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AZ-Literaturabend: Steffen Kopetzky schafft ein Gegenbild von Russland

AZ-Literaturabend

Steffen Kopetzky schafft ein Gegenbild von Russland

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    Autor Steffen Kopetzky hat beim AZ-Literaturabend in der Augsburger Stadtbibliothek aus seinem neuen Roman „Damenopfer“ vorgelesen.
    Autor Steffen Kopetzky hat beim AZ-Literaturabend in der Augsburger Stadtbibliothek aus seinem neuen Roman „Damenopfer“ vorgelesen. Foto: Ulrich Wagner

    Überragend sei sie gewesen. Göttinnengleich, eine beinahe mythische Figur. Große Worte, mit denen Steffen Kopetzky die Heldin seines neuen Romans „Damenopfer“ beschreibt. Larissa Reissner, eine vergessenen Figur des russischen Bürgerkriegs. Journalistin, Revolutionärin, Gattin eines sowjetischen Diplomaten. Eine ganze Garnison an Liebhaber soll sie gehabt haben. So fragt Richard Mayr, Leiter der Redaktion Kultur und Journal derAugsburger Allgemeinen, im Bühnengespräch dann direkt: „Und Sie Herr Kopetzky, waren Sie auch in Reissner verliebt?“ 

    Da antwortet er unverblümt: „Die Totengräber und der dreibeinige Straßenköter im Roman standen mir teilweise näher.“ Aber klar, er habe die Frau aus so vielen Perspektiven beleuchtet, dass er ihr nahe gekommen sei. „Ich habe mich gequält mit der Vorstellung, sie zum Leben zu erwecken“, gesteht Kopetzky. „Aber Sympathie war auf jeden Fall da, ich wäre gerne mal mit ihr durchs Moskau der 1920er Jahre flaniert.“ Warum er Larissa Reissner ein literarisches Denkmal gesetzt hat, wie er der Figur begegnete und wo die Grenze zwischen Fakt und Fiktion verläuft, darüber sprach der Autor beim Literaturabend in der Augsburger Stadtbücherei.

    Immer wieder unterbricht Kopetzky seine Lesung und liefert Hintergründe

    Jedes neue Buch ist ein Versprechen, auf Erkenntnis, Unterhaltung, auf eine Reise in andere Welten und Zeiten. So eröffnet Stefanie Wirsching, Co-Leiterin der AZ-Redaktion Kultur und Journal, den Abend und verspricht nicht zu viel. Denn als Kopetzky mit Hingabe aus seinem

    Ihre Beerdigung, verrät Kopetzky später im Gespräch, war Auslöser für den Roman: „Das Foto ihrer Beerdigung erinnerte mich an Schneewittchen.“ Prominente Zeitzeugen wie Leo Trotzki versammelten sich am Sarg der Frau, die für die Bolschewiken kämpfte und am Weltgeschehen mitmischte. „Ich bin kein Historiker. Ich wollte keine Biografie, sondern eine Dichtung über diese Frau schreiben“, sagt Kopetzky. 

    Reissner habe ihn ebenso fasziniert wie der historische Kontext. „Die Sowjetunion war nach der Revolution eine freie Gesellschaft. Ich wollte ein Gegenbild zum gängigen Russlandbild schaffen, das stark autoritär geprägt ist.“ Immer wieder unterbricht Kopetzky seine Lesung und liefert historische Hintergründe, denn sein Roman ist voller Details über die Akteure und geopolitischen Machtkämpfe der damaligen Zeit. 

    Kopetzky sucht in Archiven nach vermeintlichen Nebensächlichkeiten

    Wo aber fängt Dichtung an und was ist historisch verbürgt, will Richard Mayr im Gespräch wissen. „Ich halte mich an die Chronologie der Weltgeschichte“, erklärt Kopetzky. Um Fakten zu prüfen, durchforstet er Archive. Er gehe gern in die bayerische Staatsbibliothek. Dort habe er auch zu Reissner recherchiert, Zeitungen vom Tag ihrer Beerdigung und vermeintlich unwichtige Artikel und Anzeigen gelesen. Welche Restaurants oder Biersorten wurden beworben? „Aus Nebensächlichkeiten erfährt man oft mehr über eine Epoche als aus Geschichtsbüchern“, sagt der Autor. „Ich muss den Kontext erfassen, um zu spüren, wie das Leben zu einer bestimmten Zeit war.“ 

    Das Publikum lauscht gespannt: Bestseller-Autor Steffen Kopetzky im Gespräch mit Richard Mayr, Leiter der Kultur- und Journalredaktion der Augsburger Allgemeinen.
    Das Publikum lauscht gespannt: Bestseller-Autor Steffen Kopetzky im Gespräch mit Richard Mayr, Leiter der Kultur- und Journalredaktion der Augsburger Allgemeinen. Foto: Ulrich Wagner

    Kopetzky hat schon einige Romane geschrieben, Hundert Seiten dick, meist über Historisches. Er hat Hörspiele und Theaterstücke verfasst. Aufgewachsen ist er in Pfaffenhofen an der Ilm. Humanistisches Gymnasium, großes Latinum, großes Graecum. Darauf sei er stolz, auch wenn er keinen Text mehr im Original lesen kann, sagt der 52-Jährige. Ob er damals schon vom Leben als Schriftsteller träumte? Er habe sich immer für Literatur begeistert. James Joyce, Edgar Allen Poe, das waren sein Vorbilder. 

    Einer seiner frühen und kuriosesten Jobs: Er ist zwei Jahre als Schlafwagenschaffner unterwegs. „In dieser Zeit habe ich Europa kennengelernt wie ich es mir immer gewünscht habe.“ Zehn Jahre arbeitete er für Radio und Zeitungen, schrieb nachts an seinen Romanen und hielt sich mit Zigaretten und schwarzem Tee wach. Bis er mit Anfang dreißig nicht mehr konnte. „Ich war körperlich fertig“, erzählt er. Was ihm aus der Lebenskrise half: Seilspringen. Jeden Tag hüpft er eine Stunde. 

    In seinen Romanen beschäftigt sich Kopetzky mit der großen Geopolitik, im echten Leben engagiert er sich im Kleinen. Zwölf Jahre saß er als Kulturreferent im Pfaffenhofener Stadtrat. Was er gelernt hat? „Konflikte anzunehmen und auszutragen“, sagt er. Aktuell laufe politisch nicht alles richtig. "Aber ich lehne es ab, Politiker generell zu verdammen, denn sie sind immer auch ein Spiegel der Gesellschaft.“ 

    Im Literarischen Salon wird wild debattiert - vor allem über ein Buch

    Nach diesem Streifzug durch die Geschichte gibt AZ-Kulturredakteurin Birgit Müller-Bardorff Lesetipps aus der Sparte Kinder- und Jugendbuch und hält ebenfalls eine historische Empfehlung bereit. Das erzählende Sachbuch „In einem alten Haus in Berlin“ über die deutsche Geschichte sei für Kinder und Erwachsene interessant. Gleiches gelte für den vierten Teil der Tintenwelt-Reihe von Cornelia Funke, der nun 16 Jahre nach dem letzten Band erschienen ist. Klare Leseempfehlung, urteilt Müller-Bardorff. 

    Zum Abschluss des Abends debattiert der Literarische Salon über die Neuerscheinungen des Herbstes. Mit dabei: Kurt Idrizovic von der Augsburger Buchhandlung am Obstmarkt, der

    Uneins ist sich das Trio bei „Der Pole“ von J. M. Coetzee über einen Pianisten, der sich bei einem Konzert in die Gastgeberin verliebt. Für Idrizovic das literarische Highlight des Herbstes, für Lintner und Müller nicht mehr als ein abgedroschener Plot. Männliches Genie, junge Liebhaberin, das sei doch mittlerweile auserzählt. 

    Beim letzten Buch sind sich dann aber wieder alle einig: Unbedingt lesen, denn das Erstlingswerk der Irin Louise Kennedy hat es in sich. In „Übertretung“ erzählt sie vom Bürgerkrieg im Belfast der 1970er Jahre und verwebt den Nordirlandkonflikt mit einer Liebesgeschichte. Eine erschütternde Lektüre, die Angst und Gewalt spürbar macht. Und die, wie Lintner anmerkt, angesichts der Geschehnisse der vergangenen Tage erschreckend relevant ist. 

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