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Augsburg: Mit Hexe, aber ohne Grusel: Die Puppenkiste spielt "Rapunzel"

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Mit Hexe, aber ohne Grusel: Die Puppenkiste spielt "Rapunzel"

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    Hexe und Rabe, ein schrulliges Duo: Während die Hexe Gothel gar nicht so fies gesinnt ist, wie sie zunächst scheint, ist der Vogel an ihrer Seite der wahre Strippenzieher.
    Hexe und Rabe, ein schrulliges Duo: Während die Hexe Gothel gar nicht so fies gesinnt ist, wie sie zunächst scheint, ist der Vogel an ihrer Seite der wahre Strippenzieher. Foto: Elmar Herr

    So ein Zoff unter Nachbarn, das ist die Königsdisziplin unter den Spielarten, sich zu streiten. Erst fliegen höfliche Bitten hin und her über den Zaun, aber bald auch schon Kraftausdrücke und Verwünschungen, und dann die Briefe von Nachbarns Rechtsanwalt. Die Hecke wuchert zu wild, die Kinder schreien zu laut, den Kompost haben sie den Nachbarn heimlich in den Vorgarten gekippt. Ganz klar: ein Fall für das Amtsgericht. So richtig spektakulär wird die Geschichte allerdings, wenn es sich bei einer der Streitparteien nicht um einen Menschen handelt – sondern um eine echte, Magie betreibende Hexe. Und wenn der ganze Zank auch noch vor einer Märchenwaldkulisse spielt – und die Darsteller an Fäden hängen. So beginnt das Stück, mit dem nun die Augsburger Puppenkiste ihren 75. Geburtstag feiert: „Rapunzel“, frei nach Grimm. Ein Spiel zwischen Märchen, Zauber und Witz mit Ringelschwanz, Tradition und – Emanzipation. 

    Mit "Rapunzel" feiert die Augsburger Puppenkiste ihren 75. Geburtstag

    Der berühmte Puppenkistenkasten schwingt seine Flügel auf. Aber dahinter wartet kein Knusperhäuschen, nein, es ist eher eine windschiefe Gartenlaube, aus der die alte Hexe Gothel etwas, nun ja, treudoof aus dem Fenster guckt. Lange Nase, grünes Haar, spitzer Hut – und maximale Verwirrung. Denn ihre mächtigen Hexensprüche kriegt die ältere Dame nicht mehr so recht auf die Reihe ... abrakawas? „Krah, krah“, krächzt da der Vogel, der ihr auf Schritt und Tritt folgt, „dir muss man immer auf die Sprünge helfen“. Der Rabe ist ihr Einflüsterer, stets auf seinen Profit bedacht, auch auf seinen Hunger. Und zwei Zaubersprüche, Zauberversprecher später, sprießt da tatsächlich ein saftiger Feldsalat im Hexengarten empor.

    Tragisch nur, dass die Nachbarn davon Wind bekommen. Das Paar von nebenan, sie sind junge Eltern, will seinen Hunger zu stillen. Aber da werden sie frisch ertappt bei der Tat, beim Diebstahl des Rapunzelsalats. Hexe und Raabe stellen sie – und fordern nun die Maximalstrafe nach altem Märchenrecht: Die Hexe verlangt nach dem Erstgeborenen des Paars. Sie kriegt es auch – und sperrt das Kind in einen hohen Turm. Ohne Friseur und Schere weit und breit. Der Rest ist Legende, ein alter Zopf, könnte man meinen. Und täuscht sich dabei.

    Klingt altbekannt und düster? Aber es grimmt hier so gar nicht wie im Original. Das ist Rapunzel reloaded, süß und gewitzt, in einem Märchen, in dem es nichts wahrlich Böses gibt. Jede Menge Liebe hat Regisseur Florian Moch mit seinem Team hier ins Detail gesteckt – und an den Hut. Die Hexe ist eine schusselige Dame, die man nur lieb gewinnen kann. Sie trägt ein Kostüm zwischen Hippie- und Gruselkutte, mit Puscheln auf den Schuhspitzen. Und kleben da wirklich – man muss schon die Augen zusammenkneifen – winzige Fröschlein an ihrem Spitzhut?

