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Frido Manns Augsburger Zauberberg-Vortrag

Zauberberg-Stiftung

Frido Mann und "Der Zauberberg": Umkehr in der Eskalationsspirale

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    Der Vortragsautor und seine temporäre Stimme: Die Gedanken von Frido Mann (rechts) zum "Zauberberg" wurden in Augsburg von Dirk Heißerer vorgetragen.
    Der Vortragsautor und seine temporäre Stimme: Die Gedanken von Frido Mann (rechts) zum "Zauberberg" wurden in Augsburg von Dirk Heißerer vorgetragen. Foto: Anatoli Oskin/Uni Augsburg

    Die an der Augsburger Universitätsbibliothek beheimatete Zauberberg-Stiftung des Thomas-Mann-Forschers Klaus W. Jonas und seiner Ehefrau Ilsedore hat die weitere Erkundung des Werks des Literaturnobelpreisträgers zum Zweck, und dazu gehören seit Jahren die Zauberberg-Vorträge, die zusammen mit dem Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literatur der Augsburger Universität veranstaltet werden. Die illustren Redner ziehen dabei stets entsprechend Publikum, diesmal jedoch war der Rokokosaal der Regierung von Schwaben geradezu übervoll, manch einem blieb nur, den Vortrag stehend mitzuverfolgen. Kein Wunder aber auch beim Namen des geladenen Redner, denn da klingt ein besonderes Echo zurück, war es doch Frido Mann, Enkel von Thomas Mann.

    Eine Belastung durchaus, dieses Enkel-Sein, wie Mathias Mayer, NDL-Lehrstuhlinhaber und Spiritus Rector der Vorträge, in seiner Vorstellung des Gastes ausführte. Denn der Enkel Frido war dem Großvater bei dessen Roman "Doktor Faustus" phänotypisches Vorbild für die Figur des kleinen Nepomuk, der auf grässliche Weise ums Leben kommt - eine weit ins eigene Leben reichende Hypothek für Frido Mann. Die ihn aber doch nicht von der Leistung abhielt, "mehrere Lebensperspektiven" (Mayer) zu vereinen, das Studium der Musik ebenso wie das der katholischen Theologie, gefolgt von Studien der Psychologie und Medizin sowie, letztlich, dem Schaffen eines eigenständigen literarischen und essayistischen, sich insbesondere auch zeitgeschichtlichen Fragen widmenden Werks. 

    Die Parallele zwischen damals und heute

    Ein mehrfach ausgewiesener Redner also für den Augsburger Zauberberg-Vortrag im 100. Jahr der Veröffentlichung dieses, wie Mathias Mayer sagte, "Jahrhundertromans". Nur dass den 83-jährigen Frido Mann an diesem Abend eine Indisposition dazu nötigte, seine Stimme auf jemand anderen zu übertragen. Dirk Heißerer, selbst profunder Kenner der Familie Mann, sprang ein, las den Text von Frido Mann jedoch nicht trocken herunter, sondern mit einer Emphase, als wäre es sein eigener. Was nicht wenig zur Wirkung der Worte beitrug. "Um der Güte und Liebe willen" hatte Frido Mann seinen Vortrag betitelt unter Bezug auf einen Satz aus dem "Zauberberg". Warum gerade diesen, dafür nahm Mann Anlauf, indem er eingangs eine Parallele zieht zwischen der Zeit der Abfassung des Romans (vor und nach dem Ersten Weltkrieg) und der heutigen, von neuen Kriegen und anderen Erschütterungen verursachten "Zeitenwende".

    Der "Zauberberg" also als ferner Spiegel des aktuellen Weltzustands und gerade auch des Westens mit der von Frido Mann konstatierten "Aushöhlung unserer traditionellen Werte". So wie im Roman die Tuberkulose unter den Menschen zersetzend wirkt, vergifteten heute Plagen wie das Coronavirus "das ohnehin geschwächte soziale Weltklima". Und kaum sei die Pandemie gebannt gewesen, sei schon der nächste Stoß erfolgt, der russische Überfall auf die Ukraine. Nach Frido Manns Worten ein Krieg "gegen Demokratie und menschliche Zivilisation schlechthin".

    Frido Mann argumentiert als Psychologe

    Den zentrale Gegensatz unserer heutigen Zeit, Humanismus hier und Totalitarismus dort, erkannte bereits Thomas Mann, ihn im "Zauberberg" personalisierend im Antagonistenpaar Settembrini/Naphta. Was aber sind für den einzelnen Menschen die Beweggründe, fragt Frido Mann, mit dem Totalitarismus und ähnlich "menschenfeindlichen Bewegungen" zu sympathisieren? Hier holt der Psychologe Frido Mann aus zu einer weitreichenden Argumentationskette. Es sind, argumentiert er, soziale Benachteiligungen und Verlustängste, die ein reduziertes Selbstwertgefühl hervorbrächten, was wiederum zu irrationalen Schuldzuweisungen führe und letztlich das menschliche Miteinander untergrabe. Eine "Eskalationsspirale", in der, das zeige die Menschheitsgeschichte etwa in ihren blutigen Revolutionen, immer dieselben Muster zu finden seien. 

    Grundsätzlich, sagt Mann, sei in dieser "Spirale des Bösen" auch der umgekehrte Spiralweg möglich. Ob jedoch "die Kraft der Vernunft" hinreicht, damit das Gute über das Böse siegt, darüber zeigt Frido Mann sich skeptisch. Und sieht sich beim Blick in den "Zauberberg" nicht nur bestätigt, sondern erkennt zugleich eine andere Lösung des Problems. Im berühmten "Schnee"-Kapitel des Romans, in welchem die Hauptfigur Hans Castorp sich freimacht von den gegensätzlichen Einflüsterungen Settembrinis wie auch Naphtas und wo eben jener Satz aufscheint, wonach der Mensch "um der Güte und der Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen [soll] über seine Gedanken." Wie

    Wie unheimlich passend, dass im Nachgang zu diesen Überlegungen eine Sängerin vom Leopold Mozart College (das in wechselnder Besetzung auch mit Schuberts "Lindenbaum" und Wagners Abendlied aus "Tannhäuser" zauberbergbeziehungsreich den musikalischen Rahmen schuf), die Habanera aus Bizets "Carmen" vortrug. Die Liebe, heißt es hier, ist ein schwer zu haltender Vogel.

    Wie wahr, und wie bedenklich.

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