Brechtfestival in Augsburg, das bedeutet Brecht überall: Weberinnen haben sein Gesicht auf einem Teppich verewigt und den Stoff bei einer Parade durch die Stadt getragen. Trachtler in Lederhosen tanzten im Saalbau Krone zu Brechts Gedenken. In der Sauna kam B.B. ins Schwitzen, in einem Theaterstück bei 80 Grad. Zudem im Programm: Hip-Hop, Puppenspiel, ein digitaler Brecht-Bot – alles für den Dichter aus Augsburg, zu seinem 125. Geburtstag. Und nun? Durchgeschwitzt und genug geehrt? Nein, jetzt tritt Brechts Idee zum Finale in den Ring. Die alevitische Gemeinde, eine der diversen Gastgeberinnen bei diesem Festival, hat einen Boxring in ihrer Halle aufbauen lassen. Die Menge johlt schon, und die Moderatorin Hanna Binder springt mit ihrer Irokesen-Mähne im Viereck. Sie stachelt an: „Das ist der Kampf um ...“, und aus der Menge schallt es: „... Augsburg!“ Jetzt wird hier gecatcht für Brecht und um die Gerechtigkeit in dieser Stadt – in einer so albernen wie cleveren augsburgerischen Schaukampfshow.
Wrestling beim Brechtfestival? Hätte das B.B. gefallen?
Wrestling, das ist Kampftheater. In den USA duellierten sich ab den 80ern Muskelmannen wie Hulk Hogan, der Undertaker und Dwayne „The Rock“ Johnson, sie schlugen sich auf die krachende Matte. Viel Schweiß und Show, aber stets in Schwarz-Weiß: Gut ringt hier gegen Böse, beide in Superheldenkostümen. Aber niemand soll sich dabei verletzen und wer gewinnt, ist vorab abgemacht. Nun also der Showdown um das Falsche und das Richtige, so wie es Brecht verstand? In der Inszenierung von Festival-Chef Julian Warner und Veronika Maurer prügeln sich Profi-Wrestler in Rollen, die jeder aus dem Leben kennt.
Ring frei: Freitagnacht, und es klingelt im Saal, es ist die „ANONYYYME ANRUUUFERIN!“, singt die Moderatorin. Ein altes Mütterchen mit Dutt und orangem Wählscheiben-Telefon in der Hand kriecht zur Musik auf die Bühne (famose Kostüme: Nicole Wytyczak). Ihre Rolle? Sie hat eine Luxuswohnung an der Maximilianstraße geerbt – und petzt der Polizei, dass sich die Prachtstraße nachts in eine Rambazambameile in Art der Schinkenstraße verwandelt. Ihr Gegner ist einer der Feierwütigen in Adidas-Jogging-Kluft. Aber er will doch einfach nur sein armes, stressiges Arbeiterleben für eine Nacht vergessen und schreit: „Ich stehe hier für Oberhausen!“
Das Duell Perlen- gegen Fake-Goldkette, es wird nicht so ausgehen, wie es die bunte gemischte, doch sehr junge Menge im Saal hofft. Schwarzgemalt nach Brecht: „Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht“ und am Ende gewinnt das Geld. Das Erbe. Die Anruferin.
"Nature Girl" tritt beim Wrestling gegen "Business as usual" an
Die Akrobatik dieser Duelle kann sich sehen lassen, die Anruferin klettert auf die Ringseile und springt mit voller Wucht auf den Gegner am Boden. Angetäuschte Tritte, gespielte Schläge mit Knalleffekt, Bud Spencer lächelt da im Himmel von einer Wolke. Der Charme liegt aber vor allem in den Rollen. Jeder Kampf ein Stellvertreter-Duell für reale Augsburger Streitigkeiten.
Das Publikum buht und jubelt aus voller Kehle, „Nature Grrrl“ wirft sich bald für die Umwelt ins Zeug, und die Fankurve des Klimacamps leidet mit ihr, denn gegen die Figur „Business as usual“ mit ihrem Geldanzug und Geldkoffer hat sie keine Chance. Auch ein Sympathieträger: der Krankenpfleger, der gegen seine eigenen Albträume antritt.
Als dann er in die Halle einzieht, knallt die Stimmung: „No Money“ – übersetzt Habenichts, Unterschicht, Lechhausen. Wie der kleine Bruder von Freddy Mercury guckt er drein, mit Waschbär-Charme, aber funkelnden Augen. „Geiler Schnauzer!“, ruft das Wrestling-Fachpublikum, denn sie kennen „No Money“ Kevin Kaiden auch mit seinem bärtigen Kampfnamen. Doch gegen den „Possible Maker“ – ein windiger Investor, Gentrifizierer mit Dutt und To-go-Becher in der Hand – verliert er. Dabei hatte „No Money“ noch gegen ihn getönt: „Sorry, aber Demokratie ist kein Ponyhof!“
Immer wieder mischt sie die Rolle der Friedensstadt im Engelsgewand ein, um zu schlichten. Nur in einem Fall wird die Friedfertige selbst handgreiflich, da kloppt sich endgültig der Klamauk im Ring. Ist das die Schleichwerbepause in der Sendung? Denn es kämpfen: Spezi gegen Spezi. „I bi des Augschburger Speeezi!“, schreit Kaiden in seiner zweiten Rolle – und fordert das Cola-Mixgetränk aus München heraus. Der Markenstreit zwischen den Brauereien Reigele und Paulaner wurde schon vor Gericht und in Schlagzeilen ausduelliert. Warum den Fall also nicht auch wie Männer, nein, wie Wrestler und Wrestlerin klären? Da wird die Friedensstadt parteiisch und jagt Münchens Spezi bis ins Publikum.
Rangeln für die Demokratie? Julian Warner erklärt seine Idee
Ja und was hat dieses schrecklich amüsante Gerangel bitteschön mit Brecht zu tun? Seine Erklärung gab Julian Warner vor dem Kampf ab. Im Ring sprach er mit Menschen, die in der Gesellschaft etwas bewegen wollen: Ein Mitglied des Klimacamps. Die Vertreterin einer Gruppe gegen Rassismus. Einen Krankenpfleger, der seinen Job gekündigt hat und nun von Missständen im Gesundheitssystem erzählt. Und überhaupt, auch um Brecht habe die Stadt gekämpft. Lang habe es gedauert, bis der Dichter endlich zu Ehren kam, „weil Leute darum gerungen haben“, erinnert Warner.
Weit aus- und hergeholt? Warum nicht also beim nächsten Mal ein Brecht als Wrestler? Mit Schiebermütze, Zigarre im Mundwinkel? Mit Kampf hat sich der Dichter befasst, nicht nur mit jenem zwischen den Klassen. „Obwohl Boxen sehr viel mit dem wirklichen Leben zu tun hat, ist es keine Metapher für das Leben. Es ist eine geschlossene, auf sich selbst bezogene Welt, mit nichts zu vergleichen“, schrieb er in seinem Text „Der Lebenslauf des Boxers Samson-Körner“, nach einer wahren Lebensgeschichte. „Das Leben dagegen als Metapher für das Boxen wäre eine mögliche Vorstellung – Metapher für einen dieser Kämpfe, die nicht enden wollen, Runde folgt auf Runde.“