Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten
Feuilleton regional
Icon Pfeil nach unten

Doppeljubiläum: Caspar Neher, der Brecht-Freund mit den nützlichen Seilschaften

Doppeljubiläum

Caspar Neher, der Brecht-Freund mit den nützlichen Seilschaften

    • |
    Freunde seit der Jugendzeit: Caspar Neher (links, etwa 1917) und Bertolt Brecht (1918).
    Freunde seit der Jugendzeit: Caspar Neher (links, etwa 1917) und Bertolt Brecht (1918). Foto: © Suhrkamp

    2023, gleich im Februar, jährt sich zum 125. Mal der Geburtstag von Bertolt Brecht. Die Stadt Augsburg, wo der Dichter und Stückeschreiber am 10. Februar 1898 geboren wurde, nimmt das Jubiläum zum Anlass einer Ausstellung, Titel „Wanderer zwischen zwei Welten“. Ein mehrfach doppeldeutiger Titel, denn die Schau, die von der

    Dennoch, eine reine Hymne auf Brecht und Neher und die Freundschaft der beiden wird die Ausstellung nicht werden. Was Brecht betrifft, gab Jürgen Hillesheim, Leiter der Augsburger Brecht-Forschungsstätte, in seinem vor ein paar Wochen in der FAZ erschienenen Beitrag über die politische Standhaftigkeit des Stückeschreibers schon einmal den Ton vor. „War Brecht nun die große kommunistische Ikone oder nicht?“, fragte da Hillesheim eingangs, um am Ende einen solchen Heiligenschein für „realitätsfern“ zu erklären. Eine Schlussfolgerung, die eng zusammenhängt mit der Freundschaft zwischen Brecht und Neher.

    Caspar Neher war im Ersten Weltkrieg an der Front, Bertolt Brecht drückte sich

    Die beiden lernten sich als Schüler des Augsburger Realgymnasiums (heute Peutinger-Gymnasium) kennen. Neher gehörte zum engeren Freundeskreis Brechts, schuf Illustrationen für dessen erste dichterische Unternehmungen. Dass der ein knappes Jahr Ältere sich im Ersten Weltkrieg freiwillig für die Front meldete, während Brecht sich erfolgreich davor drückte, offenbarte persönliche Unterschiede; dennoch holte Brecht den Freund in den 20er Jahren nach Berlin, wo Neher das Bühnenbild für „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ sowie für die „Dreigroschenoper“ schuf, beides bedeutende Theaterereignisse in der Zeit der Weimarer Republik.

    Brecht floh 1933 vor den Nationalsozialisten ins Exil. Neher blieb in Deutschland – jedoch nicht als „innerer Emigrant“. Zwar wurde er – wohl in Nachwirkung des Brecht'schen Dunstkreises – mit einem kurzen Berufsverbot belegt, konnte aber offenbar innerhalb kurzer Zeit seine innere Wandlung glaubhaft machen. Neher, weiß Brechtforscher Hillesheim, hat von 1934 an die Bühnenbilder zu Dramen einer ganzen Reihe von Autoren geschaffen, die auf Kurs mit den Nazis waren, Autoren wie Erwin Guido Kolbenheyer, Hans Leip oder Eberhard Wolfgang Möller. Von Letzterem hatte Neher schon 1930 das antisemitische Stück „Panamaskandal“ mit Bühnenbildern ausgestattet.

    Nach der NS-Zeit hatten Neher und Brecht wieder Kontakt

    Das alles hinderte Brecht nicht, nach dem Krieg erneut die Zusammenarbeit mit dem Freund aus Augsburger und Berliner Tagen zu suchen. Und nicht nur das. Für Jürgen Hillesheim steht fest, dass Brecht auch keineswegs davor zurückschreckte, sich „Seilschaften“ zwischen Neher und ehemaligen Repräsentanten des NS-Kulturlebens für eigene Projekte nutzbar zu machen. Etwa wenn es darum ging, seine Stücke auf westdeutschen Bühnen inszeniert zu sehen.

    Eine der zentralen Figuren war dabei der Theaterwissenschaftler Rolf Badenhausen, während der NS-Zeit persönlicher Mitarbeiter von Gustaf Gründgens und auch nach dem Krieg in regem Austausch mit Neher. Ein Konvolut mit Korrespondenz zwischen Babenhausen und Neher wurde 2021 von der Stadt Augsburg erworben.

