Krieg im Nahen Osten. Krieg in der Ukraine. Alle Welt spricht vom Frieden, aber wie schafft man ihn? Eric Nikodym weiß, wie schmerzhaft die Debatte um Krieg, Waffen, Diplomatie an der Substanz unserer Gesellschaft kratzt. Wie stark sie Menschen berührt und trennt. „Über Frieden zu diskutieren, ist nervenaufreibend“, sagt der 39-Jährige. „Ich finde aber, wir müssen uns gerade deshalb jetzt einmischen, uns jetzt einbringen. Das ist meine tiefe Überzeugung als Europäer.“ Und den Frieden zum Thema zu machen, ist jetzt Nikodyms Auftrag: Der Kulturmanager leitet das künstlerische Programm zum Augsburger Friedensfest 2025. Ein Motto steht über seinem Plan: „Frieden riskieren!“
Eric Nikodym leitet das 375. Augsburger Friedensfest
Das Hohe Friedensfest entstand als Feiertag der Versöhnung nach dem Ende des 30-jährigen Krieges – nach Schlachten um Macht und Glaube. „375 Jahre Tradition, das ist ein Auftrag“, sagt Eric Nikodym. Und aus dieser Tradition will er ein Programm gestalten, das sich über drei Monate und vier Themenblöcke erstreckt: Frieden erinnern, Frieden gestalten, Frieden bewahren, Frieden feiern. Dabei fassen zwei historischen Daten eine Klammer um das ganze Festprogramm: Es dauert vom 8. Mai bis 8. August, vom 80. Jahrestag zum Endes des Zweiten Weltkriegs bis zum Tag des 375. Friedensfests.
Nikodym versteht sich als Kulturmanager: Seit 2018 leitet er in Berlin die Agentur YMUSIC, seit 2015 als Geschäftsführer die Internationalen Händel-Akademie Karlsruhe. Nikodym ist in Leipzig aufgewachsen, lebt heute in Lübeck. Seine Erfahrungen aus der DDR und aus den Jahren nach dem Mauerfall haben seinen Blick auf Europa geprägt. Frei reisen, Kulturvielfalt erleben, in einheitlicher Währung zahlen – das sind kleine Freiheiten, die für ihn in Summe eine wertvolle große ergeben.
Ein europäisches Friedenskonzert in der Heilig Kreuz Kirche
Auch in Augsburg will Nikodym globale und lokale Perspektiven miteinander verbinden. Ein europäisches Friedenskonzert soll das Festprogramm 2025 eröffnen. Der deutsch-türkisch-armenische Komponist Marc Sinan bearbeitet in seinen Musikprojekten oft politische Erfahrungen – von den Weltkriegen bis zum Terror des sogenannten NSU. Für das Friedensfest 2025 komponiert der Münchner Künstler das Werk „Befreiung“. Uraufführung: 8. Mai. Denn an diesem Tag jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal.
Die Augsburger Philharmoniker gestalten das Konzert in der Heilig Kreuz Kirche. Aber zugeschaltet, hörbar, sichtbar, digital, werden sich auch andere Orchester und Ensembles einmischen. Töne aus Krakau, Belgrad, Marseille – wie haben die Menschen an diesen Orten Europas Kriege und Frieden erlebt? Wie gedenken sie? Das fragt Marc Sinan und will dazu persönliche Erinnerungen sammeln. „Aus diesen Geschichten entsteht das Libretto“, erklärt Nikodym. Er betrachtet das Werk als Auftakt für ein „europäisches Erinnerungsnarrativ“. „Es geht darum, zurückzutreten aus der eigenen Perspektive, ohne dabei die eigene Verantwortung zu negieren. Wir müssen den Frieden gemeinsam aushandeln.“
Zum Friedensfest 2025 soll wieder ein „Mural“ entstehen
Das alles klingt groß und international, nach der weit ausgebreiteten Europa-Landkarte. Aber Eric Nikodym betont im Gespräch auch immer wieder, wie er die Stadtgesellschaft in das Fest einbinden will. „Die lokalen Beiträge werden gut Dreiviertel des Programms tragen. Das Friedensfest ist auch kein Kunstfest, es ist ein gesamtgesellschaftliches.“ Ein Chor von Augsburgern soll den musikalischen Auftakt mitgestalten. Zum Konzert wird eine Prozession führen, vom Rathaus zur Heilig Kreuz Kirche, als Ritual des Miteinanders. Der Künstler Frank Bölter will mit den Augsburgern und Augsburgerinnen ein „Haus des Friedens“ auf dem Rathausplatz bauen, eine Skulptur aus Friedensideen. Dass Künstler der Region ein Mural, ein Graffiti-Wandgemälde zum Fest sprayen, gehört zur Tradition.
Nikodym blickt voraus auf besondere Formate: „Für eine Klanginstallation in der St. Moritz Kirche wird aus Munitionsresten aus dem Ukraine-Krieg eine Glocke gegossen.“ In Kriegen wurden Kirchenglocken oft zur Munition eingeschmolzen – zum Friedensfest soll das exakte Gegenteil passieren. Und der Krieg in der Ukraine bleibt Thema bis zum Friedensfest: Für den Feiertag am 8. August kündigt das Programm ein Gastspiel des Kyiv Symphony Orchestras an, in Gemeinschaft mit dem Philharmonischen Chor Augsburg.
Auch das Ende des Bosnien-Kriegs 1995 wird hier zum Thema
Nikodym blickt auf die Gegenwart und in die Geschichte des Kontinents: „Immer wieder höre ich: Der Krieg in der Ukraine sei der erste Krieg auf europäischem Boden seit 1945.“ Doch schon in den 1990er-Jahren brachen damals die Jugoslawienkriege aus, als der Vielvölkerstaat zerfiel. „Dieses Vergessen, dieses ‚Ach ja, stimmt!‘, sollte uns allen eine Warnung sein“, findet Nikodym. Srebrenica, der Ort des Massakers, an dem mehr als 8000 Bosniaken ermordeten wurden, liege keine 1000 Kilometer von Augsburg entfernt. „Und die Konflikte dort sind bis heute nicht befriedet.“ Daran will Nikodym erinnern, 30 Jahre nach dem Abkommen von Dayton, das den Bosnienkrieg beendete. Er plant Interventionen und Ausstellungen im Stadtraum, will dazu auch die Communitys der Serben, Kroaten, Bosnier in Augsburg einbinden.
Die Zeit, das Fest zu organisieren, ist diesmal knapp bemessen. Jetzt traf die Planung auch noch die Nachricht, dass der Bund Projekt-Fördermittel für die Stadt Augsburg streicht – kein Zuschuss aus dem Programm „Demokratie leben!“. „Das schmerzt“, so kommentierte Eric Nikodym die Entscheidung, als er im Kulturausschuss der Stadt sein Konzept vorstellte. Aus ursprünglich fünf Themenblöcken werden nun vier. Aber trotzdem, oder gerade deshalb, möchte er jetzt noch einmal für Partizipation, Beteiligung, Engagement in der Zivilgesellschaft werben.
Das macht dem Leiter des Friedensfest Hoffnung
Sich in sein „eigenes Schneckenhäuschen“ zurückziehen? Das betrachtet Nikodym nicht als Option. „Es dürstet alle nach Frieden und so wie es ist, kann es nicht bleiben. Das allein macht mir schon Hoffnung, im unkitschigsten Sinn.“
Info: Alle Informationen unter www.friedensfest-augsburg.de.
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