur klanglichen Feuersbrunst.
Dirigent Karl-Heinz Steffens und das Norrköpings Symfonieorkester schufen eine bewundernswerte Aufführung, die gestaltete und bildete, sich die Zeit nahm für Zäsuren und Innehalten, der ohrenbetäubenden
Klanggewalt freie Bahn ließ, aber auch Platz ließ für leise Töne. Das 1912 gegründete schwedische Orchester begeisterte, stets präzise und intonationssicher, bei Mozart mit sehr transparentem, verschlanktem und
vibratoreduziertem Spiel, das zartgliedrig phrasierte, bei Bruckner mit beeindruckender, dreidimensionaler Farb- und Dynamikvielfalt, ins Volle greifend, dabei stets klang ästhetisch und kontrolliert.
Karl-Heinz Steffens war Solo-Klarinettist zweier berühmter Orchester
Da Karl-Heinz Steffens in Wolfgang Amadé Mozarts Klarinettenkonzert KV 622 zusätzlich zur musikalischen Leitung den Solopart spielte, war erhöhte Aufmerksamkeit aufeinander gefordert - musikalisch ein Gewinn und als reges miteinander Musizieren ganz im historischen Sinne. Für das Friedberger Publikum war es auch ein Erlebnis, den ehemaligen Solo-Klarinettisten zweier weltweit führender Orchester - des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks und der Berliner Philharmoniker - an seinem Instrument zu erleben. Steffens beherrscht die Klarinette vollkommen. Neben seinem mühelos virtuosen Können, dem betörend schönen weichen Ton und perfekten Ansatz faszinierte seine Intensität, die sich vor allem im Adagio auftat: eine Insel der Seligkeit, überirdisch schön. Meisterhaft gespielt war auch das sprudelnde, gut gelaunte Finale, gekonnt nicht zu schnell genommen, oft ein Risiko nach besonders intensiven Mittelsätzen. Spielfreude und Duettierlust prägten das Rondo. Hier kündigt sich bereits die Vorromantik an, etwa Mozarts angeheirateter Verwandter Carl Maria von Weber.
Das Publikum war begeistert. Nach beiden Werken wurden die Interpreten mit stehenden Ovationen gefeiert.
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