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Brechtfestival 2023: Der völlig andere Festakt im Namen Brechts

Brechtfestival 2023

Der völlig andere Festakt im Namen Brechts

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    Mit einer Brechtparade ziehen die Macherinnen und Macher des Festivals 2023 nach Lechhausen. Der Stadtteil steht in diesem Jahr im Fokus.
    Mit einer Brechtparade ziehen die Macherinnen und Macher des Festivals 2023 nach Lechhausen. Der Stadtteil steht in diesem Jahr im Fokus. Foto: Richard Mayr

    Der Auftakt des Brechtfestivals 2023 war anders und eigen, der neue künstlerische Leiter Julian Warner hat nicht nur angekündigt, das Brechtfestival anders anzulegen, die Stadtgesellschaft in ihren unterschiedlichen Ausprägungen zum Thema zu machen, er hat auch Wort gehalten. Das Geburtstagsjubiläum von Bertolt Brecht am Freitag, er ist am 10. Februar 1898 in Augsburg geboren, war unter Warners Regie keine Gala in Theaterkulisse, auch kein Premierenabend mit Brecht, an dem eine Inszenierung gefeiert wurde, es war vielmehr ein lockeres, kommunikatives Experiment, ein Zusammentreffen, hier zwangloses Geplauder, dort künstlerische Beiträge, Gedanken über Brecht, dazwischen sehr viel Platz für die vielfältige Großstadtgesellschaft, die dieses Festival wie keines zuvor zum Thema gemacht hat - kurzum ein Ereignis. 

    Zu Wort kamen am Eröffnungsfreitag zwar auch diejenigen, die qua Amt (Kulturstaatsministerin Claudia Roth, Oberbürgermeisterin Eva Weber, Kulturreferent Jürgen Enninger) zu vielen Dingen Stellung beziehen dürfen, zu Wort kamen auch Augsburgs Brechtforscher Jürgen Hillesheim und der Brechtkreisvorsitzende Michael Friedrichs, zu Wort kamen vor allem aber Menschen und Gruppierungen, die beim Festival noch nicht präsent gewesen waren: die alevitische Gemeinde in Augsburg etwa, Gastgeber des großen Festbanketts; unterschiedliche Gruppen beim Festival-Kick-Off im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses, der Tischtennis-Club Arena zum Beispiel oder ein ghanaisch-deutsches Musikprojekt, Frauen mit Wurzeln in der Ukraine, die den Horror des russischen Angriffskriegs zum Thema machten. Und bei der Parade, dem Zug des Brechtfestivals durch die Innenstadt nach Lechhausen, fand sich dann auch noch der Augsburger Motorradclub „Kuhle Wampe“, benannt nach dem gleichnamigen Brecht-Film. Festivalleiter Julian Warner hat seine Fühler in alle Richtungen der Stadt ausgestreckt.

    Schon der Ort des Festbanketts dürfte für viele eine Entdeckung gewesen sein

    Höhepunkt des Auftakts war das Bankett in der alevitischen Gemeinde. Für die fast 320 angemeldete Gäste und dazu 70 Künstlerinnen und Künstler dürfte dieser Abend nur schwer zu vergessen sein. Zum einen waren viele, die nicht Mitglied der Gemeinde sind, zum ersten Mal in den Räumen in der Bozener Straße. Schon das eine Entdeckung, empfangen von einer Gastfreundschaft, einer Freundlichkeit und Aufmerksamkeit, wie man sie nicht allzu oft erlebt. Und das, obwohl die Gemeinde gerade Trauer trägt, Geld sammelt und Hilfe organisiert für die Opfer der Erdbeben-Katastrophe in der Türkei. Denn es gibt viele Verbindungen der Gemeinde in die Gebiete mit den größten Zerstörungen.

