Pop geht nicht nur ins Ohr. Pop lässt sich auch lesen – und schmeckt im Zweifelsfall nach Champagner zum Katerbrunch und lecker Scampi auf Sylt. Nun gut, Dekadenzschmankerl wie diese gönnt sich zumindest der Held in einem der Urwerke, einem der grundsteinlegenden Bücher der deutschsprachigen Popliteratur – in Christian Krachts „Faserland“, von 1995.
Als der Ich-Erzähler seine Roman-Reise antritt, geben ihm Drogen, Alkohol und Sex den nötigen Antrieb für die Odyssee. Von München (reich) über Zürich (sehr reich) bis Sylt (superreich) zischt die Szenerie am Ich vorbei bis zu Schwindel und Erbrechen. Und dort, zwischen Jetset-Kitzel und Ennui trägt man zur grausamen Leichtigkeit der Gegenwart am liebsten Barbour-Jacke … Das war so etwas wie das Urbild der deutschen Popliteratur. Dass in dem Genre aber bei der daraus erwachsenen Vielfalt so viel mehr steckt als Markennamen, Konsumsymbolik, neongreller Zeitgeistspaß – davon ist Stefan Bronner überzeugt.
Das Literhaus Augsburg vergibt einen Preis für Popliteratur
Der Literaturwissenschaftler ist Leiter des Augsburger Literaturhauses, als das sich ein literarischer Zirkel ohne eigentliches Haus seit 2015 bezeichnet – und er findet: „Popliteratur ist nicht unpolitisch, ich habe das noch nie so gelesen. Pop weiß um den Zustand dieser Welt.“ Und die Welt der Popliteratur – zumindest der deutschsprachigen – wird sich am 15. Mai in Augsburg treffen. Dann vergibt das Literaturhaus zum ersten Mal einen Preis für Popliteratur. Den wohl auch ersten und einzigen der Sparte.
Poesie und höchste Klasse, die beiden Elemente treffen sich schon im Namen, den die Auszeichnung trägt: Ein „Literaturpreis für Magic, Pop und Ewigkeit“ soll es sein. „Nach zeitgenössischen Texten zu suchen, die möglicherweise die Zeit überdauern, in die Ewigkeit Eingang finden, das ist natürlich ein bisschen größenwahnsinnig“, räumt Bronner ein. Aber dass es sein Literaturhaus ernst meint, untermauert auch der zweite Preis, den Bronner und sein Team obendrein vergeben wollen. Der „Lou-Andreas-Salomé-Spezialpreis“ sucht einen Gewinner. „Das ist eine Auszeichnung für Literatur, bei der man Liebe durch die Zeilen spürt“, erklärt Bronner. Zwei Preise, ein Genre – wer siegt?
Bronner hat lange Gedanken gewälzt, was gute Popliteratur definiert, er wünscht sich Schillerndes, Fantastisches, Überraschendes: „Es gibt Literatur, die ihre Intellektualität wie eine Monstranz vor sich her trägt. Oder nur Nabelschau bleibt. Aber wir sind hier interessiert an unterhaltender Literatur, die auch großen Anspruch hat. Nur eben nicht so offensichtlich. Pop ist ein Genre, das nicht mit dem Dampfhammer operiert, die Texte müssen auf mehreren Ebenen lesbar sein.“ Kurz: „Die Mischung macht’s.“
Im "Hotel Maximilian's" wird der Preis vergeben
Die Gala für den Hauptpreis, der mit 3000 Euro dotiert ist, findet am Sonntag, 15. Mai, im „Hotel Maximilian’s“ statt. Dabei wird die Gewinnerin oder der Gewinner live ermittelt: Drei Finalisten tragen aus ihren Bewerber-Titeln vor und sprechen danach mit der Jury über die poppige Seele ihres Werks. Welcher Roman siegt, wird im Anschluss verkündet. Und zur Feier verspricht Stefan Bronner „Fine Food“ von Sternekoch Simon Lang.
Unter den Preis-Anwärterinnen: Mithu Sanyal. Sie hat es mit ihrem augenzwinkernden Roman „Identitti“ – über die Wirren postmoderner Identitäten, Geschlechter, Kulturen – bis auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft. Und nun zum Popliteraturpreis. Die zweite Nominierte ist die Bernerin Anaïs Meier, die in „Mit einem Fuss draussen“ von einem schrulligen, selbsternannten Schweizer „Kommissär“ erzählt. Der dritte in der Preiskandidaten-Runde ist Alard von Kittlitz. Sein Roman „Sonder“ kreist um Sucht und Sehnsucht nach Glanz, Status und schnellen „Likes“. Wer entscheidet? In der Jury sitzt mit Alexa Henning von Lange eine Pionierin der Popgattung („Relax“, 1997). Auch der Literatur-Fachmann Eckhart Nickel und die Münchner Sängerin Polina Lapkovskaja bringen ihre Stimme ein.
Stefan Bronner freut sich über das Interesse am Popliteraturpreis
Kurz vor der Premiere staunt Bronner noch immer: „Von der Vielzahl und Qualität der Einsendungen waren wir überwältigt.“ Trotz Hausnamen wie Hanser und Piper stand aber eines für ihn von Anbeginn fest: „Es geht uns nicht darum, nur großen Verlagen eine Bühne zu geben.“ Bronner will mit dem Preis auch Zukunft gestalten: „Bei den Einsendungen haben wir mit Spannung erwartet, wohin die Reise in diesem Genre noch führen kann: Welche neuen Formen kann Popliteratur heute finden?“ Pop war 90er, Pop wird aber bleiben. Benjamin von Stuckrad-Barre hält sich als immerhibbeliger Kultliterat, Kracht gilt heute als Feuilleton-Liebling und eine Sibylle Berg als die literarischen Prophetin der digitalen Apokalypse. Wer wird ihnen folgen?
Karten für die Gala am 15. Mai, um 19 Uhr, gibt es per Mail an preis@literaturhaus-augsburg.de und an der Abendkasse. Das gilt auch für den Spezialpreis, der am 14. Mai, 19 Uhr, im Brechthaus vergeben wird.