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Foto: Jeffrey van der Geest
Foto: Jeffrey van der Geest

Im Motion-Capture-Anzug kurz vor dem Einsatz: Roman Poboinyi, Tenor im Opernensemble des Staatstheaters Augsburg, bei der Masterclass "Mixed Reality".

Staatstheater Augsburg
12.03.2024

Was macht ein Opernsänger in digitaler Umgebung?

Von Stefan Dosch

Das Digitale dringt in die darstellenden Künste vor – das Staatstheater Augsburg spielt dabei eine Vorreiterrolle. Das zeigt ein besonderer Workshop. Ein Besuch.

Roman Poboinyi schält sich aus seiner Jeans, steht in Shorts und strumpfsockig da, um in ein anderes Gewand zu schlüpfen, einen schwarzen kunstseidenen Ganzkörperanzug, aus dem wie zum kalkulierten Kontrast ein paar orangefarbene Kabel hängen. Gleich wird der Tenor des Staatstheaters Augsburg hier im nüchternen Orchesterprobensaal Schritte und Bewegungen quasi im luftleeren Raum vollführen. Singen wird er nicht, denn der Opernschlager "La donna è mobile" ist über Lautsprecher zugespielt, immerhin selbst eingesungen von Poboinyi. Merkwürdiges Gebahren, aufmerksam verfolgt von einem halben Dutzend Augenpaaren.

An diesem Tag hat der zweite Teil der "Masterclass Mixed Reality" begonnen, ein Kooperationsprojekt des Staatstheaters Augsburg und der Liz Mohn Stiftung. Im Zentrum stehen sechs junge Sängerinnen und Sänger, die einen "Digitalen Liederabend" erarbeiten und dabei eine Brücke schlagen zwischen traditionellem Operngesang und neuen virtuellen Ausdrucksformen. Diese Verbindung ist auch der Grund, weshalb die in Gütersloh beheimatete Stiftung sich mit Teilnehmern ihres renommierten "Neue Stimmen"-Wettbewerbs sowie mit finanzieller Zuwendung einbringt in dem Projekt, das seitens des Staatstheaters Augsburg von der dortigen Digitaltheater-Sparte betrieben wird. "Wir wollen unseren Nachwuchssängern Gelegenheit geben, das Singen und Spielen einmal im digitalen Raum auszuprobieren", sagt Dorothea Gregor, Kulturprojektleiterin bei der Liz Mohn Stiftung. Bei diesem Thema sei das Staatstheater Augsburg mit seiner Digitalsparte federführend im Land, "das wird nirgendwo sonst so konsequent umgesetzt". 

Staatstheater Augsburg: Eine Masterclass für die "Gemischte Realität"

Also konzipierten Staatstheater und Stiftung gemeinsam die "Masterclass Mixed Reality", die sich in mehrere Bausteine untergliedert. Im ersten Workshop in Augsburg Ende Januar wurden die teilnehmenden Sängerinnen und Sänger erst einmal mit den Möglichkeiten des Agierens im digitalen Raum vertraut gemacht. Zugleich fanden aber auch bereits Aufnahmen jener Arien statt, die die Beteiligten sich für den finalen "digitalen Liederabend" ausgesucht hatten, von "Spiel ich die Unschuld vom Lande" aus der "Fledermaus" über "Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?" (Oscar Straus' Operette "Eine Frau, die weiß, was sie will") bis hin zu eben Verdis "Rigoletto"-Evergreen "La donna è mobile".

Willkommener Nebeneffekt: Von den sechs beteiligten Sängern – drei kommen aus dem "Neue Stimmen"-Wettbewerb, zwei von der August Everding Theaterakademie in München, dazu aus Augsburg Roman Poboinyi – werden vier in der Musiktheater-Uraufführung "C:\>title Labyrinth" des hiesigen Staatstheaters mitwirken, das ebenfalls virtuelle Elemente enthalten soll (Premiere 22. März). Für den "Digitalen Liederabend" wird es dann noch im April einen dritten und finalen Workshop geben.