    Die Jubläumsbriefmarke für Bertolt Brecht.
    Die Jubläumsbriefmarke für Bertolt Brecht. Foto: Richard Mayr

    Die Welt da draußen blieb an diesem Abend denn auch nicht geschlossen, um sich die Brecht-Geburtstagslaune nicht verderben zu lassen, vielmehr wurde sie hereingeholt. Oberbürgermeisterin Eva Weber, Kulturstaatsministerin Claudia Roth, der Gemeindevorsitzende Senol Duman sprachen die Tragödie in der Türkei an. Und als eine der drei von außerhalb eingeladenen Geburtstagsrednerinnen und -redner, als Fatma Aydemir über die türkische Redewendung „Geographie ist Schicksal“ nachdachte und über die Geschichte der Stadt Pazarcik sprach, die Stadt im Epizentrum der Katastrophe, spannte sie einen Bogen von der Katastrophe zu Brecht: Mag die Naturkatastrophe nicht zu verhindern sein, der Katastrophenschutz, das Überwachen von Bauvorhaben, die Verteilung der Steuergelder zum Erdbebenschutz sind Menschenwerk. Und dann zitierte sie Brecht: „Das Schicksal des Menschen ist der Mensch.“

    Die Festredner sprachen über ihr Verhältnis zu Bertolt Brecht

    Festival Kick-Off im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses.
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    Erst ein Kick-Off im Goldenen Saal, dann eine Parade quer durch die Stadt, zum Schluss ein Bankett bei der Alevitischen Gemeinde in Augsburg: Das Brechtfestival 2023 hat begonnen.

    Der Eröffnungsabend bot deshalb genügend Stoff zum Nachdenken. Auch über Warners Konzept: Die Festredner hatten alle auch Wurzeln jenseits von Deutschland, sowohl Fatma Aydemir als auch Elisa Aseva und Aras Ören. Ihr Blick war denn auch anders, nicht wissenschaftlich, nicht huldigend, stattdessen fragend: Was haben sie mit Brecht zu schaffen, wo berührt er sie, wo ist und bleibt er ihnen fremd. Durch den Abend führte der australische Schauspieler Damian Rebgetz in zwei Kostümen, die ihn zwischen den Geschlechtern festmachten. Und Rebgetz allein hätte das Kommen schon gerechtfertigt. Nicht nur, weil er wegen Brecht nach Deutschland kam. „Ich wollte keinen psychologischen Realismus mehr spielen“, sagte er anfangs, also das, was im englischsprachigen Theater der Standard ist. Er wollte Theater spielen wie Brecht. „Als ich dann die Brechtinszenierungen in Berlin sah, fand ich die aber alle langweilig“, sagte Rebgetz. Geblieben ist er trotzdem.

    Voller Charme spielte er seine nicht ganz perfekten Sprachkenntnisse aus: „Entschuldigung, ich habe kein Wort verstanden“, fragte aber auch mit Hinterlist. Ein Conferencier, dem man noch drei Stunden länger zugehört hätte. Frage an die Oberbürgermeisterin: „Warum bist du noch nicht weggezogen aus Augsburg wie Brecht?“ Die schlagfertige Antwort von Eva Weber, weil die Züge von Go Ahead nicht mehr nach München fahren würden.

    Die Gäste hatten auch Zeit, miteinander ins Gespräch zu kommen

    Es gab Musik zu hören, mit Brechtfestivalleiter Julian Warner alias Fehler Kuti und dem Grand Choir des Grandhotel Cosmopolis. Die 85 Cent-Brecht-Briefmarke wurde von Claudia Roth mit aus Berlin nach Augsburg gebracht. Vor allem aber hatten die Gäste des Abends auch Zeit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Man saß an runden Tischen, aß miteinander, konnte die Plätze wechseln, es ging zwanglos zu. Auch das unterschied diese Festivaleröffnung von seinen Vorgängern. Die viel beschworene Festivalatmosphäre, das miteinander von Publikum und Künstlerinnen und Künstlern, hier gelang es fast schon selbstverständlich lässig und unangestrengt. Man saß gemeinsam an den Tischen.

    Julian Warners erstes Brechtfestival hat nun begonnen. Der erste Abend war schon einmal ein voller Erfolg und macht neugierig auf das Kommende. Das Brechtfestival unter dem Motto „Brecht’s People“ dauert noch bis zum 19. Februar, viele Veranstaltungen finden in Lechhausen statt.

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