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Das Staatstheater Augsburg und sein Virtual-Reality-Liederabend

Virtuelle Realität

„O wie so trügerisch“: Ein digitaler Liederabend des Staatstheaters Augsburg

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    Ein echter Pfau sieht sich gerne im Spiegel - in dem Roman Poboinyi zu erkennen ist: Der Tenor digital animiert beim Singen von „La donna è mobile“.
    Ein echter Pfau sieht sich gerne im Spiegel - in dem Roman Poboinyi zu erkennen ist: Der Tenor digital animiert beim Singen von „La donna è mobile“. Foto: Studio für unendliche Möglichkeiten

    Der „Blaue Montag“, die lockere Veranstaltungsreihe des Staatstheaters Augsburg, hat eingeladen zum „Digitalen Liederabend“. Doch im Alten Rock Café treten keine Sänger vors Publikum, jedenfalls nicht live. Überhaupt, Menschengestalt lässt sich den Interpreten dieses Abends nur bedingt zusprechen. Stattdessen sieht sich der Musikfreund seltsamen Gestalten gegenüber, die mal Züge eines Chamäleons oder Katers tragen, ein andermal Assoziationen an Maus oder Pfau aufkommen lassen ...

    Aber so ein digitaler Liederabend - präziser wäre wohl von einem Arien-Recital zu sprechen - hat eben seine eigenen Gesetze. Das beginnt schon bei den Vorbereitungen, bei denen das besagte Digitale ebenfalls eine gewichtige, um nicht zu sagen die Hauptrolle spielt. Für einen Workshop hatte sich die Digitalsparte des Staatstheaters mit der Liz Mohn Stiftung (als Ausrichterin des Gesangswettbewerbs „Neue Stimmen“) zusammengetan, um jungen Sängerinnen und Sängern die Möglichkeit virtueller Produktionsweisen zu geben. Die Möglichkeit, sich als Was-auch-immer-Figur völlig neu zu erfinden, wurde dabei ebenso erprobt wie die Fähigkeit erarbeitet, sich per Motion Capture-Verfahren im digitalen Raum zu bewegen, das alles zu auf herkömmlich-reale Weise erzeugtem Operngesang. Nach aufwendiger computergesteuerter Postproduktion durch das Studio für unendliche Möglichkeiten (Hamburg) tritt das Ergebnis dem hörenden Zuschauer zuletzt in Form von Virtual Reality entgegen.

    „Chacun à son gout“, heißt das Motto des Abends

    Also VR-Brille und Kopfhörer übergestülpt im Alten Rock Café - das Staatstheater stellt das Equipment zur Verfügung - und hinein in den digitalen Teil des Abends, moderiert von Lukas Baueregger, Benjamin Seuffert (beide Digitaltheater-Sparte) und Musikdramaturgin Sophie Walz. „Chacun à son gout“ lautet das Motto doppelt hintergründig. Denn zum einen hatten die beteiligten Interpreten vom Staatstheater und dem „Neue Stimmen“-Wettbewerb die Möglichkeit, selbst das fremde Wesen zu wählen, in das sie sich verwandeln wollten. Zum anderen ist das Motto „Jeder nach seinem Geschmack“ die berühmte Wendung in der Arie des Prinzen Orlofsky aus der Straußschen „Fledermaus“, worin besagter Prinz sich gerne Gäste einlädt. Just mit diesem Stück hebt auch der Bilderreigen in der VR-Brille an: Man sieht Sanele Mwelase, als einziger seinesgleichen digital unverändert, im dafür leicht verfremdeten Kühlerraum des Augsburger Gaswerks. Und hört einen männlichen Sopran singen, ganz ohne digitalen Eingriff, sondern „in echt“, obendrein blitzblank intoniert; eine echte Seltenheit.

    Und wie von „Fledermaus“-Aufführungen bekannt, treten die „Gäste“ nun nacheinander singend auf, nur dass das Virtuelle sich jetzt unübersehbar Bahn bricht. Priya Pariyachart singt, ebenfalls von Strauß, „Spiel ich die Unschuld vom Lande“, nun aber nicht mehr im Gaswerk, sondern schemenhaft zu erkennen hinter der Verandatür eines Schlosses in einem Garten voller Kirschbäume, von denen die Blüten wie im Märchen durch die Lüfte flattern. Dann Schnitt, und plötzlich hat man die Sängerin in Großaufnahme vor sich - als Wesen, das einer überdimensionierten Maus nicht unähnlich ist. Nimmt sich verrückt aus, wie überdrehtes Disney-Kino, aber so ist sie, die digitale Welt: Nichts ist unmöglich.

    „La donna è mobile“ singt der Pfau im Spiegelsaal

    Sechs Sängerinnen und Sänger sind es, die da im Verlauf einer halben Stunde mit jeweils einer Arie ihren Auftritt haben. Roman Poboinyi setzt auf die Arie „La donna è mobile“ aus Verdis „Rigoletto“ - und hat auf seinem Rumpf den digital erzeugten Kopf eines Pfaus sitzen. Nicht von ungefähr, stellt die Rolle in Verdis Oper im Grunde doch einen Narzissten dar - weshalb der Poboinyi-Pfau vor lauter Spiegeln stolziert. Dazu singt der Tenor diesen „O wie so trügerisch“-Ohrwurm geradezu umwerfend, indem er weniger auf viril-metallische Kraft denn auf verführerischen Stimmschmelz setzt und das noch mit einem brilliantem hohem Schlusston toppt.

    Die abgefahrenste Arien-Performance freilich hat sich Isaac Tolley auserkoren. Der Bariton singt als grünliches Chamäleon „Udite, udite, o rustici“, die Arie des Dulcamara aus Donizettis „Liebestrank“. Und die Tiere eines Zoos hören diesem tierischen Showman sichtlich angetan zu: Elefant, Giraffe und zwei Pinguine, und Nashorn, Schaf und Zebra, alle animiert, sind auch noch mit dabei - und mitten unter ihnen wir, die Zuschauer. Das macht tierischen Sehspaß, auch wenn sich bald das Kunstgewissen meldet und zu bedenken gibt, dass die visuelle Komponente hier doch stark den Aspekt des Hörens in die Ecke drängt. Was, in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen, aber mit gleicher Tendenz, für sämtliche dieser VR-Auftritte gilt, auch die von Shuai Zhang und Franziska Weber.

    Prima la musica, poi le parole lautete im 18. Jahrhundert, ja lautete überhaupt in der Operngeschichte der mal bejahte, mal infrage gestellte Gegensatz: erst die Musik, dann der Text. Jetzt, im 21. Jahrhundert, wird man die Frage nach dem Primat wohl umformulieren müssen: prima le immagini, poi la musica - zuerst die Bilder, dann die Musik.

    Info: Der Digitale Liederabend ist per VR-Brille zu sehen, diese wiederum leihweise beim vr-theater@home-Versand des Staatstheaters zu bestellen.

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