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Foto: Vera Hanke
Foto: Vera Hanke

Der Motion Capture-Anzug ist ein noch ungewohntes Kostüm für Opernsänger wie hier bei der Masterclass "Mixed Reality" am Staatstheater Augsburg.

Jetzt wird im Orchesterprobensaal im Martinipark aber erst einmal das Spiel im "Mocap" eingeübt, in einem Motion Capture Suit, wie ihn sich Roman Poboinyi gerade übergezogen hat. Die sichtbaren Kabel des Ganzkörperanzugs weisen auf die Sensoren hin, die entlang der Gliedmaßen in den Stoff eingenäht sind und die Position der Körperbewegungen auf einen Computer übertragen – ganz so, wie es auch in der Filmbranche längst üblich geworden ist. Ein Avatar entsteht auf diese Weise am Rechner, eine zunächst schematische Figur, die sich ausnimmt wie eine Gliederpuppe, die dann mittels Computertechnik weiterbearbeitet werden und mit verschiedenen Raumszenarien kombiniert werden kann. Wenn Roman Poboinyi also vorwärtsschreitet, macht sein Avatar am Bildschirm dieselbe Bewegung, hebt er den Arm, folgt ihm der digitale Doppelgänger in derselben Weise.

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Mit dabei: Dock.digital und das Studio für unendliche Möglichkeiten

Zwei spezialisierte Teams aus Berlin unterstützen die Arbeit der Augsburger Digitalsparte mit den Sängern. Die Spezialisten von Dock.digital haben Erfahrung mit dem Einsatz der "Mocap". Gloria Schulz vom Studio für unendliche Möglichkeiten wiederum hat mit den Sängern ein Storyboard entworfen, das festhält, was letztendlich beim "Digitalen Liederabend" für den Betrachter – er wird eine VR-Brille tragen müssen – zu sehen sein soll. Um bei Roman Poboinyi und seiner Verdi-Arie zu bleiben: Der Tenor wird dank Computerbearbeitung als Zwitterwesen aus Pfau und Mensch erscheinen, der gleich einem Narziss sich in einer Reihe von Spiegeln selbst betrachtet, durchaus angelehnt an die Selbstverliebtheit des Herzogs in "Rigoletto". Auch bei den weiteren Teilnehmern der Masterclass geht es während ihrer jeweiligen Musiknummern visuell höchst fantasievoll zur Sache, den Möglichkeiten des Virtuellen sind da kaum Grenzen gesetzt.

Geprobt werden muss bei dieser "Mixed Reality" aber dennoch. Nach dem ersten "La donna è mobile"-Durchlauf ist Roman Poboinyi im schwaren Mocap noch nicht zufrieden mit den Bewegungen seiner Beine, Christop Seeligmüller von Dock.digital meint auch, mit den Fingern ließe sich noch mehr Bewegung herstellen. Also ein weiterer Durchlauf. Wieder tasten die Sensoren Poboinyis Bewegungen ab. Der meint vor dem Sichten von "Take two" trocken: "Schau'n wir mal, ob es gelungen ist."

Auch bei der Liz Mohn Stiftung denkt man an die Zukunft

Ende Juni, beim Theaterfest im Martinipark, wird der "Digitale Liederabend" Premiere haben, wird die reale wie die digitale Arbeit aus drei mehrtägigen Workshops am Rechner zu einem Guss zusammengeführt worden sein. Dorothea Gregor von der Liz Mohn Stiftung sagt: "Spannend an diesem Projekt ist für uns die Frage: Wie könnte sich die Branche weiterentwickeln?" Dass das Digitale weiterhin und in zunehmender Stärke vordringen wird in die herkömmliche analoge Theater- und Gesangswelt, dürfte außer Frage stehen. Doch es gibt auch beschwichtigende Signale, selbst vonseiten der Neuerer. Gloria Schulz vom Studio für unendliche Möglichkeiten, eine Frau mit reichlich Expertise in der Verbindung von Theaterkunst und Digitalität, ist überzeugt: "Herkömmliches Theater wird durch das, was wir machen, nicht ersetzt werden." 

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