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Ausstellung: Wie jüdische Künstler auf die Gegenwart blicken

Ausstellung

Wie jüdische Künstler auf die Gegenwart blicken

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    Die Aktion am "Schand"-Denkmal in Wien dokumentierte der Künstler Eduard Freudmann.
    Die Aktion am "Schand"-Denkmal in Wien dokumentierte der Künstler Eduard Freudmann. Foto: Eduard Freudmann/ Schandwache

    Die jüdische Gemeinde Kriegshabers war lange ein Zentrum jüdischer Tradition in Schwaben. Die kleine Synagoge in der Ulmer Straße, die die Nazizeit unversehrt überlebte, stammt von 1720. Als Außenstelle des Jüdischen Museums in Augsburg ist sie der historisch ideale Ort für die Ausstellung „Jüdische Perspektiven auf die Gegenwart“, die das Team um Museumsdirektorin Carmen Reichert jetzt eröffnete. 

    Ausstellungsort ist der luftige Synagogen-Hauptraum im ersten Stock. Drähte verlaufen in halber Höhe kreuz und quer durch den Raum und sind so die Verbindung zwischen den sieben Kunststationen, zwischen jüdischer Gegenwart und Vergangenheit. Drei Künstlerinnen und sechs Künstler haben dem Museum ihre Werke zu jüdischem Glauben, Leben, Kartierungen jüdischer Orte und antisemitischen Debatten zur Verfügung gestellt. Sie betreiben ihre Ateliers in Bremen, Mexiko, Argentinien, der Ukraine, Wien und New York und präsentieren ihre Web-, Audio-, Foto- und Videoarbeiten auf mehreren Bildschirmen sowie großformatigen Fotowänden. 

    Die verstreuten jüdischen Gemeinden sind ästhetisch vereint

    Gleich zu Beginn leuchtet dem Besucher „Timeprotocol.net“ von Liliana Farber entgegen: Eine tiefblaue Kugel mit einer helleren und einer dunklen Hälfte, umgeben von 24 hebräischen Buchstaben. Eine Auseinandersetzung mit der Relativität von Zeit. Zwar stehen die Buchstaben für Stunden, aber nicht für solche im 60-Minuten-Takt. Seit 3761 vor Christus berechnen Juden nach Halacha und Talmud die Stunde als ein Zwölftel der Zeit ab Sonnenuntergang. Der erste Abschnitt ist in der dunklen Hälfte mit dem hebräischen Buchstaben Alef. Für alle Einheiten ab Alef bis zum nächsten Sonnenuntergang gibt es vorgeschriebene Gebete und Rituale. Je nach Jahreszeit und Kontinent verschieben sich die „Stunden“, doch die Anwendung von Liliana Farber, die im Internet unter timeprotocol.net abgerufen werden kann, berechnet per GPS den Standort und die Stunde des Betrachters. Ästhetisch vereint sie so die weltweit verstreuten jüdischen Gemeinden zwischen Amerika und Asien hinter dem gemeinsamen „Zeitprotokoll“. 

    Bewegte Bilder hat der Wiener Künstler Eduard Freudmann mit seiner Videoarbeit „Schandwache“ beigesteuert. Er dokumentierte die Geschichte einer Intervention um das Denkmal des kaisertreuen, antisemitischen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger (1840–1910). Eine unbekannte Gruppe hatte 2020 in goldenen Buchstaben „Schande“ auf den Sockel der Statue geschrieben. Während sich in der Stadt anschließend eine hitzige Debatte entspann, die große Teile der Medien, Bürger, Polizei und Stadtverwaltung beschäftigte, filmte er, was sich rund um das Denkmal tat. Ein Dutzend Gruppierungen bewachten eine Woche lang das „Schand“-Denkmal. Aufgebrachte Bürger und organisierte Rechte kommen vorbei, wollen den Schriftzug beseitigen. Die Polizei stellt Barrikaden auf, um den Sockel zu schützen und abzuschirmen. Auf der Basis dieser Auseinandersetzung entwickelte Freudmann sein Video, das die Bilder mal in Fragmente zerschnitten übereinander laufen lässt, mal einfach schwarz bleibt. In diese schwarzen Pausen legt er die O-Töne eines Restaurators, der über die Reinigung historisch geschützten Materials sinniert, und der städtischen Kulturbeauftragten, die über die Frage philosophiert, ob hier Kunst oder Sachbeschädigung vorliege. 

    Wiederständig soll ihre Kunst sein, so steht es im Katalog. Daniel Laufer, der die Ausstellung erst für Berlin und jetzt im Auftrag des Jüdischen Museums für Augsburg kuratierte, erklärt das so: „Wehrhafte Kunst ist mutig, ein Kampf gegen das gesellschaftliche Schweigen, das dazu neigt, Leid und vielfältige Erinnerungen zum Verstummen zu bringen.“ 

    Hadas Tapouchi hat in Kriegshaber Orte der NS-Zwangsarbeit fotografiert wie die ehemaligen Michelwerke an der Ulmer Straße.
    Hadas Tapouchi hat in Kriegshaber Orte der NS-Zwangsarbeit fotografiert wie die ehemaligen Michelwerke an der Ulmer Straße. Foto: © Hadas Tapouchi

    Auch Augsburg kommt ins Spiel: Das Jüdische Museum lud die Fotografin Hadas Tapouchi ein, sich in Kriegshaber umzusehen. Die Israelin, die jetzt in Berlin lebt, setzte auf ihre beiläufige Art Gebäude der NS-Zwangsarbeiterorte in Szene. Die Ballonfabrik, die früheren Michelwerke und die Maschinenfabrik Keller und Knappich (KuKa), die trotz des Einsatzes hunderter jüdischer und anderer Zwangsarbeiter aus Osteuropa in der NS-Zeit einfach nur noch Gebäude sind. Als wäre das alltägliche Böse jener Zeit von der jüngeren Geschichte schon fast überschrieben.

    Die Ausstellung läuft bis 30. Juni zu besichtigen von Donnerstag bis Sonntag 14 bis 18 Uhr.

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