    Das Hofschwein Grunznase ist der Held bei "Rapunzel"

    So niedlich geht es weiter im nächsten Kapitel: Gehüllt in ein edles, royales Pyjama, erwacht der Regent in seinem Gemach. Es ist der verpennte König Schnarch der Zweite. Ein Pantoffelheld wie dieser braucht auch einen „königlichen Sekretär, Kammerdiener und Pantoffelvorwärmer“, einen Bürokraten mit Glatze, der den König an seine Pflicht erinnert: „Außerdem ist es Mittwoch. Zeit zu regieren“. Dem Königssohn, in Purpurgewand, sieht man dagegen an, dass er lieber ein Künstler als ein Thronfolger wäre, eher Picasso als Prinz. Doch der alte, männlich-ritterliche Retterinstinkt packt ihn, als er von Rapunzels Schicksal hört. Es war einmal ... also auf zum Turm!

    Dafür hat die Puppenkiste nicht nur einen Turm gebaut, sondern auch eine Brücke im Humor: Manche Gags bringen die Eltern zum Schmunzeln, andere Pointen aus der Stolper-, Plumps- und Grunzkiste eher die Kinder. Und alle, die sich einen kindlichen Witz bewahrt haben. Dabei sind es wie so oft, seit Kater Mikesch und Urmel, die Tiere, die in der Kiste am menschlichsten menscheln. Jörg Stuttmann krächzt hinterlistigst als Krähe. Aber die Show stiehlt allen Sandra Schwittau, die dem wahren Helden der Geschichte ihre Stimme gibt, dem Abenteuergefährten des Prinzen: Grunznase, das königliche Hofschwein. Wenn das Tier Sitz und Platz macht oder im Trab losklappert, entzückt das restlos bis in die hintersten Ränge.

    Musik begleitet das Märchen in der Augsburger Puppenkiste

    In den Stimmen lebt der Charakter. Als brummelnder König, staatstragend: Gerd Meyer. Herzig als Hexe Gothel: Sabine Bohlmann. Sanft und klassisch märchenhaft das Rapunzel: Carolin Sophie Göbel. Aber man darf sich nicht täuschen lassen, denn – Rapunzel reloaded – diese Prinzessin sagt: „Ich will mich doch gar nicht retten lassen!“ Selbst ist die Frau. Das ist eines von vielen charmanten Updates der alten Mär. Hier reitet auch kein Prinz auf dem Pferde vor – er spaziert lieber mit dem Schwein. 

    Zu den Stimmen spielt auch Musik, mal Minnesang, mal Tanzlied, komponiert von Martin Stefaniak. 17 Spieler lenken dazu die Fäden oben auf der Spielbrücke, darunter auch der Regisseur selbst. Florian Moch entwickelt hier eine doch arg brave, vom Grusel befreite, aber dafür witzige, empathische Geschichte – in bildhübschen Szenen, zehn an der Zahl. Durch den Märchenwald fliegt ein Schmetterling. Eine weite Wüste tut sich auf, dann ein Schloss, und – es ist höhere Architektur – ein Turm, der hoch- und hinabfährt, wenn der Prinz am Zopf klettert.

    Es war einmal ... eine Kiste. Mit dem Märchen von Kater Mikesch begann vor 75 Jahren die Geschichte des Augsburger Puppentheaters. Und heute? Der Ministerpräsident gibt sich bei der Premiere die Ehre, Markus Söder (CSU) posiert mit einer Puppe. Auch Augsburgs Bürgermeistern Eva Weber (

    Wegen Geldsorgen ist die Zukunft der Augsburger Puppenkiste ungewiss. Warum es dennoch Grund für Optimismus gibt, verrät Puppenkiste-Chef Klaus Marschall im Podcast "Augsburg, meine Stadt". Außerdem sagt er, warum das Figurentheater auch nach 75 Jahren noch fasziniert und was passiert, wenn während einer Vorstellung ein Faden reißt.

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