    Zeichnung von Caspar Neher zu Brechts frühem "Baal"-Drama.
    Zeichnung von Caspar Neher zu Brechts frühem "Baal"-Drama. Foto: Stadt Augsburg/Brechtsammlung

    Badenhausen war es auch, der 1964, zwei Jahre nach dem Tod des bedeutenden Bühnenbildners, eine Caspar-Neher-Ausstellung für die Städtischen Kunstsammlungen kuratierte. Im damals herausgegebenen Ausstellungskatalog, sagt Jürgen Hillesheim, finde sich kein Wort über Nehers Arbeiten während der NS-Zeit, nichts über seine Bühnenbilder für die Aufführungen linientreuer Dramatiker.

    Ein Fall von "Kontinuität"

    Kein Ruhmesblatt für die Kulturpflege der Stadt Augsburg nach dem Krieg, schon gar nicht, wenn man die inzwischen geltenden Maßstäbe für „Kontextualisierung“ anlegt. Fragt man Christof Trepesch, den heutigen Direktor der Kunstsammlungen, wie es dazu kommen konnte, so kann er darüber nur Vermutungen anstellen. Fest steht für ihn allerdings, dass die Konzeption der Ausstellung noch in die Zeit von Norbert Lieb als Chef der Städtischen Kunstsammlungen fiel, ein Mann, der sowohl vor als auch nach dem Zweiten Weltkrieg dieses Amt versah. Dass Lieb die NS-Arbeiten Nehers aus Vorsatz unter den Tisch kehren wollte, hält Trepesch in dieser Zuspitzung für nicht belegbar; die Ägide Lieb bei den Kunstsammlungen müsse noch aufgearbeitet werden. Trepeschs Einschätzung zufolge scheint hier immerhin ein Fall von „Kontinuität“, von allseitiger stillschweigender Übereinkunft vorzuliegen – vergleichbar, sagt Trepesch, der Rezeption des Augsburger Bildhauers Fritz Koelle, der sich dem Kunstbegriff der Nazis angepasst hatte, was die Augsburger nach dem Krieg aber nicht davon abhielt, seine Arbeiten im öffentlichen Raum aufzustellen und eine Straße nach ihm zu benennen.

    Was, um wieder auf Caspar Neher zurückzukommen, das Schweigen über die Vergangenheit im NS-Staat und insbesondere die städtische Neher-Hommage von 1964 betrifft, so liegt für den heutigen Kulturreferenten Jürgen Enninger das Phänomen einer „kollektiven Verdrängung“ vor, ein Vorgang, der „nicht zu entschuldigen“ sei. Das Bild eines politisch unbescholtenen Mannes, der nur seiner Kunst lebte, wurde in Augsburg jedenfalls über Jahrzehnte hinweg gerne geglaubt – mit der Ausnahme, dass 1997 in einem Aufsatzband zu einer Neher-Tagung der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg die Fama von der „inneren Emigration“ des Bühnenbildners infrage gestellt wurde.

    Nach langen Jahren Freundschaft zwischen Brecht und Neher kam der Bruch

    Auch Brecht scheint die Tätigkeit des alten Freundes für erklärte NS-Dramatiker nicht gestört zu haben. Er suchte, zurückgekehrt aus dem US-Exil, die neuerliche Zusammenarbeit, die dann auch bei einigen Projekten stattfand, in der Schweiz und in Ostberlin. Doch die beiden entfremdeten sich zusehends, Neher missfiel unter anderem Brechts Lavieren gegenüber den sozialistischen Machthabern, und so kam es 1953 zum Bruch der Freundschaft. Lose blieb der Kontakt aber bestehen bis zu Brechts Tod 1956.

    Die Ausstellung „Wanderer zwischen den Welten“, die im März 2023 im Grafischen Kabinett im Höhmannhaus gezeigt werden soll, wird also nicht nur den zwischenmenschlichen und künstlerischen Aspekten der Freundschaft Brecht/Neher nachgehen. Sie wird auch zeigen, dass die politische Stilisierung der beiden auf tönernen Füßen steht.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden