Das "Sommer am Kiez"-Festival machte an seinem ersten Wochenende (16. bis 18. Juni) das Gaswerk zur Kaffeefahrt der grauen Metal-Fraktion aus den 80ern (Freitag) und zum Treffen der Punkrock-Abschlussklassen der 90er-Jahre (Samstag). Am Sonntag sah das Gelände aus wie bei einer Groundation – so werden in der Rastafari-Kultur kommunale Treffen genannt, bei denen der Diskussion, dem Cannabiskonsum und der Musik gefrönt wird. Angesichts der tropischen Temperaturen zogen am Nachmittag viele das Gespräch auf Batikdecken im rar gesäten Schatten dem Tanz vor. Trotz der Vorbehalte der Bayerischen Staatsregierung schmuggelte sich hier und da ein wenig Kraut in die Selbstgedrehten, und Musik gab es in allen Klängen der karibisch gefärbten Bassmusik des neuen Jahrtausends.
Der Name „Reggae am Kiez“ war da nur der orientierungsgebende Überbau. Raggabund beispielsweise haben weniger mit dem klassischen jamaikanischen Roots-Reggae am Hut als mit treibenden kolumbianischen Cumbia-Rhythmen und tief dröhnenden Dancehall-Bässen mit Hip-Hop-Stallgeruch. Die szenetypischen Offbeats gibt es da natürlich wie bei Jamaram trotzdem, nur dass jene dank ihres hyperaktiven Percussionisten daraus glühenden Latin zaubern. Posaune und Saxofon klingen zusammen wie eine ausgewachsene Big-Band-Bläsersektion und polieren die Songs des Münchener Oktetts auf schnelle Ska-Nummern sowie nicht minder tanzbare Balkan-Beats. Samy Danger pustete nach einem ordentlich angezerrten Gitarrensolo seine Raps ins staubige Rund und ließ die Menge vergessen, dass Bewegung und drückende Hitze nicht immer die besten Freunde sind. Der weit gereiste Jahcoustix, mit dem sich Jamaram die Bühne teilten, sorgte für die Vibes, Jamaram für den Druck – eine Kollaboration, die nicht nur auf dem Papier, sondern auch auf den Bühnenbrettern mehr als Sinn ergibt.
Reggae beim "Sommer am Kiez" in Augsburg: Dub à la Pub ist wieder da
Die aufziehenden Wolken dämpften die Hitze, die tief stehende Sonne dämpfte das Licht – gute Voraussetzungen für die erste Show von Dub à la Pub seit 2017. Auch wenn die letzten sechs Jahre nach Aussage der Band primär damit verbracht wurden, Kinder in die Welt zu setzen, statt im Proberaum Songs zu üben, ist das Septett bestens eingespielt. Von langer Pause war nichts zu spüren, nur ist es ein wenig undankbar, nach einer solchen Energierakete wie Jamaram auf die Bühne zu müssen. Die Riesenseifenblasen als Showelement waren aber eine formidable Idee, nachhaltiger als Feuerwerk und äußerst passend zum flockigen, Ska-infizierten Dub-Reggae der Augsburger. Und mit dem alten "Toots and the Maytals"-Klassiker „54-46 was my number“ kann man einfach nicht daneben greifen.
Genau das passierte Gentleman mit seinem neuen, leider ziemlich schwachen Album „Mad World“. Vom guten alten Roots-Reggae ist da leider nicht mehr viel zu hören. Natürlich spricht nichts dagegen, sich als Künstler weiterzuentwickeln und sich neu auszuprobieren. Beim aktuellen Album des S.a.K.-Headliners wird man aber das Gefühl nicht los, dass die Zusammenarbeit mit Mark Forster oder Patrick Kelly ein Mainstream-Pop-Projekt zu viel war. Von glattem Pop war aber zu Beginn nicht viel zu hören. Der Riddim kam verlässlich auf die Zwei und auf die Vier, die großartigen Background-Sängerinnen Tamika Otto und Patricia Mwaura erhielten je einen Song als Leadsängerinnen, bevor das deutsche Reggae-Urgestein die Bühne betrat. Die Band spielte auf den Punkt, die alten Hits wurden mit Jubel und Tanz quittiert und die erste Reihe bekam anstatt K.-o.-Tropfen High fives.
Was Gentleman da bringt, klingt arg nach Klischee
So sympathisch Gentleman sein fortgeschrittenes Alter als Stellungnahme gegen oberflächlichen Körperkult verhandelte, so wenig konnte er aber darüber hinwegtäuschen, wie der Auftritt an Fahrt verlor, als er von der staubigen, mit Schlaglöchern übersäten Roots-Straße die Ausfahrt Richtung Massentauglichkeit nahm. Die Songs wurden geschliffener, aber eben auch belangloser. Und bei aller Authentizität – Gentleman reist seit 30 Jahren regelmäßig nach Jamaica, seine Songs laufen in Kingston im Radio, er spricht fließend Patois – ist es nicht von der Hand zu weisen, dass ein Song wie „What em a go do“ nach sämtlichen Jamaica-Klischees klingt, die im zentraleuropäischen Gehirn eben so herumschwirren.
Da half es schon gar nicht, dass um 22 Uhr die Lautstärke runtergedreht werden musste, denn eine leise PA und ein Festival, das passt einfach nicht zusammen. Mit Marleys „Redemption Song“ im Ohr machte sich ein dennoch höchst zufriedenes Publikum auf den Nachhauseweg. Tschüss Gaswerk – am Freitag (23. Juni) zieht das Festival dann auf den Helmut-Haller-Platz und damit richtig in den Kiez.